Seitlicher Blick auf das D2 Gebäude.

Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal

Ein Rückblick auf ein Semester im Distanzmodus, mit Ausblick

Distanzlehre

Ein „Notsemester“ ist vorbei – die letzten Wochen und Monate haben allen Beteiligten viel abverlangt. Der Lock-Down im März hat insbesondere auch unseren Arbeitsbereich der Lehre vor ganz besondere Herausforderungen gestellt. Innerhalb von wenigen Tagen galt es Entscheidungen zu treffen, wie unter den neuen Gegebenheiten, keine Präsenzeinheiten mehr stattfinden zu lassen, Lehre neu organisiert werden kann.

Direkter Austausch war vorerst nicht möglich – die Frage stellte sich, wie viel Distanz es geben kann und geben soll, und wie wir diese unterschiedlichen Phasen gestalten. Viele der KollegInnen, die Lehreinheiten in den ersten Tagen nach dem Lock-Down hatten, blieb gar nichts anders übrig, als asynchrone Varianten der Distanzlehre zu wählen – wobei dies bedeutete, die vorbereiteten Lehreinheiten in eine andere Form überzuführen. Aufgabenstellungen galt es anders aufzubereiten, zwischen unterschiedlichen Aufbereitungsformen zu wählen (Vertonung von Präsentationsfolien, Lecturecasts von Lehreinheiten mit/ohne Streaming). Es war sehr spannend zu beobachten, welche Formen hier gewählt wurden.

Viele KollegInnen haben sich schon sehr bald mit der Auswahl und der Nutzung von passenden Online-Kommunikations- und Kollaborationssystemen (vor allem für Webkonferenzen) beschäftigt. Der grundlegende Einsatz wird schon seit einigen Jahren diskutiert (etwa im Kontext der Blended-Learning-Initiative der WU oder der ExAc), wobei es hier unterschiedliche Einsatzszenarien gibt. Durch die COVID-19-Maßnahmen ist fast die gesamte Belegschaft betroffen und nach ca. zwei Monaten des Einsatzes der bestehenden Systeme gibt es folgende erste Befunde:

Reine Online-Lehrveranstaltungen haben gegenüber Präsenzveranstaltungen in didaktischer Hinsicht mehr Nachteile als Vorteile. V.a. die Problematik, dass in größeren Gruppen (beginnt bereits dort, wo durchaus aus gutem Grund ohne Kameraaktivierung gearbeitet wird) die aktive Teilnahme an der LV mangels sozialer Gegenwärtigkeit durch den/die LV-LeiterIn und die Studierende selbst nicht gewährleistet ist. Eine Aktivierung der TeilnehmerInnen ist viel schwieriger zu erreichen als im Hörsaal. Das selbstorganisierte studentische Arbeiten in Gruppen ist auf Distanz schwerer durchführbar oder zumindest mit viel mehr Koordinierungsaufwand verbunden. All das lässt – bei flächendeckendem und unbefristetem Einsatz – eine Verschlechterung der Lehrqualität und damit der Ausbildung befürchten. Dazu kommen all die Problemfelder der breit eingesetzten Distanzprüfungen. Das beginnt bei bis heute unbeantworteten Fragen zu einer passenden Prüfungsordnung (Umgang mit technischen Problemen und Nachweis schwerer Mängel i.S.d. Rechtsschutzes bei Prüfungen) über die Verhältnismäßigkeit und Effektivität der Maßnahmen gegen die Erschleichungsversuche (z.B.: „online proctoring“) bis hin zur grundlegenden Anforderung, die Kenntniskontrolle in den Distanzsemestern gleichwertig und vergleichbar zu den Präsenzsemestern zu gestalten. Effekte auf die zweifelhafte Erfolgsgröße der „Prüfungsaktivität“ sind noch nicht abzusehen.

Aufgrund der fachdidaktisch sehr unterschiedlichen Erfordernisse in den jeweiligen Studienprogrammen und Fachrichtungen an der WU an eine (gemischte) Präsenz- wie auch Distanzlehre braucht es eine Öffnung und Erweiterung der Portfolios an Softwarelösungen für die Distanzlehre (d.h. über MS Teams hinaus). Gleichzeitig braucht es effektive und umfassende Unterstützung der Lehrenden in der Anwendung dieser Softwarelösungen im Kontext ihrer jeweiligen Kursformate (Schulungen, TutorInnen).

Ein zweiter zentraler Bereich ist das Spannungsverhältnis zwischen den Einsatzfeldern und Wünschen von Lehrenden bzw. Studierenden als NutzerInnen ihrer Online-Kommunikations- und Kollaborationssysteme, einerseits, und Fragen der Datensicherheit und des Datenschutzes andererseits. Das ist durch die Erfahrungen der letzten Wochen sehr deutlich geworden. Den sich daraus ergebenden Fragestellungen stellen sich die Betriebsräte und die VertreterInnen der IT Services seit mehreren Wochen, um hier ausgewogene und praktikable Lösungen zu finden (zum Beispiel in den vorerst abgeschlossenen Verhandlungen zu einem dauerhaften Einsatz von MS Teams an der WU (siehe Beitrag zu „MS Teams an der WU“).

