Manipulation bei der Mitarbeiterführung

26. April 2022

Johannes Steyrer, Interdisziplinäres Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management

Manipulation bei der Mitarbeiterführung

Wann liegt Manipulation vor? Dann, wenn Menschen gegen ihre Interessen beeinflusst werden, die Beeinflussung so vonstattengeht, dass sie diese nicht merken und schlussendlich der Meinung sind, sie hätten sich frei entschieden. Nachfolgend ein Beispiel zur Köder-Technik.

Die Köder-Technik

Eine Führungskraft will einen Mitarbeiter, nennen wir ihn Kurt G., dazu bringen, in einer Niederlassung in Rumänien zu arbeiten. Sie versucht, ihn direkt zu überzeugen: „Sie wären der richtige Mann für diesen Job. Das ist die Chance für sie, dort zwei Jahre hinzugehen.“ Allerdings entscheidet sich der Kollege aufgrund seiner Familiensituation dagegen. Wie ginge Manipulation vor? Eine Grundregel lautet: „Worte zählen wenig, Taten sind alles!“ Warum? Menschen beharren hartnäckig auf ihren Einstellungen. Wer diese ändern will, stößt auf Widerstand. Hingegen müssen Menschen ein gezeigtes Verhalten vor sich selbst rechtfertigen. Das zieht automatisch eine entsprechende Einstellung nach sich. Die Köder-Technik hätte so gefragt: „Ich hätte da an Sie gedacht: Stichwort Osteuropa! Wir haben dort in Zukunft einiges vor. Überlege Sie sich einmal, ganz unverbindlich, ob sie sich zutrau­en würden, da eine größere Rolle zu übernehmen?“ Der Mitarbeiter weiß nicht, dass es nach Rumänien geht. Je mehr er sich aber selbst Argumente liefert, warum ein Engagement in Osteuropa für ihn von Interesse wäre, z. B. mehr Geld, Karriere etc., desto mehr verbeißt er sich in seinen Entscheidungen. Er sagt zu, ohne zu wissen, was auf ihn konkret zukommt. Erst nach einiger Zeit erfährt er, dass ein erstes Projekt in Rumänien ansteht. Wer A sagt, der muss auch B sagen. Er kann nicht gleich beim ersten Projekt klein beigeben. In Rumänien angekommen, sieht er, was da im Argen liegt. Je mehr Zeit und Energie er investiert, desto mehr bleibt er dort hängen. Er gerät dann in eine Beständigkeitsfalle, denn neue Entscheidungen haben alte Entscheidungen zu rechtfertigen. So schlägt sich Kurt G. in Rumänien ein erstes Jahr ehrbar durch. Investiert Hirnschmalz, Energie, schluckt Frust hinunter, erzielt Achtungserfolge. Schlussendlich verbringt Kurt dort drei Jahre und durchlebt, im Nachhinein betrachtet, eine der produktivsten Arbeitsphasen seines Lebens. Ohne Verführung wäre er nie nach Rumänien gegangen.

Die Psychologie der Köder-Technik

Kurt wurde mit der Köder-Technik beeinflusst. Dabei werden zunächst die wahren Kosten verschwiegen, die mit einem Verhalten verbunden sind. In weiterer Folge beharren Menschen umso mehr auf ihren Entscheidungen, je mehr sie Zeit, Energie, Gedanken, Gefühle, Geld investiert haben. Im Unterschied zum Fisch verbeißen sich Menschen also nicht in Haken, sondern in die subjektive Logik ihrer zuvor getroffenen Entscheidungen, selbst wenn sie dabei objektiv betrachtet Kopf und Kragen riskieren. Wir Menschen haben ein starkes Verlangen nach Beständigkeit, denn neue Entscheidungen sollen alte Entscheidungen rechtfertigen.

