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Geschlechtergleichheit: Ein Meilenstein für die Bewältigung des Klimawandels

15. Dezember 2020

Soziale Gruppen sind unterschiedlich stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Diese Gruppen definieren sich nicht nur über Einkommensniveaus, sondern auch über Geschlecht, Bildung und Ethnie. Das Verständnis der zukünftigen Entwicklung dieser sozialen Ungleichgewichte kann dabei helfen, politische Strategien zu finden, um die Folgen des Klimawandels global einzudämmen. In einem Artikel für Nature Communications hat eine interdisziplinäre Gruppe von Forscher/innen der Wirtschaftsuniversität Wien, der Humboldt-Universität zu Berlin, des International Institute for Applied Systems Analysis und des Forschungsinstituts Climate Analytics nun Prognosen dafür vorgelegt, wie sich diese Dynamiken im 21. Jahrhundert entwickeln werden.

In ihrer Studie liefern die Forscher/innen erstmals quantifizierte Szenarien für die Entwicklung der Geschlechterungleichheit im 21. Jahrhundert. Sie berücksichtigen dabei auch die sogenannten Shared Socioeconomic Pathways (SSPs) – sozioökonomische Entwicklungsszenarien für den globalen Umgang mit dem Klimawandel, die dabei helfen, die Anpassungsfähigkeit von Gesellschaften besser zu erfassen.

„Die Folgen des Klimawandels treffen Frauen härter als Männer. Nicht, weil Frauen per se empfindlicher wären, sondern weil sie mit einschränkenden sozialen und kulturellen Strukturen zu kämpfen haben,“ so Marina Andrijevic, Erstautorin der Studie. „Benachteiligung äußert sich etwa im beschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln, Bildung und Information oder auch in sozialen Normen oder Erwartungshaltungen, die Frauen etwa in ihrer Mobilität einschränken. Diese Aspekte müssen berücksichtigt werden, wenn wir über die zukünftigen Herausforderungen nachdenken, mit denen Gesellschaften bei der Anpassung an den Klimawandel konfrontiert sein werden.“

Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel

Wie heftig die Schäden des Klimawandels ausfallen werden, hängt auch davon ab, wie gut die Betroffenen in der Lage sind, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen. Diese Anpassungsfähigkeit ist über eine Vielzahl von Faktoren mit Geschlechterungleichheit verknüpft. Die Faktoren unterscheiden sich dabei von Land zu Land und wandeln sich im Lauf der Zeit. Sie reichen von ungleichem Zugang zu Ressourcen bis hin zu kulturellen Normen.

Um sich an die Folgen des Klimawandels anpassen zu können, wird es nötig sein, Ungleichheiten auf vielen Ebenen abzubauen – auch auf der Geschlechterebene. Das Maß der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern hängt eng damit zusammen, wie gut eine Gesellschaft in der Lage ist, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Das kann sich auch auf die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen auswirken. Daher können Prognosen zur Entwicklung der Geschlechterungleichheit, der Bevölkerungsentwicklung, der Bildung und des Einkommen Aufschluss darüber geben, wo Gesellschaften zukünftig bei der Bekämpfung der Folgen des Klimawandels mit besonderen Herausforderungen rechnen müssen.

Zukunftsszenarien für die Entwicklung der Geschlechterungerechtigkeit

Zur Erstellung ihrer Prognosen verwendeten die Forscher/innen den Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit der Vereinten Nationen (Gender Inequality Index). Dieser Index erfasst Benachteiligungen von Frauen in den Bereichen Gesundheit, Beteiligung am Arbeitsmarkt, Bildung und politische Partizipation. Die Beseitigung dieser Nachteile kann auch bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels helfen, und zwar durch bessere Bildung und besseren Ressourcenzugang für Frauen sowie bessere Müttergesundheit.

„Unsere Prognosen zeichnen evidenzbasierte Zukunftsszenarien für die Entwicklung der Geschlechterungleichheit. Damit liefern sie wertvollen Input für globale politische Weichenstellungen,“ erklärt Koautor Jesus Crespo Cuaresma, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Forscher am International Institute for Applied Systems Analysis. „Geschlechtergleichheit bedeutet nicht automatisch, dass unsere Gesellschaften klimaresilient werden. Aber besonders im Hinblick auf Regionen mit einem niedrigen sozioökonomischen Entwicklungsniveau ist Geschlechtergleichheit ein wichtiger Faktor, um unsere Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel weltweit zu stärken.“

Prognosen zur Entwicklung von Geschlechterungleichheit und künftigen sozioökonomischen Dynamiken zeigen, dass gesellschaftlicher Fortschritt in Bereichen wie der Bildung die Situation von Millionen von jungen Mädchen weltweit schon bis zum Jahr 2030 deutlich verbessern könnte. Die Was-wäre-wenn-Szenarien der SSPs sind auch hilfreich dabei, den Fortschritt bei der Erreichung wichtiger Ziele zu bewerten, etwa im Hinblick auf die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung und das Ziel der umfassenden Gleichstellung von Frauen und Mädchen bis 2030.

Die Studie

Andrijevic M., Crespo Cuaresma, J., Lissner, T., Thomas, A., Schleussner C.-F. (2020). Overcoming gender inequality for climate resilient development. Nature Communications. (doi: 10.1038/s41467-020-19856-w).

Nach Ablauf der Sperrfrist abrufbar unter www.nature.com/ncomms

Die Forscher/innen

Marina Andrijevic, marina.andrijevic@hu-berlin.de, +49 176 20411478 (Deutschland)

Carl Schleussner, carl.schleussner@climateanalytics.org, +49 177 5141559 (Deutschland)

Jesus Crespo Cuaresma, jesus.crespo.cuaresma@wu.ac.at, +43 1 313364530 (Österreich)

Tabea Lissner, tabea.lissner@climateanalytics.org

Adelle Thomas, adelle.thomas@climateanalytics.org

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