Werden alternative Wirtschaftsmodelle einen Aufschwung erleben?

01. April 2020

Antwort von Ingolfur Blühdorn, Leiter Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit.

Johannes T.: Es ist faszinierend zu beobachten, dass es lokal und regional aber auch Bundesländerübergreifend plötzlich diverse Solidaritätsbewegungen, Kooperationen, Plattformen egal ob zur Unterstützung von CoV-Risikogruppen oder Unterstützung lokalerer Wirtschaft geradezu aus dem Boden sprießen. Meine Frage an Sie, werden alternative Wirtschaftsmodelle Stw. Genossenschaften, Plattformökonomie oder z. B. Gemeinwohlökonomie nach eurer Einschätzung auch nach COVID-19 einen neue Ära und Aufschwung erleben?

Ingolfur Blühdorn, Leiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) :

Eine Abkehr vom etablierten Wirtschafts- und Wachstumsmodell wäre dringend erforderlich und wünschenswert, nicht nur weil sich jenseits der goldenen Wohlstandsjahrzehnte die soziale, politische und ökologische Destruktivkraft dieses Modells inzwischen deutlich erwiesen hat, sondern auch weil unsere Wirtschaft trotz großer Anstrengungen – man denke etwa an die Unterstützungsmaßnahmen der EZB und die externalisierten sozialen und ökologischen Nebenkosten – bestenfalls noch moderate Wachstumsraten erzielt. Das bedeutet aber nicht, dass eine Transformation zu einem alternativen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell unbedingt wahrscheinlich ist. Im Sinne der Theorie der Nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit (vgl. Blühdorn 2020) scheint es wahrscheinlicher, dass auch die Corona-Krise nicht zu einem strukturellen Wandel sondern nur zu kleineren Korrekturen am bestehenden Modell führen wird.

Die neuen Solidaritätsbewegungen und das neue Wir-Gefühl, die vor allem in der ersten Phase der Pandemie zu beobachten waren, sind zunächst einmal nicht überraschend sondern ein Phänomen, das sich in Krisensituationen oft beobachten lässt. Ähnliche Solidaritätsbewegungen gab es auch nach der Banken- und Finanzkrise ab 2008/9, während der Flüchtlingskrise ab 2015, während der Klimanotstandsdebatte 2019 und bei anderen Gelegenheiten. Die COVID-19-Situation ist insofern besonders, als das Virus alle Teile der Gesellschaft bedroht und extrem verunsichert. Entsprechend gibt es auch in vielen Teilen der Gesellschaft Solidaritätsbewegungen und einen neuen sozialen Schulterschluss.

Ob und in welchem Maße solche Bewegungen dauerhafte kulturelle und strukturelle Veränderungen bewirken können, hängt von verschiedenen Parametern ab. Die drei genannten Krisen der letzten Jahre haben zum Teil ähnliche Reaktionen und Forderungen nach einem tiefgreifenden Strukturwandel ausgelöst, wie sie auch in der Corona-Krise wieder laut werden. Die entsprechenden Bewegungen haben aber nicht zu grundlegenden kulturellen und strukturellen Veränderungen geführt, sondern in mancherlei Hinsicht die kritisierte sozio-ökonomische Ordnung sogar weiter gefestigt: Man denke etwa an die Austeritätspolitik nach der Bankenkrise und die Auswirkungen der Konjunktur des Rechtspopulismus seit der Flüchtlingskrise. Ähnliche Befestigungstendenzen zeichnen sich auch im Kontext der COVID-19-Krise ab.

Sicher ist, dass in Zeiten der grundlegenden Denormalisierung und vielschichtigen Verunsicherung eine Reihe von Dingen neu zur Diskussion gestellt (repolitisiert) werden, die zuvor bestenfalls am Rande verhandelt wurden. So steht im Moment nicht nur die globale Arbeitsteilung und Vernetzung wieder zur Diskussion, sondern plötzlich werden auch die Unterbezahlung ganzer Berufsgruppen, die prekarisierten Anstellungsverhältnisse sowie die Abhängigkeit von ausländischen Billigkräften (etwa in der Pflege) als wesentliches Problem und als nicht akzeptabel wahrgenommen. Insbesondere erscheint nun auch die marktliberale Lehre, dass der Staat und die Politik sich nicht in das Marktgeschehen einmischen, sondern vielmehr privatisieren, deregulieren und liberalisieren sollen, noch offensichtlicher gescheitert, als das bereits nach der Banken- und Finanzkrise der Fall gewesen war.

Allein die Tatsache, dass solche Themen nun neu politisiert werden, bedeutet aber nicht, dass dies zu einem Strukturwandel führen wird. Vielmehr deutet der dringende Ruf nach einer möglichst schnellen Rückkehr zur Normalität darauf hin, dass im Zeichen der Krise in Vergessenheit geraten könnte, dass diese sog. Normalität bereits vor der Corona-Krise von vielen Experten als dringend transformationsbedürftig bezeichnet wurde. Die bisher beschlossenen Maßnahmen legen nahe, dass die Corona-Krise trotz der anfänglichen Solidaritätsbewegungen eher zu einer erneuten Befestigung der Nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit führen könnte. Große Bedeutung wird diesbezüglich die Frage haben, in welchem Maße sich in den kommenden Monaten starke und ausdauernde politische Koalitionen für einen strukturellen Wandel herausbilden und einsetzten werden.

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