Wirksamkeit der Methode

Die Wirksamkeit der Methode wurde vielfach bestätigt. Wie bringt man Studierende dazu, um sieben Uhr in der Früh an einem Experiment teilzunehmen? Legte man den frühen Termin offen auf den Tisch, erklärten sich 31 Prozent bereit zu kommen. Fragte man die Studierenden, ob sie an einem Experiment teilnehmen möchten und klärte sie erst nach einem Ja über den Frühtermin auf, waren 56 Prozent willens, das zu tun. Aber das ist noch nicht alles. Denn von den geköderten Studierenden erschienen 53 Prozent. Diejenigen, die gleich mit der Wahrheit konfrontiert wurden, erschienen nur in 27 Prozent der Fälle.

Wie steigert man die Hilfsbereitschaft von Menschen?

Ein Eingeweihter des Forscherteams hielt einen acht Kilo schweren Hund an der Leine. In Variante a) fragt er: „Entschul­digen Sie, ich muss meine Großmutter im Krankenhaus besuchen. Da sind Hunde nicht erlaubt. Können Sie bitte eine halbe Stunde lang auf ihn aufpassen, damit ich zu ihr kann?“ Der Hundebesitzer formulierte also sofort eine dreiste Forderung. In Variante b) bittet er Sie ohne Hinweis auf die Dauer und fügt erst nach Ihrer Zustimmung hinzu: „Das ist sehr nett von Ihnen. Ich bin rasch wieder da und werde nicht länger als eine halbe Stunde ausbleiben.“ In Variante a) akzeptierten zwölf Prozent die Bitte. In Variante b) waren es mehr als zweieinhalb Mal so viel, nämlich 30 Prozent.

Conclusio: Wir lassen uns weniger vom Gegenüber einspannen, sondern vorrangig von uns selbst. Je länger wir mit einem Nein zuwarten, desto höher werden die (psychologischen) Kosten und desto schwerer kommt es uns über die Lippen. Wir müssten vor uns selbst und der Welt einbekennen, ein inkonsequenter Dummkopf zu sein, der nicht weiß, was er möchte.

Tür-vor-den-Kopf-Technik und der Pilotenstreik

Die einschlägige Forschung zeigt, dass Zweidrittel der Change-Projekte die gesteckten Ziele nicht erreichen. Dafür gibt es viele Gründe. Meist ist Widerstand im Spiel. Auch dazu ein Beispiel:

Der Pensionskonflikt mit den Piloten eskaliert. Aber die Personalvorständin teilt den Medien mit: „Wir sind konsensbereit und suchen einen Kompromiss.“ Im Schnitt gehen die Kapitäne in ihrem Unternehmen mit 57 Jahren in den Vorruhestand. Wegen der hohen Kosten soll das Pensionsalter sprunghaft auf das gesetzeskonforme Maximum von 65 Jahren angehoben werden. Das ist eine gewagte Forderung. Die Belegschaftsver­tretung droht mit Streiks mitten in der Feriensaison. Hauen und Stechen, verhärtete Positionen. Wer hat den längeren Atem? Bis ein Kompromiss gesucht wird, der beide Seiten das Gesicht wahren lässt. Ja, die niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten und die längeren Rentenzeiten sind nicht mehr bezahlbar. Selbst dem stursten Gewerkschafter leuchtet das ein. Was kommt also im Endeffekt heraus? Das neue Arrangement sieht einen mehrjähri­gen Stufenplan und eine stärkere Beteiligung der Piloten an der Finanzierung der Unternehmenspension vor. Ohne die manipulative Maximalforderung wäre das Agreement so nie zustande gekommen.

Hidden Agenda

Oft werden in Verhandlungen Positionen vertreten, um die es de facto gar nicht geht. Diese oder jene Forderung sei unabdingbar, lautet die Ansage. So wird dem Gegenüber von Anfang an der geringe Verhandlungsspielraum klargemacht. Um zu guter Letzt dann doch eine andere, viel bedeutendere Hidden Agenda durch­zusetzen, wird schließlich mit viel Getöse dieser Erstanspruch aufgegeben. So ist es der Personalvorständin vielleicht sogar recht, dass die in Ehren ergrauten und bestens organisierten Altpiloten schleunigst ihre Airline in Richtung Vorruhestand verlassen. Damit bekommt sie die günstigeren Tarifverträge für die geplante Billigtochter vermutlich einfacher durch.

