EU: Mehr Wohlstand, mehr Umweltbelastung
Auch staatliche Unternehmen versuchen Steuern zu vermeiden. Sie brauchen Anreize, um Steuervermeidung zu unterbinden.
Das Institut für Nachhaltigkeitsmanagement der Wirtschaftsuniversität Wien analysiert jährlich im Auftrag von Eurostat den Fortschritt der EU zu den 17 Nachhaltigen Entwicklungszielen der UN. Im Zentrum steht die Frage, ob und welche Fortschritte die EU innerhalb der letzten fünf bis 15 Jahre zu den UN-Nachhaltigkeitszielen erreichen konnte. „Der 2020-Bericht zeigt positive Entwicklungen bei fast allen Zielen, wobei vor allem in sozial- und wirtschaftsbezogenen Bereichen Fortschritte erzielt worden sind, während die ökologischen Aspekte von Nachhaltigkeit gemischte Resultate aufweisen“, fasst Markus Hametner, WU-Wissenschaftler und Projektleiter, die Hauptergebnisse zusammen. „Gleichzeitig sind jedoch Geschlechterungleichheiten am Arbeitsmarkt und in der Bildung gestiegen, und MigrantInnen haben weiterhin schlechteren Zugang zu Bildung und Arbeit“, so Hametner.
Das Leben in der EU wird (noch) sicherer
Der deutlichste Fortschritt der EU in den vergangenen fünf Jahren ist im Bereich Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen zu verzeichnen. Todesfälle aufgrund von tätlichen Angriffen sind seit 2002 von 1,4 auf 0,7 Tote pro 100.000 Personen zurückgegangen, was auf eine erheblich verbesserte Sicherheitssituation in der EU hinweist. Diese positive Entwicklung zeigt sich auch in der subjektiven Wahrnehmung der EU-BürgerInnen: nur mehr 11,5 Prozent der Bevölkerung berichten von Verbrechen und Gewalt in ihren Nachbarschaften. Zudem ist das Vertrauen von EU-BürgerInnen in die Institutionen der EU gestiegen, begleitet von einer größeren wahrgenommenen Unabhängigkeit des Rechtssystems.
Weniger Armut, bessere Wohnsituation, höhere Lebenserwartung
Auch andere Sozial- und Wirtschaftsindikatoren weisen vornehmlich positive Trends auf. Besonders bei der Armutsbekämpfung gibt es starke Fortschritte: Immer mehr Menschen konnten in den letzten fünf Jahren ihre Grundbedürfnisse stillen. Die Zahl an Personen, die von erheblicher materieller Deprivation betroffen ist, ist in der EU seit 2012 um fast 18 Millionen gesunken, und weniger Menschen sind mit Problemen hinsichtlich ihrer Wohnsituation konfrontiert. Auch im Gesundheitsbereich sind vor Beginn der Covid-19-Krise weiterhin gute Fortschritte zu beobachten gewesen. Reduktionen von externen negativen Einflüssen wie Lärm und Luftverschmutzungen sowie von lebensstilbezogenen Risikofaktoren wie Rauchen führten zu einer niedrigeren Sterblichkeitsrate in Bezug auf vermeidbare und behandelbare Todesursachen. Dank des verbesserten Zugangs zu medizinischer Versorgung ist auch die Lebenserwartung in der EU gestiegen, auf 83,7 Jahre für Frauen und 78,2 Jahre für Männer. Verbesserungen im Wirtschaftsbereich und auf dem Arbeitsmarkt führten zu einem Anstieg der EU-Erwerbstätigenquote auf 73,1 Prozent. Das Ziel, die Beschäftigungsrate auf 75 % anzuheben, war damit – zumindest bis vor Beginn der Covid-19-Krise – in Reichweite. Diese positiven Entwicklungen wirkten sich auch auf das Leben in Städten und Gemeinden aus, was auf insgesamt verbesserte Lebensbedingungen der EU-BürgerInnen hinweist.
