War und ist die Covid-19 Krise ein Prozess der kreativen Zerstörung?

12. Jänner 2021

Antwort von Andrea Grisold, Leiterin des Instituts für Heterodoxe Ökonomie.

Maximilan K.: War und ist die Covid-19 Krise wie Schumpeter es einmal gesagt hat ein Prozess der kreativen Zerstörung?

Andrea Grisold, Leiterin des Instituts für Heterodoxe Ökonomie:

Wir müssen befürchten und können beinahe als gesichert annehmen, dass die Covid 19 –Maßnahmen zu einer schwerwiegenden ökonomischen Krise führen werden. Da drängt sich die Frage, ob es nicht doch positive Aspekte daran gibt, beinahe auf. Es sei denn, man hielte es mit Erich Kästner, der auf die Frage: „Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?“ mit „Ja weiß der Teufel, wo das bleibt“ geantwortet hatte.

Joseph Schumpeter (1883-1950) hat die Begrifflichkeit der „creative destruction“ in seinem 1942 erschienenen Buch „Capitalism, Socialism and Democracy“ erstmals formuliert. Und bis heute ist dieser Prozess der schöpferischen Zerstörung untrennbar mit seinem Namen und Wirken verknüpft, auch wenn der Begriff selbst vom deutschen Ökonomen Werner Sombart ‚entlehnt‘ wurde.

Darunter hat Schumpeter verstanden, dass dynamische ‚Entrepreneure‘ Innovationen durchsetzen, welche einen ökonomischen Entwicklungsprozess in Gang setzen, der das Neue, Bessere durchsetzt. Damit aber muss das Veraltete weichen, wird eben zerstört. Dieser Restrukturierungsprozess generiert langfristiges Wachstum, aber eben im Wege von ökonomischen Fluktuationen und strukturellen Anpassungsprozessen. So ist es ein dynamisches Chaos, das eine Volkswirtschaft zur Weiterentwicklung treibt. Schumpeter sieht solche Dynamiken als zentral für eine Entwicklung in kapitalistischen Wirtschaftssystemen.

Sein damaliger Bestseller „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“, erschienen im Jahre 1942, hatte aber eine durchaus überraschende Wendung inkludiert, da Schumpeter die Entwicklung vom Konkurrenzkapitalismus zu komplexen Großkonzernen als eine Stufe zu einem Sozialismus sieht, indem die Kontrolle über die Produktionsmittel einer Zentralbehörde an Managern, die planend eingreifen, überantwortet ist.

Wie für die Schriften Schumpeters durchgängig charakteristisch, sind es diese ganz speziellen ‚Entrepreneure‘, die schöpferisch und einfallsreich das Innovative aufspüren und auch umzusetzen imstande sind. Schumpeters diesbezügliche Obsession, dieses Überhöhen von Unternehmerpersönlichkeiten, der „Helden“, die „Getriebene“ sind, wurde und wird ihm auch heute noch von unterschiedlicher Seite vorgeworfen. Und tatsächlich ist diese Haltung auch zu hinterfragen: Wissen wir doch heute, nicht zuletzt durch die bahnbrechenden Arbeiten von Mariana Mazzucato, dass für viele der technologischen Neuentwicklungen, die oft einer verklärten Silikon Valley- Garagen-Elite an Einzelpersonen zugeschrieben werden, tatsächlich staatliche Investitionsprogramme verantwortlich sind (und auch keineswegs ausschließlich für militärische Zwecke getätigte; man denke z.B. an den großen Bereich des Gesundheitssektors).

Zurück zu Schumpeter: Er begreift sich als ‚Entwicklungstheoretiker‘, mit der vornehmlichen Intention, das Geheimnis revolutionären und disruptiven Wandels zu ergründen: „… such changes in economic life as are not forced upon it from without but arise by its own initiative, from within" (Schumpeter Depressions. In Economics of the Recovery Program 1934, 63). Und eben dies ist ein ganz zentraler Punkt, der allerdings für die akute Covid 19 - Krise nicht (oder jedenfalls noch nicht) von Relevanz ist: Die jetzige Krise geht nicht von ökonomie-immanenten Entwicklungen aus, sondern wirkt von außen auf die Ökonomie ein. Somit kann nicht von einer „creative destruction“ im Sinne Schumpeters gesprochen werden.

Gerade jene Organisationen und Unternehmen, die sich fortwährend weiterentwickeln, garantieren, laut Schumpeter, damit auch Stabilität. Dies steht ebenso im scharfen Gegensatz zur derzeitigen Schockstarre, die einen überwiegenden Großteil unserer Wirtschaft befallen hat; wir kennen das von anderen unmittelbaren Krisenauswirkungen.

So wissen wir aus Studien, welche die positive Funktion der kreativen Zerstörung sehr wohl außer Frage stellen, dass gerade in Rezessionen die Restrukturierung typischerweise zurückgeht (Caballero und Hammour, The Cost of Recessions Revisited: A Reverse-Liquidationist View, The Review of Economic Studies 72/2, 2005), damit die schöpferische Zerstörung in Krisenzeiten schwach ausgeprägt ist. Es ist daher gerade in solchen Fällen geboten, sowohl die Rezession als auch den nachfolgenden Erholungsprozess als Einheit zu denken und zu betrachten; dafür aber ist es zweifellos zu früh.

Resümierend kann die kurze abschließende Antwort zu oben gestellter Frage nur lauten: Ein überwiegendes Nein, und ein nur gering vorfindbares Ja.

Diese Krise ist nicht wie die vorherigen, sie ist keine endogene, d.h. von innerhalb der Ökonomie selbst ausgehend. Keine Industrie hat veraltete Produktionsmethoden, keine Krise des Finanzwesens führt zu einer Kontraktion der Wirtschaft. Vielmehr wird sich ein – von einem außergewöhnlichen gesundheitlichen Risiko verursachter – in hohem Ausmaß wirkungsmächtiger Stillstand großer Teile der Wirtschaft nur langsam auflösen.

Die Zerstörung von Unternehmen, von Vermögen, Produkten und Karrieren, das ist der Preis des Fortschritts.  So kennzeichnet Joseph Schumpeter “schöpferische Zerstörung”. Derzeit ist allerdings die Kausalität eine entgegengesetzte: Wir beobachten die Zerstörung von Unternehmen und Industrien, ein darauffolgender Innovationsschub erscheint unter den gegebenen Bedingungen eher unwahrscheinlich. Und doch, gewisse - bereits vor Covid-19 angelegte - Restrukturierungsprozesse werden sich wohl intensivieren; z.B. jene der Digitalisierung. Wie genau und in welchem Ausmaß? Wir können es in seriöser Weise noch nicht mit Bestimmtheit sagen.

Bleiben wir bei dem, was Schumpeters Werke auch heute noch so lesenswert macht: Das ist nicht zuletzt die präzise analytische Fähigkeit, die Grenzen des Vorhersagbaren zu erkennen: Alle Antworten, die hier gegeben werden, können nicht mehr sein als ein ‚educated guess‘; war doch eine Situation wie diese noch niemals gegeben in unseren modernen Volkswirtschaften.

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