Seitlicher Blick auf das D2 Gebäude.

Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal

Wo endet die Selbstverantwortung als WissenschafterIn?

Ende des Sommers hat uns eine Kollegin von ihren Erfahrungen im Anschluss an ein Medieninterview berichtet und uns auf ihren Blog verwiesen, in dem sie genauer auf verschiedene thematische Anknüpfungspunkte wie Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit einerseits und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers andererseits hingewiesen hat.

Als Interessensvertretung geht es uns jetzt nicht darum, die Details in diesem Einzelfall zu beurteilen und weiterzuverfolgen. Das ist so auch mit der Betroffenen vereinbart. Was wir aber sehr wohl aufgreifen wollen, sind die Fragen, die mit diesem Themenbereich verbunden sind:

  • Wie ist es um die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit von uns WissenschafterInnen bestellt? Was haben wir dabei zu beachten?

  • Gibt es eine Verantwortung der Institution? Wo endet diese und wo beginnt die Verantwortung als Privatperson? Was kann getan/verbessert werden, um diese Trennlinien besser erkennen zu können?

Diese Fragen sind nicht neu und wurden im Laufe der Jahrzehnte immer wieder einmal gestellt. Sie bekommen aber in den letzten Jahren aus unserer Sicht eine neue Bedeutung, denn als WissenschafterInnen sind wir im Rahmen der durch die EU-Kommission angeregten THIRD MISSION alle aktiv aufgefordert, unsere Expertise in möglichst unterschiedlichen Formen der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.

Für manche von uns war das immer schon selbstverständlich. Für andere hat dies eine neue Herausforderung mit sich gebracht. Die Übersetzung unserer Sachverhalte in eine weithin verständliche Sprache, aber auch deren knapp kondensierte und pointierte Darstellung sind ein Teil dieser Herausforderung. Hierbei ist es wichtig, darauf zu achten, dass unsere Aussagen auf Fakten basieren und gut begründbar sind. Unsere Analysen können auch zu kritischen Ergebnissen kommen, die von spezifischen Gruppen und MeinungsträgerInnen nicht geteilt werden. Im Extremfall mögen sich diese dadurch sogar angegriffen fühlen und mit rechtlichen Schritten reagieren. Auch das stellt eine ganz besondere Herausforderung für die Darstellung dar.

Was haben wir bei der Diskussion der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit zu beachten?

Im Forum des Learning Centers wird auf einen Satz aus unserem Staatsgrundgesetz verwiesen, der seit über 150 Jahren – genau seit dem Jahr 1867 – besagt, dass die Freiheit von Wissenschaft, Forschung, Lehre und Kunst in Österreich grundrechtlich verankert ist (Art. 17 und 17a StGG).

Die Freiheit von Wissenschaft, Forschung, Lehre und Kunst ist in vielen Ländern in deren Grundrechten verankert und klingt nach einer Selbstverständlichkeit. Es gibt allerdings in den letzten Jahren genug Anlässe aus verschiedensten Bereichen, die es uns wichtig erscheinen lassen, an dieses Grundrecht und die damit verbundenen Rechte und Pflichten für alle Beteiligten im Wissenschaftskontext zu erinnern. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit steht in einem engen Verhältnis zu anderen verfassungsrechtlich geschützten Grundrechten, wie dem Recht auf persönliche Freiheit oder der Meinungsfreiheit.

ForscherInnen wie die wissenschaftlichen Institutionen, in denen sie tätig sind, sind sich dieser Verantwortungen und der aus diesen Freiheiten resultierenden Verpflichtungen bewusst. Darauf weist auch ein im September 2019 von einer deutschen Allianz von Wissenschaftsorganisationen verabschiedetes Memorandum für Wissenschaftsfreiheit (https://wissenschaftsfreiheit.de/abschlussmemorandum-der-kampagne/) hin.

Aus diesem Memorandum wollen wir besonders hervorheben, dass Wissenschaftsfreiheit keine Selbstverständlichkeit ist und wir uns dafür jederzeit einsetzen sollten.

