Universität

Kontextualisierung und Widerruf von WU Ehrendoktoraten

07. Juni 2023

Die WU untersuchte die Verleihung von Ehrendoktoraten an historisch belastete Personen. Nun wurden die Ergebnisse präsentiert.

Als eine der ersten Universitäten in Österreich begann die Wirtschaftsuniversität Wien 2010 mit der Aufarbeitung der eigenen NS-Geschichte. Bei vergangenen Projekten wie der Provenienzforschung oder zur Vertreibung von Hochschulangehörigen während der NS-Zeit standen die Opfer im Vordergrund. Rektorin Edeltraud Hanappi-Egger hat den Blick auf die Rolle der WU sowie ihrer Vorgängerinstitution während und nach der NS-Zeit erweitert und die Überprüfung von akademischen Ehrungen an historisch belastete Personen angestoßen. In einem ersten Schritt haben Historiker*innen verliehene Ehrendoktorate kritisch untersucht. Die Ergebnisse wurden gestern im Rahmen der Veranstaltung „Closed to Exclusion – Open for Inclusion“ vorgestellt: Der Titel des Ehrendoktors an Walther Kastner wurde widerrufen, drei weitere Ehrendoktorate wurden kontextualisiert.

2023 feiert die WU 125 Jahre. Dies hat die Universität zum Anlass genommen, sich auch mit den problematischen Phasen der eigenen Geschichte zu beschäftigen. Auf Initiative von WU-Rektorin Edeltraud Hanappi-Egger haben sich Historiker*innen mit der Geschichte jener Personen befasst, die während und nach der NS-Zeit den Titel eines Ehrendoktors verliehen bekommen haben. Bereits im Vorfeld hatte das Rektorat gemeinsam mit dem Senat mit einer wichtigen Satzungsänderung die rechtliche Möglichkeit geschaffen, akademische Ehrungen zu widerrufen, wenn sich dies u.a. aus Gründen des Ansehens der WU als erforderlich erweist.

Drei Kontextualisierungen – ein Widerruf

Zunächst hatte sich ein WU Historiker*innen-Team unter der Leitung von Johannes Koll im Rahmen eines Forschungsprojekts mit allen Ehrendoktoren beschäftigt, deren Biografien einen Bezug zum NS-Regime aufwiesen. Nachdem durch entsprechende Forschungen sieben problematische Fälle identifiziert worden waren, wurde in weiterer Folge eine externe Expert*innen-Kommission damit beauftragt, Empfehlungen für einen angemessenen Umgang mit diesen Ehrungen vorzulegen. Auf Grundlage der gesammelten Ergebnisse und Empfehlungen haben Rektorat bzw. Senat der WU beschlossen, in vier Fällen Maßnahmen zu ergreifen: Der Titel des Ehrendoktors an Walther Kastner wurde widerrufen. Dieser Widerruf wurde entsprechend dokumentiert. Die Ehrung wird allerdings nicht aus dem Ehrenbuch der WU gelöscht, um Verleihung und Widerruf im historischen Gedächtnis der Institution zu erhalten. Weiters wurden Kontextualisierungen der Ehrendoktorate an Josef Hellauer, Erich Kosiol und Karl Friedrich Rößle vorgenommen. Diese Personen sind laut Historiker*innen als „Mitläufer“ einzustufen.

Zur Begründung des Widerrufs

Der Widerruf des Ehrendoktorates an Walther Kastner wurde vorgenommen, da er in seiner Funktion als langjähriger Direktor der Österreichischen Kontrollbank für Industrie und Handel mit der Zerschlagung und dem Verkauf von Unternehmen im Eigentum von Jüd*innen zu deren Ungunsten und zugunsten des Deutschen Reiches beauftragt war. Kastner war für alle Verträge im Rahmen des nationalsozialistischen Vermögensentzugs mitverantwortlich und somit an der systematischen „Arisierung“ von Wirtschaftsunternehmen in der „Ostmark“ maßgeblich beteiligt. Darüber hinaus war er Mitglied der NSDAP. Nach Kriegsende befasste er sich als Anwalt, Konsulent und hochrangiger Beamter mit Rückstellungen an Holocaust-Überlebende, seine Rolle als aktiver Entscheidungsträger des NS-Regimes hinterfragte er aber nie und distanzierte sich auch nicht davon.

Entscheidungen anhand neuer Erkenntnisse reflektieren

WU-Rektorin Edeltraud Hanappi-Egger war es ein großes Anliegen, die Untersuchung akademischer Ehrungen im Sinne einer kritischen Selbstreflexion der Universität anzustoßen: „Im Rahmen von Jubiläen muss ein differenzierter Blick auf die eigene Geschichte geworfen werden, vor allem auf Entscheidungen, die aus heutiger Sicht und in Zusammenhang mit den geänderten gesellschaftlichen Diskursen problematisch waren. Jede Institution sollte für das eigene Tun und Handeln Verantwortung übernehmen und ihre Beschlüsse entlang neuer Erkenntnisse der Gedächtniskulturforschung auch immer wieder reflektieren.“

Geschichtsaufarbeitung der WU

Im Rahmen der Geschichtsaufarbeitung hat die WU bereits 2010 das Projekt zur Provenienzforschung gestartet. Mittlerweile wurden über 70.000 Bücher untersucht und mehrere Restitutionen durchgeführt; weitere werden folgen. 2012 startete die WU ein nach wie vor laufendes Forschungsprojekt, das jene Studierende identifiziert, die seit dem „Anschluss“ aufgrund ihrer jüdischen Abstammung oder ihrer Opposition zum NS-Regime daran gehindert wurden, ihr Studium aufzunehmen, fortzuführen oder ihren Abschluss zu machen. Auch andere Formen nationalsozialistischer Diskriminierung wie die Aberkennung rechtmäßig erworbener akademischer Grade werden beforscht. Die Biografien der verfolgten Hochschulangehörigen werden im digitalen Gedenkbuch veröffentlicht. Überdies steht seit 8. Mai 2014 Mahnmal an zentraler Stelle am Campus WU. Dieses besteht aus den Namen der Opfer und ist so konzipiert, dass weitere hinzugefügt werden können. 31 Personen konnten mittlerweile zusätzlich identifiziert werden. Ihre Namen wurden gestern im Rahmen der Veranstaltung der Öffentlichkeit präsentiert und sind bereits am Mahnmal verewigt. 2022 wurde außerdem ein Projekt zur Dokumentation der jüdischen Studierenden aus Galizien 1898-1938, zusammen mit einer US-amerikanischen Organisation, abgeschlossen.

Zukünftige Forschung

Die gestrige Veranstaltung rückte die Entstehung und Verbreitung von Antisemitismus sowie den zunehmenden Anstieg in Europa in den Fokus. Dazu sprachen neben der internationalen Expertin Dina Porat, der WU-Historiker Johannes Koll und der Leiter des Interdisziplinären Instituts für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management, Wolfgang Mayerhofer als Vertreter der WU-Forschungsgruppe Antisemitism at Work. Diese befasst sich mit dem Phänomen des aktiven und passiven Antisemitismus in der Wirtschaft. Dabei erforschen sie u.a., inwiefern Antisemitismus im Arbeitskontext anderen Formen von Diskriminierung und Vorurteilen ähnelt oder sich davon unterscheidet, und welche Auswirkungen er auf Arbeits- und Managementprozesse, auf die Organisationskultur und auf die persönliche und berufliche Identität hat. Die Forschungsaktivitäten zum Bereich Antisemitismus in der Wirtschaft werden mit einer Anschubfinanzierung von 50.000€ durch die WU-Stiftung gefördert.

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