npoInterview - Werner Kerschbaum spricht mit Tanja Wehsely
In den Newslettern von npoAustria habe ich in den vergangenen Jahren unter der Rubrik 'Alt, aber gut' Klassiker aus der Managementliteratur vorgestellt.
Nun geht es aber um aktuellere Themen, denn für die vielen Leser:innen des Newsletters von npoAustria ist es natürlich auch interessant, Einblicke in die Arbeits- und Gedankenwelt von Spitzenvertreter:innen des gemeinnützigen Sektors zu bekommen.
Mag.a (FH) Tanja Wehsely ist seit 2019 Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien gemeinnützige GmbH und des Vereins Volkshilfe Wien. Sie trägt die Gesamtverantwortung für 1.600 Mitarbeiter*innen, 400 Freiwillige und 3.000 Mitglieder. Zu ihren Schwerpunkten zählen die Entwicklung der Unternehmensstrategie, Führungskräfteentwicklung, Förderung von Diversität und Frauenpräsenz sowie die Entwicklung innovativer Angebote zur Wohnungssicherung und Armutsbekämpfung.
Von 2007 bis 2018 war Frau Wehsely Gemeinderätin und Landtagsabgeordnete der Stadt Wien. Sie leitete den Gemeinderatsausschuss für Finanzen, Wirtschaft, Digitalisierung und Internationales, war stellvertretende Vorsitzende des Wiener Arbeitnehmer*innen Förderungsfonds (WAFF) und engagierte sich in zahlreichen weiteren Gremien, etwa als Vorsitzende der Steuergruppe für die Wiener Ausbildungsgarantie und als Vorstandsmitglied der Wirtschaftsagentur Wien (Schwerpunkt Social Entrepreneurship).
Sie initiierte und gründete die Plattform Social City Wien, war Lektorin an der FH Campus Wien für Soziale Arbeit und PR sowie in der Öffentlichkeitsarbeit und Projektleitung in der Jugendarbeit tätig.
1. Fragen zum gemeinnützigen Sektor
Was war für Sie die wichtigste/wirkungsstärkste Entwicklung der letzten Jahre im gemeinnützigen Sektor?
In den letzten Jahren hat sich besonders die Digitalisierung als treibende Kraft im gemeinnützigen Sektor erwiesen - ob in der Beratung, im Fundraising oder in der täglichen Arbeit. Gleichzeitig befinden wir uns seit 2020 mehr oder weniger in einem Dauerkrisenmodus, was viele Organisationen herausfordert, aber auch zu beeindruckender Anpassungsfähigkeit geführt hat. Besorgniserregend sind die zunehmenden Angriffe von rechts auf NPOs – weltweit, etwa in den USA, Ungarn, Russland oder auch durch die FPÖ. Trotz dieser Entwicklungen haben sich Non-Profit-Organisationen als starke, hörbare Stimme in der Gesellschaft etabliert, die Missstände klar benennt und Veränderungen anstößt.
Welche Risiken/Chancen sehen Sie für den NPO-Sektor in der Zukunft?
Zu den größten Risiken zählen weiterhin politische Angriffe von rechts sowie finanzielle Engpässe in Zeiten des allgemeinen Spardrucks. Gleichzeitig eröffnen sich aber auch neue Chancen – insbesondere durch die fortschreitende Digitalisierung und innovative Partnerschaften, zum Beispiel mit Unternehmen oder Bauträgern. Zudem gewinnt der soziale Impact von Unternehmen im Rahmen der SDGs zunehmend an Bedeutung, was neue Kooperationen und gemeinsame Projekte möglich macht.
Wenn Sie für einen Tag alle Möglichkeiten hätten - zum Beispiel als verantwortliche Ministerin oder Bundeskanzlerin - welche Maßnahmen würden Sie jedenfalls umsetzen?
Ich würde ein gerechtes System schaffen, in dem Sparen zwar wichtig bleibt, aber alle ihren Beitrag leisten – auch durch eine Reichensteuer. Außerdem wäre mir die Einführung einer echten Kindergrundsicherung (Kinderzukunftssicherung) ein Herzensanliegen, ebenso wie die konsequente Umsetzung von Gleichstellung in allen Lebensbereichen. Und falls dann noch Zeit bleibt: Ich würde versuchen, ein bisschen mehr Menschlichkeit und Fairness in die Politik zu bringen.
2. Fragen zur eigenen Organisation
Was ist Ihrer Organisation in der jüngeren Vergangenheit besonders gut gelungen?
