Marketing

Die Schattenseiten der Widerspruchslösung bei Organspenden

28. Oktober 2025

Baris Pascal Güntürkün erforscht die Auswirkungen unterschiedlicher Organspenden-Regelungen.

Die Knappheit an Spender*innen-Organen zählt zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Eine Strategie, um dieser Herausforderung zu begegnen, ist die sogenannte Opt-out-Regelung: Das bedeutet, dass nach dem Tod Organe entnommen werden dürfen, sofern die verstorbene Person zu Lebzeiten keiner Organspende ausdrücklich widersprochen hat. Neben Österreich ist diese Regelung auch in vielen anderen europäischen Ländern in Kraft – etwa in Spanien, Frankreich oder England. Doch zeigt sie die erhoffte Wirkung?

Portrait von Pascal Güntürkün

Ein internationales Forschungsteam rund um WU-Professor Baris Pascal Güntürkün, Department für Marketing, hat Daten aus 24 Ländern über einen Zeitraum von 25 Jahren ausgewertet. Sechs dieser Länder sind im Untersuchungszeitraum von einer Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung gewechselt, darunter etwa England und die Niederlande. Das Ergebnis: Die Zahl der Organspenden nach dem Tod stieg im Durchschnitt nur um rund 7 Prozent, während die Lebendspenden um 29 Prozent zurückgingen. „Über alle Länder, die auf eine Opt-out-Regelung umgestiegen sind, führte die Regelung somit zu einem insgesamt geringeren Spendenaufkommen“, so Güntürkün. Noch dazu kommt, dass postmortale Spenden kein gleichwertiger Ersatz für Lebendspenden sind. Während Verstorbene mehrere Organe spenden können, führen Lebendspenden – etwa von Nieren – meist zu besseren medizinischen Ergebnissen und Überlebenschancen für die Empfänger*innen.

Widerspruchslösung hat unbeabsichtigte psychologische Effekte

Eine vergleichende Befragung zwischen Deutschland (Opt-in-Regelung) und Österreich (Opt-out-Regelung) zeigte zudem, dass die Bereitschaft zur Lebendspende in Österreich insgesamt deutlich geringer ist als in Deutschland (siehe Grafik unten). Zwar ist die Bereitschaft, an Familienmitglieder zu spenden, in etwa gleich, aber bei altruistischen Spenden an entfernte Bekannte oder fremde Personen ist der Unterschied markant. Grund dafür ist laut der Studie, dass viele Menschen fälschlicherweise davon ausgehen, dass durch das Opt-out-System bereits genug Organe zur Verfügung stehen. „Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass gut gemeinte politische Maßnahmen unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben können“, so Güntürkün. „Wenn Menschen davon ausgehen, dass das System automatisch für genügend Spender*innen sorgt, sinkt ihre Bereitschaft für eine Lebendspende.“ Um solidarisches Handeln langfristig zu stärken, sollten Verhaltensanreize laut den Studienautor*innen sorgfältig gestaltet und kommunikativ begleitet werden.

Säulendiagramm mit fünf Paaren von Säulen. Die y-Achse zeigt die Bereitschaft zur Organspende, die x-Achse verschiedene Empfängergruppen: Familienmitglieder, enge Freunde, entfernte Verwandte, Bekannte und Fremde. Für jede Gruppe gibt es zwei Säulen – eine für Österreich und eine für Deutschland. Insgesamt nimmt die Spendenbereitschaft von Familienmitgliedern zu Fremden deutlich ab. Außer bei Familienmitgliedern ist die Bereitschaft in Deutschland durchgehend höher als in Österreich.

Unterschiede in der Bereitschaft zu Organspenden zwischen Deutschland und Österreich.


© B. P. Güntürkün

Quelle

Pascal Güntürkün, Sinika Studte, Daniel Winkler, Michel Clement, Jonathan H W Tan, Eva-Maria Merz, Elisabeth Huis in ‘t Veld, Eamonn Ferguson (2025). Crowding-out effects of opt-out defaults: Evidence from organ donation policies. In: PNAS Nexus, Vol. 4, Issue 10, https://doi.org/10.1093/pnasnexus/pgaf311

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