Studierende sitzen auf den Holzinseln vor dem D2

Wie wenig es braucht, um etwas Gutes zu tun

Das psychische und physische Unwohlsein ausgelöst durch den Blick von der Couch durchs Fenster ins Freie; das schlechte Gewissen verursacht durch die Erkenntnis, dass man sich schon viel zu lange nicht bei den Eltern gemeldet hat; die innere Unruhe begründet durch den ungeschriebenen Essay der seit Tagen im Hinterkopf herumschwirrt.
Was all diese Situationen gemeinsam haben? Sie beschreiben die Gefühlslage kurz bevor man sich zu einem ersten Schritt überwinden muss. Sie beschreiben Situationen, in denen man sich in der vermeintlichen Komfortzone befindet und über einen Austritt aus derselben nachdenkt.

Komfortzone verlassen

Doch der Schein trügt. Die eigene Komfortzone wurde in Wahrheit schon längst verlassen. Denn klingt das Jucken in den Beinen, welche einen schon viel zu lange nicht mehr über die Distanz vom Schreibtisch zum Kühlschrank hinaus transportiert haben, nach Wohlbefinden? Wie groß ist der Wohlfühlfaktor wirklich, wenn jeder Blick aufs Handy durch eine Erinnerung an die Leute, die sich auch schon über ein kurzes Telefonat freuen würden, bestraft wird? Und inwieweit kann man sich wirklich entspannen, wenn man genau weiß, dass Dinge wirklich nur aufgeschoben und nicht aufgehoben sind?


Dazu kommt, dass die Möglichkeit diese angebliche Wohlfühlzone zu verlassen nicht einmal wirklich in Betracht gezogen wird. Denn denkt man wirklich ernsthaft darüber nach sich zu überwinden und versucht verschiedene Argumente zu finden, um diese dann gegeneinander abzuwägen? Eher nicht. In der Realität werden zwar auch fleißig Argumente gesammelt, die Suche jedoch gestaltet sich meistens sehr einseitig. Das eigentliche Ziel ist es möglichst viele Punkte zu finden, die grundsätzlich dagegen sprechen sich aufzuraffen und über den eigenen Schatten zu springen oder - und das ist noch viel öfter der Fall - dazu animieren das Vorhaben auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

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Was hat all das mit Freiwilligenarbeit zu tun?

Die Erkenntnis, dass der erste Schritt um ein Vielfaches schwerer fällt als die die folgen, ist weder eine revolutionäre Erkenntnis auf dem Gebiet der Verhaltenspsychologie noch ist damit auch nur einer einzigen Person, die Unterstützung bräuchte, geholfen. Könnte man meinen. Denn meistens gibt es nur zwei Hilfestellungen solch einer misslichen Lage zu entkommen.

Die erste Möglichkeit ist wohl das genaue Gegenteil von dem, was man als intrinsische Motivation versteht: Druck, der einem keine andere Wahl lässt als sich der Situation zu stellen. Das Problem hier ist nur, dass sie nicht immer „zur Verfügung“ steht. Denn wie das Wort „Freiwilligenarbeit“ zum Beispiel unschwer erkennen lässt, gibt es Situationen, in denen es diesen Druck nicht gibt und man etwas aus freien Stücken, ohne jeglichen Druck, in Angriff nehmen muss.

Die zweite Hilfestellung zum Überwinden des Dilemmas jedoch ist zum Glück simpler, intrinsisch und wahrscheinlich jene Eigenschaft, die uns am stärksten von den restlichen Lebewesen auf diesem Planeten abhebt: Die menschliche Vorstellungskraft.

Was beim Laufen der Gedanke an die wohltuende Erschöpfung bei der Rückkehr ist, ist bei der Freiwilligenarbeit die Vorstellung, dass man eine echte Unterstützung für andere darstellen kann. Der Gedanke daran, dass man es nur durch die Zurverfügungstellung eines kleinen Teils der eigenen Zeit und Aufmerksamkeit schafft, den Tag eines Mitmenschen zu verbessern, gibt so viel Kraft, dass die Überwindung sich aufzuraffen so gut wie keine Energie mehr kostet. Die Vorstellung davon, wie wenig es braucht, um Menschen bei der Bewältigung von Aufgaben zu helfen, die für sie auf den ersten Blick unüberwindbar wirken, sorgt dafür, dass man auf einmal selbst weniger Schwierigkeiten beim Überwinden der eigenen Herausforderungen hat. Und schlussendlich die Realisation im Nachhinein, wie wenig es braucht, um etwas Gutes zu tun, führt dazu, dass man plötzlich Probleme damit hat Argumente zu finden, die gegen etwas sprechen als umgekehrt.

Über den Schatten springen

Und genau aus diesen Gründen kann man jeden nur dazu ermutigen sich vorzustellen was man alles tun kann, um dann auch den ersten Schritt zu wagen und diese Situationen in der Wirklichkeit zu erleben. Man kann jedem und jeder Einzelnen, der/die schon einmal darüber nachgedacht hat sich sozial zu engagieren nur in seinem/ihrem Vorhaben bestärken und von den tollen Erfahrungen, die man selbst erleben durfte, erzählen, um ihnen dabei zu helfen, den Sprung über den eigenen Schatten zu wagen. Es ist so wichtig, möglichst viele Menschen wissen zu lassen, wie leicht es sein kann anderen zu helfen und wie viel man davon zurückbekommt, um ihnen dabei zu helfen sich aufzuraffen. Denn nur so schafft man es so endlich die Komfortzone, die in Wahrheit gar keine ist, hinter sich lassen und in eine echte einzutreten.


Denn Freiwilligenarbeit hilft nicht nur anderen, sondern auch einem selbst.

 

 

Autor: Florian, Lernbuddy im WiSe 2020/21 & SoSe 2021