Evaluierung Wohnschirm
Das Programm Wohnschirm des Sozialministeriums startete im März 2022 mit dem Ziel, Menschen zu unterstützen, die durch die Covid-19-Pandemie finanziell in Bedrängnis gekommen sind und dadurch Probleme hatten, ihre Miete zu begleichen. Mietrückstände sind sogenannte „gefährliche Schulden“, weil Vermieter:innen nach dem Mietrecht bereits beim ersten Zahlungsverzug die Möglichkeit haben, bei Gericht eine Delogierung zu beantragen. Eine Delogierung hat weitreichende Auswirkungen auf die betroffenen Personen und die Beschaffung einer neuen Wohnung ist mit hohen Kosten verbunden, welche die finanzielle Situation der Betroffenen noch zusätzlich belasten. Der Wohnschirm wurde als ein Kriseninstrument des Sozialministeriums eingeführt und war zunächst dafür bestimmt, die Folgen der Covid-19-Pandemie abzuschwächen und so Delogierungen zu verhindern. Er war ursprünglich mit 24 Millionen Euro ausgestattet und bis Ende 2023 vorgesehen. Bereits im Jahr 2022 folgte mit der inflationsbedingten Teuerung jedoch eine weitere Krise, die die finanzielle Situation der privaten Haushalte zusätzlich stark belastete. Folglich wurde der Wohnschirm in dreifacher Hinsicht ausgeweitet, erstens, in Bezug auf die Art der unterstützten Kosten, neben Mietrückständen können auch Energiekostenrückstände eingereicht werden. Zweitens wurde die Laufzeit bis Ende 2026 verlängert und drittens, wurde das Volumen des Wohnschirms stark erweitert.
Das NPO Kompetenzzentrum wurde vom Sozialministerium beauftragt, die zum "Wohnschirm" Programm zugehörigen Maßnahmen zur Bekämpfung drohender Delogierung und Wohnungsverlustes aufgrund der Covid-19-Pandemie durch eine externe Evaluierung zu begleiten. Konkret verfolgt die Studie folgende drei Hauptziele:
Ziel 1: Bestandsaufnahme des aktuellen, durch Covid-19 bedingten Bedarfs sowie der tatsächlichen Inanspruchnahme von Maßnahmen der Delogierungsprävention und Wohnungssicherung
Ziel 2: Ergebnisevaluation mit Fokus auf der Identifikation, Messung und Darstellung der Wirkungen der Covid-19-bedingten Delogierungsprävention und Wohnungssicherung im Rahmen des "Wohnschirm" Programms
Ziel 3: Struktur- und Prozessevaluation mit Fokus auf der Umsetzung des "Wohnschirm" Programms unter Berücksichtigung des Zusammenspiels mit anderen Unterstützungsmaßnahmen der Delogierungsprävention und Wohnungssicherung
In Summe konnte in den Jahren 2022 und 2023 im Rahmen der Wohnungssicherung 6.640 Haushalten und 15.030 Personen und im Rahmen der Unterstützung des Wohnungswechsels 769 Haushalten und 1.929 Personen geholfen werden. Davon waren 5.401 (Wohnungssicherung), beziehungsweise 820 (Wohnungswechsel) Personen minderjährig. Betrachtet man die Anzahl der unterstützten Haushalte pro 100.000 Mieter:innen im jeweiligen Bundesland, zeigt sich, dass Kärnten mit 411 unterstützten Haushalten pro 100.000 Mieter:innen an erster Stelle kommt, gefolgt von Niederösterreich (348), Tirol (343) und dem Burgenland (316). Wien bildet mit 128 unterstützten Haushalten pro 100.000 Mieter:innen das Schlusslicht, hat aber aufgrund der Größe absolut gesehen die meisten Anträge. Die Unterstützungsleistungen beliefen sich für die Jahre 2022 und 2023 auf mehr als 20,3 Millionen Euro, der Großteil davon (17,8 Mio. Euro) wurde für die Wohnungssicherung bereitgestellt und der Rest (rund 2,5 Mio. Euro) für den Wohnungswechsel, wobei in diesen Summen auch die Pauschalen für Beratungen enthalten sind, die die Beratungsstellen pro erfolgreichem Antrag erhalten (400 Euro pro Antrag).
