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Reproduktion des männlichen Aufsichtsrates – warum der Frauenanteil niedrig bleibt

14. Dezember 2015

Am vergangenen Freitag erhielt WU-Absolventin und wissenschaftliche Mitarbeiterin Astrid Hainzl im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) für ihre herausragende Masterarbeit „Die Reproduktion des männlichen Aufsichtsrates - Homosoziale Praktiken in der Evaluierung von Kandidatinnen und Kandidaten“ den Förderungspreis 2015 der Gabriele Possanner-Preise.

Übergeben wurde die Auszeichnung durch Staatssekretär Harald Mahrer. In ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung widmete sich Hainzl den homosozialen Praktiken in der Evaluierung von Kandidat/inn/en für Aufsichtsratspositionen, die begünstigen, dass der Frauenanteil in österreichischen Aufsichtsräten bis heute niedrig ist.

Der Frauenanteil in den österreichischen börsennotierten Aktiengesellschaften liegt mit nur 13 Prozent unter dem Durchschnitt der 28 EU-Mitgliedsstaaten (European Commission 2014). WU-Absolventin Astrid Hainzl, die mittlerweile Dissertantin am WU-Institut für Gender und Diversität in Organisationen ist, ging in ihrer Masterarbeit der Frage nach, welche homosozialen Praktiken in der Evaluierung von Kandidat/inn/en für die Besetzung von Aufsichtsratspositionen angewandt werden, die damit bis heute die Aufrechterhaltung einer ungleichen Geschlechterverteilung in österreichischen Aufsichtsräten begünstigen. Mit Hilfe der geführten Expert/inn/en- Interviews konnten konkrete Vorgehensweisen dafür identifiziert werden. Die Interviews waren Teil des von der EU-Kommission geförderten und vom WU-Institut für Gender und Diversität in Organisationen durchgeführten PROGRESS Projekts.

Auslegungssache

Die Ergebnisse der Studie zeichnen ein klares Bild: Kandidatinnen werden stärker an ihren Eignungskriterien gemessen als Kandidaten. Der Begriff „Kompetenz“ wird im Evaluierungsprozess sehr flexibel ausgelegt, da er entsprechend dem Geschlecht der zu evaluierenden Person definiert und gewichtet wird. „Während Einigkeit darüber besteht, dass eine einzelne Person nicht alle fachlichen Anforderungen an das Gremium alleine abdecken kann, werden Frauen sehr wohl an sehr spezifischen Qualifikationen gemessen. Daher müssen Frauen ihre Kompetenz so unter Beweis stellen, dass kein Zweifel daran möglich ist. Das ist vor allem dann der Fall, wenn eine Frau bereits eine Vorstandsposition erreicht hat“, erklärt Astrid Hainzl, „Gerade in Vorständen sind Frauen aber zahlenmäßig weitaus weniger oft vertreten. Die ungleiche Anforderung an und Bewertung von Kompetenz stellt somit eine homosoziale Praktik dar, die Männer im Evaluierungsprozess begünstigt.“

Vertrauenssache

Der Evaluierungsprozess bei der Besetzung von Aufsichtsratspositionen basiert sehr stark auf Vertrauen. Dieses wird fast ausschließlich auf der Grundlage von persönlichen Beziehungen gebildet, die wiederum vor allem in Netzwerken entstehen. Für Frauen sind diese Gruppierungen oft nicht oder nur sehr schwer zugänglich, da innerhalb der Netzwerke Homogenität beispielsweise bezüglich Eigenschaften, Weltanschauung und Werten bedeutend ist. Diese Homogenität können Frauen schon aufgrund ihres Geschlechts nicht erfüllen. Vertrauen in der Evaluierung von Kandidatinnen und Kandidaten zu einem wesentlichen und ausschlaggebenden Kriterium zu machen, ist daher eine homosoziale Praktik, die Frauen benachteiligt.

Werteerhalt

Zudem wird das im Aufsichtsrat geltende Werte- und Normensystem, bei gleichzeitigem öffentlichen Druck mehr Frauen in Aufsichtsräte aufzunehmen, beibehalten, indem die Gruppe der Frauen, die für Aufsichtsratsmandate nominiert wird, sehr klein gehalten wird. Diese Gruppe konnte ihre Kompetenz eindeutig unter Beweis stellen und hat eine starke Sozialisierung im Gremium erfahren. Wird für eine vakante Position in einem Aufsichtsrat eine Frau gesucht, wird meist auf diese Wenigen zurückgegriffen. So wird dem Druck, Frauen in Aufsichtsratspositionen aufzunehmen, zumindest in geringem Ausmaß nachgegeben, während das Wertesystem dabei nicht verändert wird. Die Aufteilung der Aufsichtsratsmandate auf eine sehr kleine Gruppe an Frauen, ermöglicht so den Erhalt der im Gremium geltenden Werte und Normen.

Auszeichnung des BMWFW

Die Gabriele Possanner-Preise werden seit 1997 zum Gedenken an die erstmalige Verleihung eines akademischen Grades an eine Frau durch eine österreichische Universität verliehen. Gabriele Possanner gilt als Pionierin und Vorkämpferin für berufliche Chancengleichheit von Frauen in der Wissenschaft, sie erhielt 1897 nach nochmaliger Ablegung zahlreicher Prüfungen ihr an der Universität Zürich erworbenes Doktorat der Medizin von der Universität Wien nostrifiziert.  

Rückfragehinweis:
Anna Maria Schwendinger, Bakk.
PR-Referentin
anna.schwendinger@wu.ac.at 
Tel.: 01/31336–5478

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