Welthandel

Das neue Lieferkettengesetz: Ein Katalysator für nachhaltige Entwicklung?

19. April 2024

Nach einigen Verzögerungen hat der EU-Rat am 15.03.2024 für die Lieferkettenrichtlinie (Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit; CSDDD) gestimmt. Diese Richtlinie läutet einen Paradigmenwechsel ein.

Ein Kommentar von Miriam Wilhelm & Charlotte Both 

Miriam Wilhelm

Es nimmt Unternehmen erstmals in die Pflicht, Verantwortung über die eigenen Firmengrenzen hinaus für die Umwelt und Menschenrechte in ihren globalen Lieferketten zu übernehmen. Durch diese Harmonisierung von bestehenden nationalen Lieferkettengesetzen wie in Deutschland und Frankreich auf EU-Ebene erhoffen sich die Gesetzgeber ein „level playing field“ für Unternehmen (= gleiche Regeln für alle) zu etablieren. Gleichzeitig soll die ökonomische Macht der Unternehmen genutzt werden, um die Umwelt und Menschenrechtsstandards in den Beschaffungsländern nachhaltig zu verbessern.

Die gesetzten Nachhaltigkeitsziele sind allerdings nicht neu – viele Unternehmen verfolgen sie schon mehrere Jahre freiwillig und legen über ihre Maßnahmen Rechenschaft in Nachhaltigkeitsberichten ab. Bislang wurde die Verantwortung für das Erreichen dieser Nachhaltigkeitsziele allerdings an die Lieferanten durchgereicht. Kritiker sprachen auch von einer ‚Abwälzen der Verantwortung’ und Kosten. Das soll sich nun mit den neuen Sorgfaltspflichten ändern. Anstelle einer bloßen Transparenzerklärung handelt es sich bei der Richtlinie um eine Bemühenspflicht: Unternehmen müssen „ihr Bestes geben“, um Nachhaltigkeitsrisiken in ihren Lieferketten aufzuspüren und angemessene Präventions- und Abhilfemaßnahmen errichten.

Allerdings sind diese Lieferkettengesetze als Katalysator für nachhaltige Entwicklung umstritten. Von manchen wird das Gesetz als „Papiertiger“ bezeichnet, da der zusätzliche Bürokratieaufwand kritische Ressourcen in Zeiten multipler Krisen binden würde. Außerdem würden die Pflichten vor allem kleinen und mittelständische Unternehmen zur Last fallen, da ihre Kunden die eigenen Sorgfaltspflichten nach wie vor an sie durchreichen könnten. Somit könnten die neuen Sorgfaltspflichten zu Nachteilen für europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb führen.

Andere kritische Stimmen warnen vor unbeabsichtigten Konsequenzen der Sorgfaltspflichten in den Beschaffungsländern. Zum einen können sie eine Form des „Neo-Kolonialismus“ darstellen, wenn ein westlich geprägtes Verständnis von Nachhaltigkeit auf die Beschaffungsländer übertragen wird. Zum anderen besteht die Sorge vor einer Ausgrenzung von Lieferanten in bestimmten Schwellenländern aus internationalen Wertschöpfungsketten. Vor allem ressourcenarme Lieferanten hadern häufig mit der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstandards und könnten somit aus dem Markt gedrängt werden. Eine erste mögliche Konsequenz wäre, dass Unternehmen beispielsweise nur noch von größeren Plantagen ihre Ware beziehen und die Handelsbeziehungen mit Kleinbauern einstellen. Des Weiteren könnten Unternehmen auf Grund von Risikoaversion ihre Investitionen und Handelsbeziehungen in bestimmten Regionen ganz einstellen, was zur Folge hätte, dass andere Firmen mit geringeren Standards die entstandene Lücke füllen und die Situation vor Ort sogar verschlimmern.

Yvonne Jamal, Vorstandsvorsitzende des JARO Instituts für Nachhaltigkeit und Digitalisierung e. V., sagt zu den Unternehmen: „ihr habt Macht, macht was draus“ . Ob und wie die Unternehmen ihre Macht in Zukunft nutzen werden, um Umwelt und Menschenrechtsstandards in Beschaffungsländern durch die CSDDD wirklich zu verbessern, wird sich zeigen, aber der erste Aufschlag ist gemacht. Entscheidend wird sein, dass Unternehmen ihr Denken weg von ‚Compliance-Risiken‘ und Wettbewerbsnachteilen bewegen, und CSDDD als kollektive Anstrengung für mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit in globalen Lieferketten sehen.

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