Exemplarisch wollen wir die Handhabe der Möglichkeit zur Bild- und Tonaufzeichnung („Recording“) herausgreifen. Diese Funktionen werden in den einzelnen Softwarelösungen als integrative Bestandteile angeboten (z.B.: Recording-Funktion in MS Teams)– das ist per se interessant und spannend. Recording ist aber auch außerhalb dieser Softwarelösungen möglich („Screen Recording“) und hier können Situationen eintreten, in denen TeilnehmerInnen (Lehrende wie auch Studierende gleichermaßen) keinerlei Hinweise darauf erhalten, dass gerade Aufnahmen getätigt werden. Ende dieses Semesters sind erste Fälle von entgeltlichen Angeboten solcher Aufnahmen aufgetaucht; hier gilt es auf mehreren Ebenen dagegen aufzutreten: Wir haben als Vortragende das Recht zu bestimmen, wann und wie der Vortrag erstmalig festgehalten wird – wir genießen als Vortragende den so genannten „Leistungsschutz“ – und dessen sollten wir uns bewusst sein. Dies ist in der Wirkung gleichwertig, aber nicht zu verwechseln mit dem geltenden Verbot von Ton- und Bildaufzeichnungen in Hörsälen lt. WU-Hausordnung (diese greift aber in der Distanzlehre nicht!). Wenn wir selbst bestimmen, dass wir z.B. Lecturecasts anlegen und verbreiten, dann ist das unsere Entscheidung. Wenn jedoch Dritte von uns nicht autorisierte Aufnahmen anlegen und dann verbreiten (u.U. sogar kommerzialisieren!), können wir rechtliche Schritte setzen. Die WU als Arbeitgeberin muss uns dabei unterstützen!

Das Vizerektorat für Lehre und Studierende wie auch die Rechtsabteilung bieten dabei mittlerweile Unterstützung für Lehrende im Einzelfall. Ein aktives Kommunizieren dieser grundlegenden Spielregeln in der Distanzlehre an die Studierenden ist mit Stand dieser Woche noch ausständig. Wir als Betriebsräte fordern, diesen wichtigen Kommunikationsschritt rechtzeitig zum Start des kommenden Wintersemesters zu setzen. 2015 gab es in dieser Hinsicht schon einmal eine umfassende Informationskampagne des damaligen VR Lehre. Notwendig erachten wir auch dahingehende Formulierungshilfen, etwa für Syllabi und Anschreiben.

Es ist aber auch an uns als Lehrende, alle TeilnehmerInnen einer Online-Konferenz, in welchem Tool auch immer, auf diese Spielregeln aktiv hinzuweisen. Letztlich sollten wir auch im Eigeninteresse darauf achten, den Bildeinsatz zu minimieren (Muss die Kamera stets aktiviert sein? Muss der gesamte Bildschirm geteilt werden?) und uns rechtzeitig über die Möglichkeit zur technischen Vorbeugung informieren (lassen). Für MS Teams etwa lässt sich für und auf Ebene eines geplanten bzw. eines laufenden Meetings die sogenannte Rolle als „Presenter“ auf einen selbst beschränken, sodass die Recording-Funktion effektiv für jede andere TeilnehmerIn (losgelöst von dessen Hintergrund als Gast, Studierende/r oder MitarbeiterIn) deaktiviert wird (siehe genaue Anweisungen  in MS Teams). Es versteht sich von selbst, dass solche sinnvollen Einstellungen als Grundeinstellungen gesetzt sein sollten und die Lehrenden aktiv über diese Möglichkeiten informiert werden müssen.

Der Blick auf den Herbst und die Planungsvorbereitungen dafür habe in den letzten Wochen gezeigt, dass die Normalität (noch) nicht einziehen wird. Das Vizerektorat für Lehre und Studierende hat sich dazu entschieden, wenn irgendwie möglich, zur Präsenzlehre wieder zurückzukehren – einzig die Planungsparameter im Hinblick auf Abstandsregeln etc. stellen viele von uns Lehrenden vor große Herausforderungen, denn sind mehrere Szenarien zu planen und damit auch unsere Ressourcen bzgl. der Vorbereitung auf das vor uns liegende „Ausnahmesemester“ viel stärker gebunden als in früheren Vorbereitungsphasen.

Es ist beobachtbar, dass wir uns derzeit sehr stark mit planerischen Agenden befassen, wobei wir folgende wesentlichen Aspekte der universitären Lehre nicht aus den Augen verlieren sollten: Die Universität ist ein Ort der Begegnung. Wissen, Erkenntnis, Kritik und Innovation kann und soll in dieser Begegnung entstehen und entsprechen braucht es einen gemeinsam belebten sozialen Raum, der eine diskursive, kritische und selbständige Aneignung in der Kommunikation erlaubt. Die universitäre Lehre beruht auf diesem kritischen, kooperativen und vor allem auch vertrauensvollen Austausch. Die Herausbildung von entsprechenden Austauschbeziehungen ist nicht vollständig im virtuellen Raum erreichbar. Und letztendlich ist Studieren eine Lebensphase des Kollektiven, in der neben diesem kollektiven Austausch, Freundschaften und auch Netzwerke gebildet werden.

Unsere derzeitigen Formate und Möglichkeiten, Lehrveranstaltung auf Distanz, durchzuführen erfüllen nur eingeschränkt diese genannten Aspekte und deshalb darf unser Ziel nicht sein, Distanzlehre als das Credo des neuen Studierens an der WU zu sehen.

03.07.2020

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