Ehrlich gesagt, sehr vieles. Wir haben interne Silos aufgebrochen und damit Zusammenarbeit und Austausch deutlich gestärkt. Besonders stolz sind wir auf Projekte wie den Wohnschirm, die Ukrainehilfe, das Hafen*-Projekt, die VIDO Männer*beratung und die TAV/Vintage Shops. Auch unsere wissenschaftliche Kooperation – etwa im Bereich der Delogierungsprävention – ist ein wichtiger Schritt. Darüber hinaus haben wir unsere EU-weite Vernetzung mit Initiativen wie HOUS erfolgreich ausgebaut.
Welche Themen/Schwerpunkte werden in nächster Zukunft in Ihrer Organisation eine besonders hohe Priorität genießen?
In den kommenden Jahren werden wir uns intensiv mit den Folgen der Teuerung und der weiter zunehmenden Armut auseinandersetzen. Große Bedeutung werden auch die Männer*beratung, das Thema Wohnen und der Bereich Pflege haben. Diese Themen sind zentral, um soziale Stabilität und Chancengleichheit zu fördern.
Wie würden Sie die Schlüsselkompetenzen/Alleinstellungsmerkmale Ihrer Organisation definieren?
Wir verstehen uns als professionelle soziale Dienstleisterin mit starkem gesellschaftspolitischem Engagement. Unsere Organisation reagiert auf die sozialen Herausforderungen unserer Zeit – stets säkular, solidarisch und kritisch. Dieses Zusammenspiel von Praxisnähe und Haltung macht uns besonders.
Was sind die zentralen Werte in Ihrer Organisation?
„Helfen macht stark. Dich, mich und uns als Gesellschaft.“
Solidarität und Zusammenhalt sind unsere Basis – im Team, in der Arbeit mit Klient:innen und in unserem gesellschaftlichen Wirken.
Wenn jemand Fremder zum ersten Mal in Ihre Organisation kommt, was würde ihm besonders auffallen?
Ganz sicher die Vielfalt! Bei uns arbeiten rund 1.800 Kolleg:innen aus über 70 Ländern zusammen – mit unterschiedlichsten Lebenswegen, Perspektiven und Erfahrungen. Diese Vielfalt macht unsere Organisation lebendig, kreativ und menschlich.
3. Fragen zur Person/Steckbrief
Von wem haben Sie am meisten gelernt?
Ich habe von vielen Menschen lernen dürfen – von meiner unkonventionellen Familie, besonders von meinem lieben Mann und besten Freund Adam, meinem supergescheiten Sohn Ivo und meinem Freundeskreis, aber auch von ausgewählten Kolleg:innen und Geschäftsführer:innen, die mir gezeigt haben, wie man menschlich und gradlinig zugleich sein kann.
Welches Buch oder welchen Film empfehlen Sie den Leser:innen des npoAustria Newsletter?
als Buch: Schuldhafte Unwissenheit – Essays wider Zeitgeist und Judenhass von Karl-Markus Gauß – ein leidenschaftliches Plädoyer für die universalen Werte der Aufklärung.
und als Film: Fack ju Göhte 1 und The Big Lebowski – beide mehrfach getestet und für sehr familien-tauglich befunden :)
Was regt Sie besonders auf?
Mich regen Menschen auf, die ignorant sind und lügen.
Womit können andere Menschen Ihnen eine Freude bereiten?
Wenn jemand sich wirklich Zeit nimmt und zuhört. Und wenn’s dazu noch was Lustiges zu erzählen gibt – perfekt!
Wenn Sie nur noch kurze Zeit zum Leben hätten, was möchten Sie jedenfalls noch erledigen?
Ich bin eigentlich wunschlos glücklich – aber ich lass mich überraschen, ob mir dann doch noch was einfällt. Vielleicht einfach nur reinen Tisch machen. Keine Sorge es gibt keine Leichen im Keller. Nur ein bisschen Staub :-)
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen geben, die ihr Berufsleben gerade starten?
Probier ‘aus, was dich begeistert und hab keine Angst vor Umwegen. Bleib neugierig und mach’ was draus.
Was ist Ihr persönliches Lebensmotto bzw. Ihr Leitspruch?
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ – Erich Kästner
Oder in der Kurzfassung: Einfach machen!
4. Allgemeines
Was ich jedenfalls noch sagen wollte...
I really love my job – und ganz nebenbei ist mir die Musik besonders wichtig. Ganz konkret das Musizieren mit meinem Mann in unserer Rockband „Extra:Gone“, in der ich die Frontsängerin bin.