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Diskriminierung in der Medizin: Behandeln deutsche Ärzt*innen türkische Patient*innen anders?

07. Dezember 2021

Werden türkische Patient*innen von deutschen Ärzt*innen anders behandelt? Welche Rolle spielt die Krankenversicherung? Eine neue experimentelle Studie der Wirtschaftsuniversität Wien und der Johannes Kepler Universität Linz gibt Antworten.

Angehörige von Minderheiten sehen sich vielen gesundheitlichen Herausforderungen gegenüber. Trägt Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung dazu bei? In einer experimentellen Studie (einer correspondence testing study) wurde untersucht, ob niedergelassene Ärzt*innen in Deutschland Angehörige einer ethnischen Minderheit anders behandeln. Durchgeführt wurde die Studie unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Martin Halla (Abteilung Wirtschaftspolitik der JKU) und Prof. Rupert Sausgruber (Institut für Finanzwissenschaft und öffentliche Wirtschaft der WU Wien). Dazu wurden 3,224 Arztpraxen (aus verschiedenen Fachgebieten) in 79 deutschen Großstädten kontaktiert und um einen Termin gebeten. Dies erfolgte auf Basis von Mail-Terminanfragen mit zufälligen Merkmalen fiktiver Patient*innen. Der Fokus lag auf der ethnischen Zugehörigkeit (Deutsch vs. Türkisch) und der Art der Krankenversicherung (privat, PKV vs. gesetzlich, GKV).

Christian Schmidt versus Ahmet Yilmaz

Die Absendernamen der fiktiven Patienten waren „Christian Schmidt“ und „Ahmet Yilmaz“. Kontaktiert wurden Zahnärzt*innen, Augenärzt*innen, Dermatolog*innen und Orthopäd*innen. Die hohe Antwortrate von 74 Prozent zeigt, dass E-Mails eine akzeptierte Möglichkeit der Terminvereinbarung sind. Um den verursachten Aufwand bei den Ärzt*innen zu minimieren, wurden die Termine sofort nach Bestätigung abgesagt. Somit konnte auch ausgeschlossen werden, dass andere Patient*innen aufgrund der Studie keinen Termin erhielten.

Gesetzliche versus private Krankenversicherung

Es ist wichtig zu betonen, dass Ärzt*innen eine höhere Vergütung für die Behandlung von PKV-Versicherten erhalten. Das heißt, es ist lukrativer PKV-Versicherten an Stelle von GKV-Versicherten einen Termin zu geben. Das institutionelle Umfeld in Deutschland bietet ein exzellentes Testfeld für ethnische Diskriminierung, da der Versicherungstyp der Patient*innen den Umsatz der Ärzt*innen determiniert und die ethnische Zugehörigkeit eigentlich keinen Einfluss haben sollte. Würden Ärzt*innen trotzdem „Christian Schmidt“ eher einen Termin geben als dem gleich versicherten „Ahmet Yilmaz“, so wäre dies ein starkes Indiz für ethnische Diskriminierung.

Terminvergabe & Wartezeit

In der Studie wurde vor allem untersucht, ob sich die Rate der vergebenen Termine über die unterschiedlichen fiktiven Patienten unterscheidet. Weiters wurde auch die Dauer bis zur Antwort, die Dauer bis zum Termin oder etwaige Angaben zur voraussichtlichen Wartezeit in der Praxis analysiert.

„Ahmet Yilmaz“ wird im Schnitt bei gleicher Versicherung gleichbehandelt.

Die Studie zeigt, dass die ethnische Zugehörigkeit per se keinen Effekt auf den Erhalt eines Termins oder auf die Wartezeiten hat. Dieses Resultat gilt für beide Versicherungstypen der Patient*innen und für alle Fachgebiete der Ärzt*innen. Wie bereits in anderen Studien gezeigt wurde, ist die Versicherung jedoch stark ausschlaggebend. GKV-Versicherte erhalten in 41 Prozent der Fälle einen Termin. Für PKV-Versicherte ist die Wahrscheinlichkeit, einen Termin zu erhalten um 32 Prozent höher und beträgt 54 Prozent (siehe Grafik unten). Weitere Unterschiede zwischen GKV- und PKV-Versicherten ergeben sich hinsichtlich der grundsätzlichen Beantwortung der E-Mails (72 vs. 75 Prozent), der Wartezeit auf einen Termin (plus 8 Stunden) und der Häufigkeit mit der sie eine lange Wartezeit in der Praxis in Aussicht gestellt bekommen (22 vs. 15 Prozent).

Der Wettbewerb unter Ärzt*innen spielt jedoch eine Rolle

Die ökonomische Theorie sagt voraus, dass (bei regulierten Preisen) die Qualität der Behandlungen in der Intensität des Wettbewerbs zunimmt. Dementsprechend findet die Studie, dass in wettbewerbsschwachen Marktsegmenten ethnische Diskriminierung bei GKV-Versicherten vorliegt. In Regionen mit wenigen Arztpraxen erhält somit „Ahmet Yilmaz“ (im Vergleich zu „Christian Schmidt“) weniger wahrscheinlich einen Termin. Der regionale Anteil der AfD-Wähler*innen oder der Anteil der Türk*innen in der Gesamtbevölkerung spielen hingegen keine Rolle.

Überrascht das Ergebnis?

Das Ergebnis, dass keine Diskriminierung von Deutsch-Türk*innen vorliegt mag überraschen, da andere Studien die Diskriminierung von Deutsch-Türk*innen in Lebensbereichen wie dem Arbeits- oder dem Wohnungsmarkt nachweisen. Diese neue Studie zeigt, dass im deutschen Gesundheitswesen wenig Spielraum für (statistische) Diskriminierung vorliegt. Die strukturellen Unterschiede in der Ärzt*innenvergütung (GKV versus PKV) hingegen schaffen dennoch Barrieren für wirtschaftlich benachteiligte Gruppen, zu der auch Deutsch-Türk*innen überdurchschnittlich zählen.

Zur Studie:

Martin Halla, Christopher Kah, Rupert Sausgruber: Testing for Ethnic Discrimination in Outpatient Health Care: Evidence from a Field Experiment in Germany | Download als PDF | Präsentation zur Studie

Kontakt WU Wien:
Alexander Vieß
Forschungskommunikation
Wirtschaftsuniversität Wien
Tel:  + 43-1-31336-5478
E-Mail: alexander.viess@wu.ac.at

Kontakt JKU:
Univ.-Prof. Dr. Martin Halla
Professor of Economics, University of Linz
+43(0)650 8211802
martin.halla@jku.at
http://sites.google.com/site/mhalla1980/

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