Hintere Außenansicht des D2 Gebäudes

Studie zu Freiwilligenarbeit von Menschen mit Migrationshintergrund

Hintergrund der Studie

Freiwilliges Engagement kann einen wichtigen Beitrag für die Integration und Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund leisten. Inwieweit sich Menschen freiwillig engagieren, wird durch eine Vielzahl an Faktoren beeinflusst, die sich oft wechselseitig bedingen. Einerseits spielen sozioökonomische Faktoren eine Rolle, wie beispielsweise Bildungsgrad, Erwerbstätigkeit und Einkommen. Die Sozialisation durch die Familie sowie Bildungseinrichtungen hat ebenso einen Einfluss, wie persönliche Netzwerke. Grundsätzlich gilt, je besser die Ressourcenausstattung von Menschen ist, desto eher engagieren sie sich freiwillig. Auch kulturelle Aspekte spielen eine Rolle. Österreich verfügt beispielsweise über ein ausgeprägtes Vereinswesen, in denen sich viele Menschen ehrenamtlich engagieren. Ob sich Menschen mit Migrationshintergrund freiwillig engagieren, hängt demnach einerseits von ihrer persönlichen Ressourcenausstattung ab, wird jedoch auch maßgeblich durch die Freiwilligenorganisationen geprägt. In der Praxis zeigt sich, dass es nicht ausreicht, wenn Organisationen „grundsätzlich offen“ für ein Engagement von Migrant:innen sind. Vielmehr müssen sie gezielte Maßnahmen setzen, um Migrant:innen als Freiwillige zu gewinnen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Sprachbarrieren bestehen und die Migrant:innen auch sonst noch wenig integriert sind, weil sie beispielsweise nicht erwerbstätig sind.

Im Rahmen der vorliegenden Studie, welche durch den Österreichischen Integrationsfonds in Auftrag gegeben wurde, wurde nach Möglichkeiten der verbesserten Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund in ehrenamtliche Tätigkeiten gesucht. Ziel der vorliegenden Studie war es zu untersuchen, wie Organisationen auf Menschen mit Migrationshintergrund zugehen, ob dies Teil ihres Selbstverständnisses oder sogar Teil ihrer Strategie ist, ob sie spezielle Maßnahmen ergreifen, um Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen und sie in die Organisation einzubinden, welche Hürden es dabei gibt und welche Erfahrungen sie gemacht haben. Weiters wurde im Rahmen der Studie auch die Bedeutung des freiwilligen Engagements von Menschen mit Migrationshintergrund für ausgewählte zentrale Stakeholdergruppen eruiert. Konkret wurden Wirkungen der Freiwilligentätigkeit für die Freiwilligen mit Migrationshintergrund selber, aber auch für die Freiwilligenorganisationen und deren Leistungsempfänger:innen bzw. Adressat:innen und für die Gesellschaft insgesamt erfasst und analysiert. In zwölf teilstrukturierten Interviews wurden dazu Vertreter:innen von großen Freiwilligenorganisationen unterschiedlichster Tätigkeitsbereiche befragt.

Ergebnisse

Die Ergebnisse zeigen, dass die Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund selten ein Teil einer gezielten Strategie ist, es jedoch in den befragten Organisationen großteils ein sehr hohes Bewusstsein und mitunter auch viel Erfahrung mit der Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund gibt, wobei immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass es sich dabei um keine homogene Gruppe handelt. Seit der Flüchtlingsbewegung 2015 haben sich manche Organisationen damit auseinandergesetzt, wie Menschen mit Fluchterfahrung eingebunden werden können, dies trifft jedoch nicht auf alle Organisationen zu.

Organisationen, die primär Advocacy-Funktionen erfüllen, die also beispielsweise aktivistisch tätig sind und bestimmte gesellschaftliche Veränderungen erreichen möchten, etwa in Bezug auf Umweltschutz, Menschenrechte etc. berichten öfter, dass sie eher höher gebildete Menschen erreichen, weil es bei ihren Aktivitäten unter anderem darum geht, komplexe Sachverhalte aufzuzeigen. Wenn sich Menschen mit Migrationshintergrund dort engagieren, verfügen diese meist über sehr gute Deutsch- oder Englischkenntnisse und einen höheren Bildungsgrad. Gerade diese Organisationen betonen aber auch immer wieder, dass es ihnen wichtig ist, mit ihren Themen möglichst alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen und diese für ihre Sache zu gewinnen.

Leichter ist es offenbar für Organisationen, die stärker im Bereich der Gemeinschaftsbildung aktiv sind, etwa Sport- und Kulturorganisationen oder solche im Bereich des Gemeinwesens, Menschen mit Migrationshintergrund einzubinden. Manchmal handelt es sich dabei um Mitgliedsorganisationen, die verschiedene Leistungen für ihre Mitglieder anbieten, wie etwa Sportkurse. Die reine Mitgliedschaft ist dabei noch kein freiwilliges Engagement, diese ist jedoch oft ein Einstieg über niederschwellige Tätigkeiten, wie beispielsweise die Mithilfe bei Festen oder die Pflege der Sportstätten. Hier wurden Erfahrungen berichtet, wo Jugendliche mit Fluchthintergrund einer benachbarten Einrichtung sehr proaktiv und unter Berücksichtigung ihrer Interessen zunächst als Mitglieder in die Organisation eingebunden wurden und im Zuge dessen freiwillige Tätigkeiten übernommen haben. Auch Organisationen, die verschiedene Leistungen für Menschen mit Migrationshintergrund anbieten, berichteten davon, dass ehemalige Leistungsempfänger:innen sich in Folge freiwillig bei der Organisation engagierten. Diese Organisationen gaben teilweise an, dass sich in jüngerer Zeit sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund aktiv an sie wenden, weil sie sich für ein freiwilliges Engagement interessieren.

