Wildes Hasard - Karrieren in Wissenschaft und Forschung
Die Entscheidung, eine Karriere in der Wissenschaft anzustreben, will gut überlegt sein. Was macht eine Position in der Forschung reizvoll? Welche Herausforderungen gibt es, welche Unsicherheiten?
Bereits 1919 beschäftigte sich Max Weber in einer Vorlesung mit der Entscheidung eines jungen Menschen für eine wissenschaftliche Karriere. Weber bezeichnete die universitäre Laufbahn als „wildes Hasard“ – denn viele Entscheidungen im Laufe einer universitären Karriere sind kaum planbar und hängen oft vom Zufall ab. Wie sehen nun im Jahr 2013 – 100 Jahre nach Max Weber – die Arbeitsbedingungen und Perspektiven von Jungforscher/inne/n aus?
Ein Blick hiner die Kulissen
Einerseits Arbeitsbeginn irgendwann zwischen zehn und zwölf Uhr und von einer Konferenz zur nächsten jetten, rund um den Globus. Andererseits Kampf um Fördergelder und Arbeits spitzen auch am Wochenende oder in der Nacht. Wenige Berufsfelder sind von so polarisierenden Stereotypen behaftet wie das des Forschers/der Forscherin. Um hinter die Kulissen dieses Berufsstandes zu blicken, lassen wir seine Vertreter/innen zu Wort kommen. Michael Meyer, Vizerektor für Personal an der WU, bringt den Reiz einer Arbeit für die Wissenschaft auf den Punkt: „Der Beruf des Forschers/der Forscherin ist verbunden mit hoher Autonomie und Selbstbestimmung in der Auswahl des Tätigkeitsbereichs. Forscher/innen haben die Möglichkeit, sich ganz intensiv mit bestimmten Fragestellungen auseinanderzusetzen, ohne dass es einen dringenden Umsetzungsdruck gibt.“ Auch für Alois Geyer, Vorstand des Institute for Financial Research, hat die Arbeit in der Forschung viele Vorteile: „Der Beruf des Wissenschaftlers/der Wissenschaftlerin bietet die Möglichkeit, eigene Ideen zu entwickeln und zu verfolgen und sich dabei intensiv mit den Gedanken anderer Forscher/innen auseinanderzusetzen, und bringt auch Kontakt und Kommunikation mit ‚Gleichgesinnten‘.“
Wie sieht das ein Jungwissenschaftler? Matthias Kasper – er absolviert derzeit das PhD-Studium „International Business Taxation“ (DIBT) – erzählt: „Das Programm verknüpft die Welt der akademischen Forschung eng mit den aktuellen ‚hot topics‘ der Praxis, also Steuerberatung, Tax Law, Tax Policy. Die Mobilität der Studierenden wird stark gefördert und der Kontakt zu renommierten Akademiker/inne/n und Praktiker/inne/n im Bereich ‚Steuern‘ ist vom ersten Tag an sehr eng.“
Licht und Schatten
Wo liegen aber nun die Herausforderungen? Der klassische Weg von der Dissertation über die Habilitation zur Professur ist steinig. Arbeitsverträge sind oft nur auf wenige Jahre befristet und Auslandsaufenthalte sind in vielen Fällen unumgänglich. Geyer gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die geforderte Mobilität eine Belastung für die familiäre Situation bedeuten kann. Außerdem meint er, dass die intensive Beschäftigung mit einem Forschungsthema sehr vereinnahmend sein kann. „Man bekommt das Thema nicht aus dem Kopf, arbeitet am Abend und am Wochenende, was auch zu Konflikten mit Partnerin/Partner und Familie führen kann.“
Eine schwierige Aufgabe im Alltag eines Wissenschaftlers/ einer Wissenschaftlerin ist die Aufteilung zwischen Lehrtätigkeit und Forschung. Alois Geyer: „Eine neue Stelle anzutreten, bedeutet üblicherweise auch, neue Lehrverpflichtungen wahrzunehmen. Das kann sehr aufwendig sein und geht zu Lasten der Forschung, die gerade in der Phase der Etablierung besonders wichtig ist. Hier die ‚richtige‘ Aufteilung zu finden, ist nicht einfach.“
Um eine Professur zu erhalten, spielt auch die inhaltliche Ausrichtung der eigenen Forschungsarbeit eine Rolle. Um bei der Themenfindung für eine Dissertation bzw. Habilitation den Zeitgeist 20 Jahre in der Zukunft zu treffen, ist neben dem Gespür für die richtige Thematik auch ein Quäntchen Glück notwendig.
Für die Forschung geboren?
Welche Eigenschaften muss man nun mitbringen, um in der Forschung Fuß fassen zu können? Michael Meyer meint dazu: „Die Vorstellung von dem/der Einzelkämpfer/in stimmt nur mehr teilweise. Sicher muss man als Forscher/in die immer wiederkehrenden Phasen der intensiven Einzelarbeit mögen. Nichtsdestotrotz ist heute Teamfähigkeit ein wichtiges Kriterium. Gute Forschung passiert meist in Teams, dort werden die Ideen entwickelt, die Ausführung erfolgt aber nach wie vor oft im stillen Kämmerlein.“ Alois Geyer meint, dass auch ein ausreichendes Maß an Unternehmergeist gefragt ist. „Ein/e gute/r Forscher/in muss in der Lage sein, sein/ihr Produkt, die wissenschaftlichen Arbeiten, am Markt zu platzieren. Dazu gehören nicht nur Eloquenz und sehr gute Präsentations fähigkeiten, sondern auch die Bereitschaft, jede Gelegenheit zu nützen, um Kontakte zu knüpfen und diese zu pflegen.“
Wissenschaft oder Wirtschaft
Wie sehen nun die Chancen für einen Doktoranden/eine Doktorandin aus, der/die sich nach Abschluss der Dissertation gegen eine weitere universitäre Karriere entscheidet und sein/ihr erworbenes Wissen in der Wirtschaft anwenden will? Michael Meyer: „Obwohl es nicht mehr so ist, dass das Doktorat einen besseren Berufseinstieg garantiert, haben natürlich Postdocs nach wie vor hervorragende Chancen, in die Wirtschaft einzusteigen. Unternehmen schätzen die Kompetenzen, die man sich in einem Forschungsjob erwirbt, hoch ein: Selbstständigkeit, Disziplin, Ergebnisorientierung, Leistungsmotivation. Keine Sorge, als WU-Postdoc werden Sie gute Jobs finden.“
Es scheint, als hätte die Bezeichnung „wildes Hasard“ für eine wissenschaftliche Karriere auch 2013 nichts an Aktualität verloren. Bei der Entscheidung für oder gegen ein Berufsfeld müssen die Rahmenbedingungen natürlich berücksichtigt werden, letztendlich sollte aber das Interesse den Ausschlag geben. So sind für Meyer, trotz aller Widrigkeiten, „Jobs in der Forschung ganz einfach spannend“.