Starke Ungleichheiten, besonders zwischen den Geschlechtern
Diese Fortschritte gelten jedoch nicht für alle. Der 2020-Report zeigt, dass nach wie vor starke Ungleichheiten in Bezug auf Gender und Migrationshintergrund herrschen. Zwar sind mehr Frauen in nationalen Parlamenten und in Geschäftsleitungen großer Konzerne tätig, doch die genderbezogenen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt haben in den letzten fünf Jahren zugenommen. Nach wie vor sind deutlich mehr Frauen ökonomisch inaktiv, weil sie innerhalb der Familie Pflegeverantwortungen übernehmen (dies trifft auf 32,2 % aller inaktiven Frauen zu, während nur 4.5 % aller inaktiven Männer dies als Grund angeben). Die Stundenlöhne von Frauen nähern sich nur langsam jenen von Männern, und lagen 2018 weiterhin um 14.8 % darunter. Zusätzlich zeigen neue Indikatoren auch Ungleichheiten zwischen EU- und nicht-EU-BürgerInnen auf. MigrantInnen von außerhalb der EU sind demnach in den Bereichen Armut, Bildung und Arbeitsmarkt mit schlechteren Bedingungen konfrontiert als EU-StaatsbürgerInnen. Stärkere Abhängigkeit von Energieimporten, steigende Emissionen, Biodiversitätsverlust
Auch bei etlichen Umweltindikatoren setzt sich der negative oder stagnierende Trend der letzten Jahre fort. Umweltauswirkungen sind beispielsweise in der Landwirtschaft sichtbar, wo Ammoniak-Emissionen angestiegen sind und der Bestand von Feldvögeln weiter zurückgegangen ist. Auch bei den EU-Klima- und Energiezielen sind gemischte Resultate festzustellen. Während die Produktivität von Ressourcen und Energie zwar gestiegen ist, lässt sich dies lediglich auf das starke Wirtschaftswachstum und nicht auf gesteigerte Nachhaltigkeit im Ressourcenverbrauch zurückführen. Auch die Abhängigkeit von Energieimporten von außerhalb der EU hat sich verschlechtert, wobei jedoch der Anteil von erneuerbaren Energien in Elektrizität, Wärme, Kälte und Transport gestiegen ist. Trotz der Fortschritte bei erneuerbaren Energien sind die EU-Treibhausgasemissionen zwischen 2014 und 2017 gestiegen, was im Widerspruch zum 2030-Ziel steht, Emissionen um 40 % zu verringern.
Für Ökosysteme hat sich die Situation von Gewässern und Wäldern zwar etwas verbessert, allerdings führt der beschleunigte Flächenverbrauch für Siedlungen und die damit einhergehende Bodenversiegelung zu schwindender Biodiversität. Der resultierende Habitatsverlust schlägt sich vor allem in langfristigen Rückgängen von Vogelarten und Schmetterlingen nieder. „Zusammenfassend zeigt sich: Die negativen Umwelteinflüsse von europäischem Konsum sind nach wie vor enorm und der Status von Ökosystemen und Biodiversität unzureichend“, so WU-Forscher Markus Hametner.
Status Quo in Österreich
Der 2020-Report bietet erstmals auch eine Übersicht über die einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Österreich hat in den letzten Jahren Fortschritte hin zu fast allen Zielen erzielt. So wie die EU insgesamt hat auch Österreich den stärksten Fortschritt zu Frieden und starken Institutionen verzeichnet. Weitere Verbesserungen gab es bei Armutsbekämpfung, Gesundheit, Wirtschaftswachstum und dem Leben in Städten und Gemeinden. Kaum Fortschritte gab es hingegen bei Geschlechtergleichheit sowie bei den Klima- und Energiezielen und hinsichtlich Biodiversität und terrestrischen Ökosystemen.
„Die Auswirkungen der Covid-19-Krise und des damit zusammenhängenden ‚Lockdowns‘ sind im Bericht aufgrund der Datenverfügbarkeit noch nicht berücksichtigt“, streicht WU-Forscher Hametner hervor. „Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass viele der positiven Entwicklungen, vor allem in den Bereichen Arbeitsmarkt und Gesundheit, eine dramatische Trendumkehr erleben werden und die UN-Nachhaltigkeitsziele als Ganzes schwieriger zu erreichen sein werden.“
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