Die Motive der Freiwilligen sind nach den Berichten der Organisationen sehr divers und abhängig von den jeweiligen Lebensumständen. Sie reichen vom Anliegen, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten bzw. etwas zurückzugeben, über den Wunsch, die eigene Freizeit sinnvoll zu gestalten hin zu dem Bestreben, die Chancen am Arbeitsmarkt zu erhöhen, die Sprache zu lernen und andere Menschen kennenzulernen. Diese Motive reihen sich in von der Forschungsliteratur genannten Motive für freiwilliges Engagement ein, haben aber für Freiwillige mit Migrationshintergrund oft noch einmal eine besondere Bedeutung, weil es auch verschiedenste Hürden zu überwinden gilt.

Diesbezüglich genannt wurden einerseits sprachliche Barrieren, die es mitunter schwierig machen, geeignete Tätigkeiten zu finden oder potenzielle Freiwillige zu erreichen. Vorbehalte seitens anderer Mitarbeiter:innen oder Mitglieder der Organisationen wurden ebenfalls erwähnt. Bei Organisationen, die Dienstleistungen für Kund:innen anbieten, kann es auch im Kontakt zu diesen zu Vorurteilen und daraus resultierenden Problemen kommen. Hürden können auch persönliche Faktoren der Freiwilligen darstellen. Dazu zählen zeitliche Restriktionen, die dadurch entstehen, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich mit vielen bürokratischen Angelegenheiten auseinandersetzen müssen, um ihr Leben in Österreich zu organisieren. Bei Menschen mit Fluchterfahrung sind es mitunter auch rechtliche Restriktionen, die die Möglichkeiten, sich freiwillig zu engagieren, einschränken. Persönliche – teilweise traumatische – Erfahrungen gerade von geflüchteten Menschen bedingen einen sehr sensiblen Umgang der Organisation mit ihren Freiwilligen.

Um Barrieren wie diese zu überwinden braucht es seitens der Organisationen verschiedenste Maßnahmen. Dazu zählen spezielle Schulungsmaßnahmen für Freiwillige aber auch für die Mitarbeiter:innen, die mit Freiwilligen mit Migrationshintergrund zusammenarbeiten, Buddy-Systeme, durch die Freiwillige mit Migrationshintergrund Unterstützung erhalten bzw. ein wechselseitiger Austausch gefördert wird, Supervisionsangebote etc. Sehr bewährt hat sich auch der Ansatz einer Organisation, Menschen mit Migrationshintergrund bei der Umsetzung ihren eigenen Ideen bestmöglich zu unterstützen. Wichtig ist es dabei, Freiräume zu schaffen und die Bedürfnisse und Anliegen der Freiwilligen anzuhören.

Wirkungen

Die Organisationen sehen es teilweise als ihren gesellschaftlichen Auftrag, Freiwillige mit Migrationshintergrund einzubinden, erkennen aber auch spezielle Vorteile für die Organisation. Diese liegen beispielsweise in der Schaffung eines besseren Zugangs zu Kund:innen (mit Migrationshintergrund), einer höheren Glaubwürdigkeit, einer Sensibilisierung für verschiedene Zielgruppen sowie das Einbringen neuer Ideen. Im Gegenzug profitieren auch Leistungsempfänger:innen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen von verbesserte Leistungen sowie einer höheren Zufriedenheit damit durch den Einsatz von Freiwilligen mit Migrationshintergrund. Auch die Freiwilligen selber ziehen wesentlichen Nutzen aus ihrer Freiwilligentätigkeit. Beispielsweise entwickeln sie ein besseres Verständnis für die Werte und Kultur der Aufnahmegesellschaft, erwerben bzw. verbessern ihre Sprachkenntnisse und knüpfen soziale Kontakte. Breit betrachtet führt die stärkere Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund auf gesellschaftlicher Ebene oft dazu, dass ein besseres Verständnis und mehr Akzeptanz für andere Kulturen entwickelt werden sowie Zweifeln und Vorurteilen über anderen Kulturen abgebaut werden.

Kontakt
Mag.rer.soc.oec. Eva More-Hollerweger

Eva More-Hollerweger

Senior-Researcherin, Obfrau des NPO-Instituts (Verein)
Aufgaben: NPOs, Zivilgesellschaft, Freiwilligenarbeit, Evaluationen und strategisches Management.
Dipl.-Ing. Stefan Schöggl, B.Sc.

Stefan Schöggl

Researcher
Aufgaben: Wirkungsanalysen, SROI-Analysen, Social Innovation, Themenbereiche: Bildung, Kultur, sozial-ökologische Nachhaltigkeit