Welche Psychologie steckt dahinter?

Die hier angewandte Tür-vor-den-Kopf-Technik arbeitet damit, dass in einem ersten Schritt eine verwegene Forderung formuliert wird, die brüsk abgelehnt wird. Im zweiten Schritt wird vergleichsweise eine niedrigere Forderung formuliert, der eher zugestimmt wird, weil sie im Kontrast zur ersten als Petitesse erscheint.

Wirksamkeit der zwei Techniken am Beispiel von Kindern

Vergleichen wir abschließend die Wirksamkeit der zwei Techniken am Beispiel von Kindern. Wie bekommt man Jugendliche dazu, in ihrer Freizeit 20 Rechenbeispiele zur Vorbereitung für die nächste Prüfung zu machen? In Variante a) legte man ein Arbeitsblatt mit 20 Aufgaben vor. In Variante b) motivierte man die Kids erst einmal zu fünf Aufgaben und erst im Anschluss daran zu 20. Diese Pädagogik bediente sich also der Köder-Technik.Variante c) wendete die Tür-vor-den-Kopf-Technik an, indem man in einem ersten Schritt um das Lösen von 100 Aufgaben bat, was zurecht als Zumutung erlebt wurde. Nach der verständlichen Ablehnung lud man die Kinder dazu ein, 20 Aufgaben zu bewältigen. Die Variante a) führte in 35 Prozent zum Erfolg, b) in 60 Prozent und c) sogar in 90 Prozent.

Warum ist dieses Vorgehen erfolgreich? Im Vergleich zum Erstanliegen erscheint das zweite als Lappalie. Aber nicht nur das, denn eine Ablehnung verstieße gegen das eherne Prinzip der Reziprozität, wonach jede Konzession mit einer Gegen-Konzession zu beantworten ist. Einem schroffen Nein hat ein konziliantes Ja zu folgen. Wie wickelt man also jemanden um den Finger? Erstens: Man umgarnt ihn mit einer Option. Zweitens: Mühsam zieht er seinen Hals aus der Schlinge. Drittens: Der Folgeoption ist er wehrlos ausgeliefert. Manchmal kann also ihr Nein bewusst in Kauf genommen worden sein!

Wie legitim ist das alles?

Letztendlich ist die Legitimität von Manipulation eine Frage der Perspektive und der Moral. Selbst wenn Kurt G. im Nachhinein doch zu dem Schluss käme, auf hinterlistige Weise übervorteilt worden zu sein, musste das Unternehmen jemanden dort hinschicken und die Fluglinie hätte ohne das Cost-Cutting-Programm nicht überlebt.

Streuen wir uns keinen Sand in die Augen: Praktisch alle Konzepte der Arbeitsoptimierung der letzten Jahrzehnte (Mana­gement by Objectives, modulare Fertigung, Lean-Management, Prozess- und Projektmanagement, Empowerment, Profit- und Cost-Center etc.) vergrößern die individuelle Entscheidungs­freiheit und delegieren Verantwortung. Sie bauen also die direkte, hierarchische Kontrolle ab und ersetzen sie durch indirekte, meist marktgetriebene Vorgaben. So wird Macht entpersonalisiert und statt ihr regiert der freie Markt als mysteriöser, unzugänglicher Strippenzieher. Fremd- wird durch Selbstverpflichtung ersetzt. Das ist allemal sinnvoller, seine Mitarbeiter mit der Trump-Methode „You’re Fired!“ über die Klinge springen zu lassen, denn sie erzeugt weder Motivation, noch Selbstverpflichtung, sondern ausschließlich Frust und Angst.

Johannes Steyrer, Interdisziplinäres Institut für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management

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