Welche Börsenentwicklungen sind zu erwarten?

15. April 2020

Antwort von Josef Zechner, Professor für Finance und Investments.

Michael S.: Bärenmarktaufschwung oder frühes Stadium einer Erholung? Was sagen uns die Aktienmärkte im Moment?

Josef Zechner, Professor am Institute for Finance, Banking and Insurance:

Obwohl die ersten Lockerungen der Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens in Österreich bereits stattgefunden haben, wird uns die Corona-Krise noch länger in Atem halten.  Simulationen zeigen, dass nach einer Rückkehr zu hoher gesellschaftlicher Aktivität bereits im Spätsommer oder im Herbst eine erneute Verschärfung nötig sein könnte, um eine zweite Welle von Infektionen zu begrenzen. Die Frage ist daher, ob die derzeit beobachtbaren Erholungen der Kursniveaus an den Wertpapierbörsen nachhaltig sind, oder nur technische Rallys darstellen, die in einem längerfristigen Bärenmarkt immer wieder auftreten können?

Um diese Frage zu beantworten, ist zunächst festzustellen, dass die meisten Aktienmärkte der Welt auch nach den jüngsten Kurserholungen noch ca. 20% unter den Höchstständen vor der Coronakrise liegen. Interessanterweise machte der Barwert der Dividenden bis 2030 für den S&P 500 ziemlich genau 20% der Aktienkurse aus (das kann leicht aus beobachtbaren Dividendenfutureskursen berechnet werden). Wenn wir nun annehmen, dass die Pandemie keinen Einfluss auf die erwarteten Dividenden nach 2030 hat, und dass die erwarteten Renditen der Investoren (also ihre “Diskontierungsraten”) während der Krise konstant blieben, so entspräche der eingetretene 20% ige Kursverfall seit der Krise dem vollen Verlust aller Dividenden in den nächsten 10 Jahren. Dies ist wohl höchst unplausibel, selbst in den schlimmsten Pandemieszenarien. Daher muss der erfolgte 20% ige Aktienkursrückgang jedenfalls teilweise durch eine Erhöhung der Risikoprämien, also der erwarteten Renditen, verursacht sein.

Als langfristig orientierter Investor kann man also über die nächsten Jahre eher mit höheren Aktienrenditen rechnen, als dies vor der Corona Krise der Fall war. Ob diese höheren Renditen bereits über die nächsten Monate lukriert werden können, ist jedoch unsicher. Aufgrund der erwähnten Risiken bezüglich der weiteren Entwicklung der Pandemie besteht kurz und mittelfristig ein hohes Kursrückschlagsrisiko. Wichtig aus akademischer Sicht ist, dass die Risikoprämien nach Krisen empirisch tendenziell höher waren als im langfristigen Durchschnitt. Das heißt, im Lichte der akademischen Forschung gibt es keinen Grund mitten in einer Krise die langfristig bestimmten Gewichte der riskanteren Assetklassen, wie  z.B. Aktien, zu reduzieren.

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