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Wie sich der Brexit auf die Forschungsnetzwerke Europas und Österreichs auswirkt

01. August 2016

Der Brexit ist beschlossen und wird von der neuen britischen Regierung entschlossen umgesetzt werden. Die möglichen Auswirkungen dieses erstmaligen Austritts eines EU Landes auf die Forschungsnetzwerke Europas und Österreichs wurde von André Martinuzzi vom WU-Institut für Nachhaltigkeitsmanagement gemeinsam mit FAS research ermittelt. Gegenstand der Analyse waren hierfür die Daten über Forschungskooperationen von Universitäten, freien Forschungseinrichtungen, Industrie und KMUs der letzten 10 Jahre. Die Ergebnisse verdeutlichen die zentrale Stellung britischer ForscherInnen und Organisationen in den Forschungsnetzwerken Europas.

„Die Analyse der vorliegenden Daten hat sichtbar gemacht, dass ForscherInnen in Großbritannien wesentlicher Bestandteil des internationalen Forschungsnetzwerks sind. Es liegt daher im Interesse der Briten ein Assoziationsabkommen ähnlich der Schweiz, Israel und Norwegen abzuschließen. Derartige Zugangsregeln wären auch im Interesse Österreichs, das intensive Forschungskooperationen mit Großbritannien pflegt und dessen JungforscherInnen sich von einem Aufenthalt in Großbritannien den Einstieg in die internationale Spitzenforschung erhoffen. Um die Forschungspolitik der EU nachhaltiger zu gestalten, sollte künftig auf eine bessere Risikostreuung durch Diversität geachtet und die Entwicklung regionaler Exzellenzzentren gefördert werden“, so André Martinuzzi, Leiter des WU-Instituts für Nachhaltigkeitsmanagement.

15 Prozent EU-Fördermittel für GB  

Großbritannien spielte in den letzten Jahren eine zentrale Rolle im europäischen Forschungsraum. Rund 10 Prozent der Organisationen in EU Forschungsprojekten stammen aus Großbritannien, rund 15 Prozent der EU Fördermittel flossen in den letzten Jahren nach Großbritannien, an rund 40 Prozent der EU-Forschung sind Organisationen aus Großbritannien beteiligt. Sie sind in der Gesundheitsforschung überdurchschnittlich repräsentiert und in Informations- und Kommunikationstechnologien, Nanowissenschaften und Biotechnologie stark vertreten. Britische Universitäten wie Cambridge, Oxford oder das University College London sind weltweit führend und konnten ihre Erfolge in der Akquisition von Fördermitteln in den letzten zehn Jahren vervielfachen. Großbritannien war damit bisher nach Deutschland der zweitwichtigste Player in der europäischen Forschung.

Wichtiger Knotenpunkt

Der Brexit könnte beachtliche Löcher in EU-weite Forschungsnetzwerke reißen. Ein Wegfall der britischen Beteiligungen an EU weiten Forschungsvorhaben würde nicht nur die britischen ForscherInnen und Forschungseinrichtungen schwer treffen, sondern auch beachtliche strukturelle Auswirkungen zur Folge haben. Würden Akteure aus Großbritannien nicht mehr an kooperativen EU-Projekten teilnehmen können, würden sich die Beziehungen in den EU-weiten Forschungsnetzwerken um rund 20% verringern obwohl nur 10% der Organisationen aus Großbritannien stammen. Dies zeigt den hohen Vernetzungsgrad und die zentrale Position, die britische Forschungseinrichtungen in Europa haben.

Forschungskarrieren gefährdet  

Besonders betroffen wären auch junge ForscherInnen aus ganz Europa, für die Mobilitäts-Stipendien aus dem Marie Curie Programm und Forschungsprämien des European Research Council (ERC) Zugänge zur Spitzenforschung ermöglichten. Für sie würde ein kompletter Wegfall die Vernetzung mit prestigeträchtigen Universitäten deutlich erschweren und negative Auswirkungen auf ihre Forschungskarrieren haben. Es liegt daher sowohl im Interesse Großbritanniens, als auch der JungforscherInnen aus ganz Europa, dass ein Assoziationsabkommen ähnlich wir mit der Schweiz, Israel und Norwegen abgeschlossen wird.

Auswirkungen auch auf Österreich

Obwohl nur 10 Prozent der internationalen Kooperationspartner Österreichs aus Großbritannien stammen, sind an rund 54 Prozent aller EU Projekte mit Österreich-Beteiligung auch Organisationen aus Großbritannien beteiligt. Besonders viele Projekte mit Kooperationsbeziehungen zwischen österreichischen und britischen Partnern finden sich bei Informations- und Kommunikationstechnologien, in Gesundheitsforschung, Umweltforschung und Nanotechnologie. Ferner ist der Anteil industrieller Partner österreichischer Forschungseinrichtungen in Großbritannien besonders hoch (rund 65 Prozent). „Gerade in der Forschung sind langfristige Kooperationsbeziehungen entscheidend“ streicht Harald Katzmair von FAS research hervor. „Der Schatten der Zukunft beeinflusst, ob Wissen geteilt und kooperativ geforscht wird. Wenn der Brexit zu lange andauernden Unsicherheiten über die Rahmenbedingungen führt, werden die Netzwerke ausdünnen und kaum neue Kooperationen eingegangen.“

Risiken für die EU

Für die EU zeigen sich nun die Risiken von Exzellenzstrategien und Konzentrationseffekten. Im globalen Technologie-Wettbewerb hat die EU bisher auf die Förderung weniger, großer und wissenschaftlich exzellenter Organisationen gesetzt. Der unter der Redaktion von André Martinuzzi verfasste Evaluierungsbericht des 7. EU Forschungsrahmenprogrammes hat dies aufgezeigt: Rund 60 Prozent der vergebenen Fördermittel entfielen auf nur 1,7 Prozent der geförderten Organisationen (insgesamt 500 Universitäten, Forschungseinrichtungen und Großbetriebe). Bei den ERC Grants ist die Konzentration noch größer: Hier entfielen rund 68 Prozent der Fördermittel auf nur 100 Organisationen. „Die möglichen Konsequenzen des Brexit zeigen die Risiken dieser Konzentrationseffekte auf“ hebt André Martinuzzi hervor. „Eine nachhaltigere Strategie sollte sich auf die UN Nachhaltigkeitsziele beziehen, auf eine bessere Risikostreuung durch Diversität achten und die Wissenschaft näher zu den Menschen bringen. So kann eine positivere Einstellung der Bevölkerung gegenüber der EU als Zukunftsträger und Innovationsmotor aufgebaut werden“.

Pressekontakt:
Mag. Anna Maria Schwendinger
Presse-Referentin
Tel: + 43-1-31336-5478
E-Mail: anna.schwendinger@wu.ac.at
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