Der Wohnschirm erreichte insbesondere armutsbetroffene Haushalte. Das Bildungsniveau liegt ebenso wie das damit korrelierende Einkommensniveau deutlich unter dem österreichischen Schnitt. Knapp die Hälfte der Haushalte (49 %) bezog ein Einkommen aus unselbständiger oder selbständiger Arbeit. Die andere Hälfte der Haushalte bezog Transfereinkommen wie AMS-Leistungen, Notstandshilfe oder auch Miet- bzw. Wohnbeihilfen. Rund 73 % der Haushalte, die vom Wohnschirm unterstützt wurden, lagen unter der Armutsgefährdungsschwelle aus dem jeweiligen Jahr. Die Altersstruktur zeigt, dass mehr als die Hälfte der Klient:innen, die einen Antrag gestellt haben (55 %) zwischen 25 und 44 Jahre alt war. Diese Altersgruppe ist im Vergleich zur österreichischen Bevölkerung deutlich überrepräsentiert. Personen über 65 Jahre finden sich kaum unter den Antragsteller:innen (5 %). Dies verwundert nicht allzu sehr, da der Zugang zu günstigem unbefristetem Wohnraum früher leichter war. Personen mit höherem Alter hatten zudem eher die Möglichkeit, sich finanzielle Reserven aufzubauen und Pensionist:innen mit sehr geringen Eigenpensionen beziehen eher Sozialhilfe und sind damit im Delogierungssystem der Länder. Bei der Wohnungssicherung hatten mehr als zwei Drittel der unterstützten Haushalte (69 %) Mietschulden (inklusive Gerichtskosten) unter 3.000 Euro und nur 1 % hatte mehr als 10.000 Euro Mietschulden. Die durchschnittliche Höhe lag bei 2.694, der Median lag deutlich niedriger bei 2.065 Euro. In Bezug auf die Haushaltsgröße waren im Wohnschirm Einpersonenhaushalte und vor allem Haushalte mit mehr als fünf Personen im Vergleich zur Verteilung in Österreich überrepräsentiert. Ein-Eltern-Familien waren ebenfalls stark überrepräsentiert, genauso wie Haushalte, die einen Wohnungsüberbelag haben.
Neben der Vermeidung von Delogierungen, der Abwendung von Umzügen in neue Wohnungen und der Prävention von unsicheren Wohnverhältnissen sowie von Obdach- und Wohnungslosigkeit konnten im Rahmen der Wirkungsanalyse weitere Wirkungen des Wohnschirms festgestellt werden. Die Befragung der Klient:innen bestätigt, dass durch den Wohnschirm eine Reihe von negativen Folgewirkungen verhindert und die Wohn- und Lebenssituation weitgehend aufrechterhalten oder sogar verbessert werden konnte. Sowohl die Wohnungssicherung als auch der Wohnungswechsel führten zu einer signifikanten psychischen Entlastung der Klient:innen und zu einer signifikanten Steigerung der finanziellen Zufriedenheit. Beim Wohnungswechsel kam es außerdem zumindest im Hauptmodell und damit teilweise zu einer Verbesserung der Zufriedenheit mit der eigenen Wohnung und des Gefühls von Sicherheit im Alltag, sowie einer Reduktion von Nachbarschaftskonflikten und Problemen mit Vermiter:innen und der Hausverwaltung. Alle anderen abgefragten Aspekte haben sich bis auf eine Ausnahme nicht verschlechtert und konnten damit stabil gehalten werden. Das soziale Netzwerk konnte interessanterweise im Fall der Wohnungssicherung nicht aufrechterhalten werden, was darauf hindeutet, dass bereits die Gefahr einer Delogierung Auswirkungen auf das soziale Netzwerk hat. Im Rahmen der Ex-post-Analyse konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass die finanzielle Unterstützung des Programms den Klient:innen half, eine (weitere) Verschuldung zu vermeiden, sie finanziell entlastete und dazu beitrug, dass sie wohnungsbezogene Angelegenheiten nun schneller regeln. Darüber hinaus wissen sie nun, wo sie sich Unterstützung zum Thema „Wohnen“ suchen können. In Bezug auf die Stakeholdergruppe der Kinder der Klient:innen konnten sowohl die Wirkung der Aufrechterhaltung einer angenehmen Wohnsituation und -umgebung als auch die Wirkung der Aufrechterhaltung des sozialen Netzwerkes bestätigt werden.
Zusammenfassend stellt sich der Wohnschirm als effektives Instrument zur Sicherung von Wohnraum in Krisensituationen dar. Er erreicht die Zielgruppe der armutsbetroffenen Personen sehr gut, konnte hunderte Haushalte vor einer Delogierung und den damit verbundenen negativen Folgen bewahren und positive Wirkungen, wie die psychische Entlastung der Klient:innen und die Entlastung der öffentlichen Haushalte im Bereich der Maßnahmen zur Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit erzielen. Gleichzeitig hat der Wohnschirm dazu beigetragen, das Instrument der Delogierungsprävention in Bundesländern, in denen es zuvor keine solchen Maßnahmen gegeben hat, zu etablieren und dabei geholfen, hier Strukturen zu schaffen und Durchführungsmöglichkeiten für Landesleistungen der Delogierungsprävention aufzuzeigen. Obwohl die Delogierungsprävention in den einzelnen Ländern dadurch einheitlicher wurde und die Beratungsstellen in den Bundesländern ausgebaut und aufgewertet wurden, sind die Unterschiede der Landesleistungen weiterhin gegeben. Die automatische Mitteilung von Räumungsklagen durch die Gerichte an die Beratungsstellen hat sich beispielsweise in einigen Bundesländern als wichtiger Mechanismus erwiesen, um frühzeitig Kontakt zu den Betroffenen aufnehmen zu können und schnell zu intervenieren.
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