Eine Person liest eine spanische Tageszeitung

Schattenseiten der Widerspruchslösung bei Organspenden

29. Oktober 2025

Neue WU-Studie liefert überraschende Erkenntnisse.

Eine neue Studie der WU Wirtschaftsuniversität Wien liefert überraschende Erkenntnisse zur Widerspruchslösung (Opt-out) bei der Organspende, die seit 1982 auch in Österreich gilt. Die Analyse zeigt: Nach der Einführung solcher Opt-out-Regelungen steigt die Zahl der Organspenden nach dem Tod nur leicht, während die Zahl der Lebendspenden, also Spenden von lebenden Personen, deutlich zurückgeht. Das hat negative Folgen für das Organspendesystem.

Die Knappheit an Spender*innen-Organen zählt zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Eine Strategie, um dieser Herausforderung zu begegnen, ist die sogenannte Opt-out-Regelung: Das bedeutet, dass nach dem Tod Organe entnommen werden dürfen, sofern die verstorbene Person zu Lebzeiten keiner Organspende ausdrücklich widersprochen hat. Neben Österreich ist diese Regelung auch in vielen anderen europäischen Ländern in Kraft – etwa in Spanien, Frankreich oder England. Doch zeigt sie die erhoffte Wirkung?

Opt-out-Regelung: Geringe Auswirkung auf Organspenden insgesamt, aber deutlicher Rückgang bei Lebendspenden

Ein internationales Forschungsteam rund um WU-Forscher Prof. Dr. Baris Pascal Güntürkün, Department für Marketing, hat Daten aus 24 Ländern über einen Zeitraum von 25 Jahren ausgewertet. Sechs dieser Länder sind im Untersuchungszeitraum von einer Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung gewechselt, darunter etwa England und die Niederlande. Das Ergebnis: Die Zahl der Organspenden nach dem Tod stieg im Durchschnitt nur um rund 7 Prozent, während die Lebendspenden um 29 Prozent zurückgingen. „Über alle Länder, die auf eine Opt-out-Regelung umgestiegen sind, führte die Regelung somit zu einem insgesamt geringeren Spendenaufkommen“, so Güntürkün. Noch dazu kommt, dass postmortale kein gleichwertiger Ersatz für Lebendspenden sind. Während Verstorbene mehrere Organe spenden können, führen Lebendspenden – etwa von Nieren – meist zu besseren medizinischen Ergebnissen und Überlebenschancen für die Empfänger*innen.

WU-Studie deckt auf: Widerspruchslösung hat unbeabsichtigte psychologische Effekte

Eine vergleichende Befragung zwischen Deutschland (Opt-in-Regelung) und Österreich (Opt-out-Regelung) zeigte zudem, die Bereitschaft zur Lebendspende in Österreich insgesamt deutlich geringer ist als in Deutschland. Zwar ist die Bereitschaft an Familienmitglieder zu spenden in etwa gleich, aber bei altruistischen Spenden an entfernte Bekannte oder fremde Personen ist der Unterschied markant. Grund dafür ist laut der WU-Studie, dass viele Menschen fälschlicherweise davon ausgehen, dass durch das Opt-out-System bereits genug Organe zur Verfügung stehen. „Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass gut gemeinte politische Maßnahmen unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben können“, so Güntürkün. „Wenn Menschen davon ausgehen, dass das System automatisch für genügend Spender*innen sorgt, sinkt ihre Bereitschaft für eine Lebendspende.“ Um solidarisches Handeln langfristig zu stärken, sollten Verhaltensanreize laut den Studienautor*innen sorgfältig gestaltet und kommunikativ begleitet werden.

Detaillierte Studienergebnisse und weitere Informationen

Link zur Studie

Pressekontakt:

Julia Kreimel, MSc.

Wissenschaftskommunikation

Tel: + 43-1-31336-5478

E-Mail: julia.kreimel@wu.ac.at

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