Geht’s dem Wirtschaftsstandort gut?
Österreich gilt als attraktiver Wirtschaftsstandort – doch in internationalen Rankings verharrt das Land seit Jahren im Mittelfeld. Was tun?
Welche Faktoren machen einen guten Wirtschaftsstandort aus? Zu einem gewissen Grad hängt die Antwort von der Branche ab. Der Tourismus benötigt zum Beispiel anderes Fachpersonal als ein Stahlwerk. „Allgemein kann man aber ein paar Faktoren identifizieren, die relevant sind“, erklärt Harald Oberhofer, Professor am WU Institut für Internationale Wirtschaft. „Dazu zählen Rechtssicherheit, die Qualität der Institutionen, die Rahmenbedingungen für Investitionen – darunter fallen auch steuerliche Behandlung von Unternehmensgewinnen – Infrastruktur, das Bildungs- und Einkommensniveau, Anreize für Forschung und Entwicklung, Sicherheit und Stabilität des gesellschaftlichen und politischen Systems und die Verfügbarkeit von natürlichen Ressourcen und geeigneten Fachkräften.“ Tina Wakolbinger, Professorin am WU Institut für Transportwirtschaft und Logistik, ergänzt die Voraussetzungen für einen florierenden Wirtschaftsstandort noch um die Faktoren gute Infrastruktur, hohe Lebensqualität, unternehmerfreundliches Wirtschaftsklima und günstige geographische Lage. Wakolbinger: „Die Gewichtung der einzelnen Faktoren ist je nach Unternehmen unterschiedlich.“
Harald Oberhofer, Professor am WU Institut für Internationale Wirtschaft, machte eine Vielzahl an Faktoren aus, die einen Wirtschaftsstandort attraktiv machen. Ein Faktor, bei dem Österreich mehr tun könnte, ist die Verfügbarkeit von Fachkräften.
Das Beratungsunternehmen Deloitte befragte aktuell 180 Führungskräfte der heimischen Wirtschaft und analysierte die wichtigsten globalen Standort-Indizes. Das Ergebnis: Österreich hat sich im Mittelfeld der Industrienationen eingereiht. Im Durchschnitt der herangezogenen Indizes belegt Österreich aktuell nur Platz 10 – mit wenig Aussicht auf eine Verbesserung in Richtung Top-Positionen. Denn bei einigen der genannten Faktoren werden sich die Schwierigkeiten in nächster Zeit eher verschärfen.
Händeringen allerorts
Speziell der Fachkräftemangel ist bereits in zahlreichen Branchen offensichtlich. In technischen Berufen und vor allem in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Bildung und Gastronomie setzte in den vergangenen Jahren eine Abwanderung bisher nicht geahnten Ausmaßes ein. Um gegenzusteuern, wurde in Österreich die Zuwanderung von Spezialisten aus dem Ausland vereinfacht. Die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ wird Fachkräften aus Drittstaaten in Mangelberufen in der Regel für zwei Jahre ausgestellt. Die Karte berechtigt zu einer befristeten Niederlassung mit beschränktem Arbeitsmarktzugang. Politische Stabilität und Skandalfreiheit sind zur Anwerbung von Menschen für den österreichischen Arbeitsmarkt relevant. „Das sicherzustellen wäre einer der selbstverständlichsten und kostengünstigen Instrumente, um den Standard abzusichern“, meint Harald Oberhofer.
Für Tina Wakolbinger, Professorin am WU Institut für Transportwirtschaft und Logistik, ist die Bekämpfung der Inflation das Gebot der Stunde, um den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken.
Ein funktionierender Arbeitsmarkt gilt im internationalen Wettbewerb als zentraler Erfolgsfaktor. Österreich ist hier im europäischen Vergleich derzeit noch gut aufgestellt, allerdings zeichnet sich laut der Deloitte-Studie eine negative Entwicklung ab. „Österreich ist ein Hocheinkommensland und damit sind die Produktionskosten insgesamt auch höher als in anderen Ländern“, erklärt Oberhofer. „Einen komparativen Vorteil kann man hierzulande nicht bei Billigproduktion erzielen, sondern nur bei komplexerer und hochqualitativer Produktion und bei Dienstleistungen.“ Für Tina Wakolbinger ist neben dem Abbau der Bürokratie und der Reform des Steuersystems vor allem die Bekämpfung der hohen Inflation ein essenzielles Thema.
Gesucht: Unternehmer*innengeist
Der Wirtschaftsstandort Österreich wird auch durch Firmengründungen gestärkt. Entscheidend dafür sind politische Stabilität, Rechtssicherheit, ein möglichst geringes Level an Korruption und die notwendige Infrastruktur wie Mobilität, Kommunikation und Versorgungseinrichtungen. „Generell können wir beobachten, dass Gegenden mit einer hohen Lebensqualität Entrepreneure anziehen“, erklärt Nikolaus Franke, Leiter des WU Instituts für Entrepreneurship und Innovation. „Wirtschaftspolitisch von hoher Bedeutung sind der Zugang zu Forschungs- und Innovationsinfrastruktur inklusive Förderungen, die Verfügbarkeit von Kapital, Steuer- und abgabenrechtliche Rahmenbedingungen – und natürlich möglichst wenig Bürokratie.“ Eine Neugründung sollte einfach und schnell erfolgen können. Für Start-ups sei zusätzlich relevant, dass sie Zugang zu Unterstützungseinrichtungen und Netzwerken (beispielsweise Mentoren, Inkubatoren, Akzeleratoren und Branchenverbände) haben.
Um Österreichs Wirtschaft auch langfristig zu stärken, ist Unternehmer*innengeist gefragt – am besten schon in der Schule, meint Nikolaus Franke vom WU Institut für Entrepreneurship und Innovation. (Foto: KD Busch)
Österreich steht hier bei einer Reihe von Faktoren gut da, und das reflektiert sich auch im dynamischen Entrepreneurship-Ökosystem. Verbesserungsbedarf besteht allerdings im Bildungssystem, das laut Franke um den Bereich Entrepreneurship erweitert werden sollte. „In allen Stufen, vom Kindergarten bis zu postgradualen Studien. Entrepreneurship ist das, was Lesen und Schreiben im 19. Jahrhundert war und Computerkenntnisse im 20. Jahrhundert.“ Schließlich lautet das ambitionierte Ziel, dass aus Erfindungen und Entdeckungen in Universitäten und Forschungseinrichtungen tatsächlich Produkte und Unternehmen entstehen.
Was die kurzfristigen Aussichten angeht, gibt es allerdings positive Nachrichten: Laut aktueller Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO soll die Inflation dieses Jahr auf etwa vier Prozent zurückgehen, die Wirtschaft wird wieder leicht wachsen und die Lage auf dem Arbeitsmarkt sollte stabil bleiben. Damit kehrt vielleicht auch ein schwer messbarer Faktor zurück: der Optimismus, dass Österreich die Herausforderungen der Zukunft meistern kann.