Wir haben als WissenschafterInnen eine große Verantwortung. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind keine bloße „Meinungsäußerung“. Gleichzeitig steht freie Wissenschaft nicht über dem Gesetz. Die Wissenschaft hat daher auch die Aufgabe, den Unterschied zwischen Meinungen und wissenschaftlich überprüfbaren Erkenntnissen zu verdeutlichen, bei der Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse auf Klarheit, Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit zu achten und populistisch motivierter Faktenverzerrung den Boden zu entziehen. Dabei muss sie immer wieder die Grenzen gesicherter Erkenntnis und die Bedeutung wissenschaftlicher Kontroversen sichtbar machen. So kann das Vertrauen in die Wissenschaft und damit in ihr grundgesetzlich verbrieftes Recht auf Wissenschaftsfreiheit gestärkt werden.

Wissenschaftsfreiheit ist eng gebunden an einen aktiven Austausch und Diskurs in der Gesellschaft, dem wir in Österreich im Rahmen der THIRD MISSION besonderes Augenmerk schenken. Einer umfassenden Wissenschaftskommunikation kommt deshalb die Aufgabe zu, mit anderen gesellschaftlichen Akteuren in einen steten Austausch über die Wirkung und die Erkenntnisse sowie die Grenzen von Wissenschaft zu treten. In diesem Austausch erlebt der/die einzelne WissenschafterIn dann sehr oft ein Spannungsverhältnis zwischen der Eigenverantwortung als Person und der Verantwortung gegenüber der Institution, bei der sie beschäftigt ist.

Spannungsverhältnis zwischen Eigenverantwortung und Verantwortung der Institution

Die besonderen Freiheitsrechte, die auch von uns oben eingefordert werden, bringen eine besondere Bedeutung der Selbstkontrolle der Akteure und der Institutionen mit sich. Wir stehen zu der Position, dass sich die Gesellschaft in einem überwiegend öffentlich finanzierten Wissenschaftssystem auf die funktionierende Selbstkontrolle der Wissenschaft verlassen können sollte. Betrugsfälle, Machtmissbrauch oder ‚Fake Science‘ untergraben das Vertrauen der Gesellschaft in den verantwortungsvollen Umgang der Wissenschaft mit ihren besonderen Freiheitsrechten.

Wir möchten an der Stelle darauf hinweisen, dass in ihrer arbeitsrechtlichen Beziehung zu ihrer wissenschaftlichen Organisation WissenschafterInnen schon aus der arbeitsrechtlichen Treuepflicht heraus zur dienstlichen Korrektheit und damit zur Einhaltung der gegebenen Standards verpflichtet sind.

Im Rahmen ihrer arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht trifft Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Verpflichtung zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und bis zu einem gewissen Ausmaß auch des Vermögens der dort beschäftigten WissenschafterInnen.

Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden ihrer Verantwortung gerecht, indem sie hohe Standards guter wissenschaftlicher Praxis, Integrität, Compliance, Rechtssicherheit und MitarbeiterInnenschutz erfüllen.

Wenn wir nun die eingangs dargelegte THIRD MISSION ernst nehmen, ist diese als ein integraler Bestandteil unserer Arbeitspflichterfüllung einzustufen. Daraus ergibt sich aus unserer Sicht, dass die Arbeitgeberin hier auch für eine entsprechende Rechtssicherheit zu sorgen hat.

In diesem Sinne regen wir an, dass wir als Beschäftigte der WU insofern gestärkt werden, dass wir vor oder nach einem Medienauftritt in unserer ExpertInnenrollen die Möglichkeit einer rechtlichen Beratung durch die Arbeitgeberin erhalten, um hier mögliche Risiken im Hinblick auf z.B. medienrechtliche Probleme besser einschätzen zu können. Das Rektorat hat auf diesem Gebiet neue konkrete Unterstützungsmaßnahmen entwickelt. Das bereits länger bestehende Angebot des Medientrainings ist jetzt durch die Möglichkeit eines Medienrechts-Coachings ergänzt worden. Es soll Unterstützung bei heiklen Medienauftritten bieten. Es wird von der WU finanziert und von MedienrechtsanwältInnen durchgeführt. Dieser Schritt wird von Seiten des wissenschaftlichen Betriebsrats sehr positiv gesehen.

22.10.2019

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