Seitlicher Blick auf das D4 Gebäude.

Die Pionierinnen im Wirtschaftsstudium. Bericht einer Spurensuche.

Wie sehen die Biografien jener Pionierinnen aus, die vor rund 100 Jahren als erste Frauen an der k.k.Exportakademie und an der Hochschule für Welthandel studiert haben? Welche Berufe haben sie ausgeübt, in einer Zeit, als Frauen gerade erst zum Studium zugelassen worden waren und das Wahlrecht erkämpft hatten? Eine Spurensuche anlässlich des internationalen Frauentags.


Die Ergebnisse meiner Recherchen im WU-eigenen Universitätsarchiv[*] und in anderen Quellen waren zunächst ernüchternd. Statt auf die Lebensgeschichten der Pionierinnen stieß ich auf die Namen von Ehemännern und  Hebammen[1]. Ich entdeckte, dass die als Hermine Groll[2] bezeichnete erste Absolventin eines Promotionsstudiums an der WU gar nicht so hieß. Leider führte auch eine Recherche mit ihrem richtigen Namen Hermine Goll[3] zu keinen  weiteren Daten. Zu einer Pionierin gibt es allerdings doch nähere Informationen: Helene Mitkiewicz schloss 1920 als eine der ersten Frauen ein Studium an der Hochschule für Welthandel ab [4] und machte danach in der Ukraine und in Polen Karriere[5].

Die Spuren der meisten Pionierinnen verliefen sich aber. Spätestens mit ihrer Eheschließung, auch bei Kenntnis des Ehenamens, schienen die Frauen nicht mehr zu existieren. Über Anna Baidaff, die 1917 als erste und einzige Frau ein Studium an der k.k.Exportakademie abgeschlossen hatte[6], war nichts weiter herauszufinden, als dass sie mit Michael Friedmann verheiratet war. Nach der Eheschließung tauchte sie noch als „mitgemeldet“ mit dem Ehemann auf, der letzte Eintrag bezieht sich auf dessen Abmeldung im Jahr 1939. Als Ziel wurde „Palästina“ angegeben[7]. Mit der Emigration wollten sie höchstwahrscheinlich der Judenverfolgung durch das NS-Regime entkommen.

Wird der Zeitraum der Betrachtung etwas ausgeweitet, findet sich eine Absolventin, deren abenteuerliche Lebensgeschichte in mehreren Büchern und zuletzt auch in einem Film festgehalten wurde: Margarethe Ottillinger, „eine energische Kämpferin“[8] „im Fadenkreuz der Macht“[9] schloss 1940 ihr Studium an der Hochschule für Welthandel ab, promovierte 1941 und etablierte sich rasch als erfolgreiche Wirtschaftsexpertin. Sie war nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich an der Erarbeitung der Wirtschaftspläne für den Wiederaufbau Österreichs beteiligt. 1948 wurde sie unter nicht ganz geklärten Umständen von sowjetischen Besatzungssoldaten verhaftet und verbrachte sieben Jahre in russischen Gefangenenlagern.  Nach ihrer Rückkehr nach Österreich und ihrer Rehabilitation durch die russische Justiz war sie in der Verstaatlichten Industrie tätig und beschloss ihre Karriere als Vorstandsdirektorin der ÖMV[10].

Der Typus der arbeitenden Frau

Interessante Einblicke in die Situation von Frauen am Arbeitsmarkt von der Nachkriegszeit bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise gewähren die  Analysen zur Frauenerwerbstätigkeit von Käthe Leichter[11]. 1923 waren in Wien fast die Hälfte, in den übrigen österreichischen Ländern mehr als zwei Drittel, der erwerbsfähigen Frauen im Alter zwischen 14 und 60 Jahren berufstätig. Käthe Leichter sah als Grund für die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen u.a. die „fortwährende wirtschaftliche Existenzunsicherheit“, die die Frauen bei der Berufsarbeit hielt.[12]

Der Typus der akademisch arbeitenden Frau war in dieser Zeit allerdings noch nicht weit verbreitet. Das Handbuch der Frauenarbeit aus dem Jahre 1930, stellte fest, dass von 1.500 Absolventinnen bis 1928/29 nur ca.300 Akademikerinnen in ihrem Beruf arbeiteten oder diesen Beruf zumindest eine gewisse Zeit ausgeübt hatten. Viele der Akademikerinnen arbeiteten in untergeordneten Stellungen mit geringem Sozialprestige, z.B. als Sekretärinnen, Buchhalterinnen, Korrespondentinnen und Stenotypistinnen[13]. Solche Erwerbsbiografien hinterließen leider nur wenige für die Nachwelt sichtbare Spuren.

Zudem verringerte die Wirtschaftskrise und zunehmende Arbeitslosigkeit die Chancen von Akademikerinnen eine ihrer Ausbildung entsprechende Anstellung zu finden. Im Wettbewerb um Arbeitsplätze bediente man sich bereits bekannter Argumente: Studium als auch Berufstätigkeit wären als Übergangslösung bis zur Eheschließung geeignet, aber Ehe und Mutterschaft wäre der eigentliche Beruf der Frau. Auch dies wird ein Grund sein, weshalb nur wenige der bisherigen Recherchen zu Hinweisen auf Leben und Berufstätigkeit der ersten Absolventinnen führten. Zweckdienliche Informationen und Hinweise auf weitere Quellen sind herzlich willkommen und können an Sonja Lydtin gerichtet werden.

Herkunft der Studentinnen

Die Pionierinnen im Wirtschaftsstudium, die vor rund 100 Jahren als erste Frauen an der k.k.Exportakademie und an der Hochschule für Welthandel studiert haben, zeichneten sich durch eine Vielfalt an Nationalitäten aus: Im Jahr 1923 kamen ca. 50% der Hörerinnen aus dem Ausland, insbesondere aus Litauen, Bulgarien, der Tschechoslowakei und Jugoslawien. 4 der 5 ersten Absolventinnen stammten aus Galizien. Der hohe AusländerInnenanteil wurde mit dem Fehlen gleichwertiger Hochschulen in den Nachfolgestaaten der Monarchie begründet. Die soziale Herkunft der Hörerinnen ließ sich durch die von ihnen genannten Berufe ihrer Väter bestimmen. Ein großer Teil der Studentinnen kam in der Zwischenkriegszeit aus dem Bildungsbürgertum (Ärzte, Rechtsanwälte, hohe Beamte und Angestellte), eine fast ebenso große Gruppe aus dem Mittel- und Kleinbürgertum (Beamte und Angestellte) [14].

Nachfolgend werden jene Frauen beschrieben, die als erste ein Studium an der k.k.Exportakademie und an deren Nachfolgeorganisation, Hochschule für Welthandel, abgeschlossen hatten. Die Daten beruhen u.a. auf den im Universitätsarchiv vorliegenden statistischen Jahrbüchern sowie Studierendenkarteikarten:

Bis 1930 haben an der k.k.Exportakademie und ihrer Nachfolgeorganisation Hochschule für Welthandel insgesamt 2.994 Personen ihr Studium abgeschlossen, darunter 128 Frauen (4%)[17]. 1930 wurde der Hochschule für Welthandel das Promotionsrecht verliehen und 1932 wurden erstmalig Promotionsstudien an der Hochschule für Welthandel abgeschlossen. Die Namen dieser Pioniere und einer Pionierin sind dank der Festschrift „Die feierliche Inauguration des Rektors der Hochschule für Welthandel“ für das Studienjahr 1932/33 bekannt. Im Bericht von Prorektor Josef Gruntzel anlässlich der Inaugurationsfeier vom 23. November 1932 heißt es: „Am 15. Juli 1932 wurden die ersten sechs Kandidaten zu Doktoren der Handelswissenschaften promoviert, und zwar Max Stadler, Gustav Stanzl, Otto Schirn, Otto Baron, Hermine Goll und Siegfried Lettner.“[18]

Im Jahr 1933 haben insgesamt 31 Männer und eine Frau an der Hochschule für Welthandel promoviert:[19]

Textbelege

Hier finden Sie die Quellenangaben.