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Medienberichte

Legal-Tech-Start-ups wollen mehr Spielraum

Regulatory Sandboxes sollen gesetzliche Freiräume zur Erprobung innovativer Geschäftsfelder bieten.

Auch das altehrwürdige Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch war einmal innovativ. Bevor es 1812 in Österreich endgültig eingeführt wurde, trat im frisch eroberten Kronland Galizien ein Vorentwurf in Kraft. Die Erfahrungen, die im Gebiet des heutigen Polens gesammelt wurden, flossen in die endgültige Fassung des Zivilrechtskodex ein.

Mehr als 200 Jahre später scheinen "Reallabore" für gesetzliche Bestimmungen wieder stark im Kommen zu sein. Sogenannte Regulatory Sandboxes sind aber mehr als reine Pilotprojekte für neue Gesetze: Sie sollen in reglementierten Wirtschaftsbereichen gezielt Freiräume schaffen – nicht nur, um den Gesetzgeber auf neue Ideen zu bringen, sondern auch, um Unternehmen bei ihren Innovationen zu unterstützen. Befürworter des Konzepts sehen Regulatory Sandboxes als Mittel gegen Überregulierung. Kritiker befürchten die Aushöhlung gesetzlicher Standards.

Spielwiese für Start-ups

"Es geht darum, einen Bereich zu definieren, wo man ganz gezielt sagt: Hier erlauben wir Innovation", sagt Sophie Martinetz vom Legal Tech Center der WU Wien, das am vergangenen Donnerstag ein Symposium zum Thema "Sandboxes for Legal Technology" veranstaltete. Die regulatorische "Spielwiese" kann dabei auf zwei unterschiedliche Arten entstehen. "Entweder man ermöglicht bestimmte gesetzliche Ausnahmen, oder man reizt das geltende Recht viel weiter aus."

Start-ups hätten dadurch die Möglichkeit, neue Dinge auszuprobieren. Gleichzeitig lernt der Staat, wo Regelungsbedarf besteht. Die Erkenntnisse, die aus der Sandkiste gewonnen werden, dienen dann als Entscheidungsgrundlage für den Gesetzgeber.

Laut Christoph Krönke, Professor für öffentliches Recht und Direktor des Legal Tech Centers an der WU Wien, erschöpft sich das Potenzial von Regulatory Sandboxes nicht in der bloßen Befreiung von rechtlichen Vorgaben. "Sandboxes müssen als sektorenübergreifendes aufsichtsrechtliches Konzept gedacht werden, das die Formensprache des Verwaltungsrechts um ein wertvolles Element ergänzt."

Ideen erproben

Bereits seit letztem Jahr gibt es für Fintechs eine Sandbox bei der Finanzmarktaufsichtsbehörde FMA. Ziel ist es, den jungen Unternehmen den Weg in die reguläre Aufsicht zu erleichtern. Start-ups im Bereich von Finanzdienstleistungen können ihr Geschäftsmodell in Zusammenarbeit mit der Aufsicht erarbeiten.

Dafür gibt der Gesetzgeber der Behörde und den Unternehmern einen Freiraum, in dessen Rahmen innovative Ideen erprobt werden können. Ist der Test erfolgreich, kann das Start-up in die reguläre Aufsicht wechseln. Im Jänner dieses Jahres nahm die FMA das erste Fintech, eine App für den Handel von digitalisierten Wertpapieren, in die Regulatory Sandbox auf.

Der Pilotversuch im Finanzdienstleistungssektor soll ausgeweitet werden. Das aktuelle Regierungsprogramm sieht die Umsetzung von Sandboxes auch in anderen Bereichen vor. Demnach sollen "innovative Technologien, Produkte und Dienstleistungen in ihrer Frühphase mit Blick auf europäische und internationale Entwicklungen in einem wettbewerbsneutralen Rahmen erprobt werden können."

Sandbox für Legal Tech

Gerade das Thema Legal Tech und die Automatisierung von Recht würden viele Möglichkeiten für Sandboxes bieten, sagt Martinetz. International federführend sind dabei das Vereinigte Königreich und Estland. Sie arbeiten eng mit Legal-Tech-Start-ups zusammen und ermöglichen ihnen den Zugriff auf öffentliche Daten.

Das britische Justizministerium anonymisierte etwa 80.000 Gerichtsentscheidungen, die nun von Unternehmen, die sich mit Machine-Learning beschäftigen, genutzt werden können. Auch die Frage, wie Gesetze von Anfang an so konzipiert werden können, dass sie für künstliche Intelligenz lesbar sind, könnte im Rahmen einer Sandbox erprobt werden.

Durch die Zusammenarbeit zwischen Behörden und Unternehmen entstehen Synergieeffekte, von denen beide Seiten profitieren können, ist Martinetz überzeugt. Der Zugang zum Recht sei auch für die Standortentscheidung eines Unternehmens wichtig. "Die öffentliche Hand sollte ein Interesse daran haben, gemeinsam mit Unternehmen – etwa durch Sandboxes – an einem effizienten, digitalisierten Rechtssystem zu arbeiten."

(Jakob Pflügl, Der Standard vom 25. Mai 2021, hier online abrufbar)

Was Juristen mit dem Sandkasten zu tun haben

Diskussion über Regulatory Sandboxes für Legal Tech.

Die FinTech-Vorreiter in Österreich haben sie schon für sich gebaut: Regulatory Sandboxes. Das sind spezielle gesetzliche Regelungen, die es Unternehmen und Start-ups für einen bestimmten Zeitraum ermöglichen, neue Geschäftsmodelle zu erproben, bevor sie der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Nun drängen auch die Legal-Tech-Anbieter in diese Richtung. Über die Möglichkeiten wurde kürzlich am von Sophie Martinetz (Future-Law) und Christoph Krönke (WU Wien) initiierten WU Legal Tech Center diskutiert. Experten aus Deutschland, Estland und England stellten ihre teils sehr unterschiedlichen Modelle und Zugänge vor. Österreich, das seit den 1980er-Jahren eine Vorreiterrolle in der Digitalisierung der Justiz in ganz Europa einnimmt, erarbeitet derzeit mit der strategischen Initiative Justiz 3.0 unter anderem die vollständige digitale Akten- und Verfahrensführung. Konkreter Anwendungsfall für derartige Sandkastenspiele könnte die Digitalisierung und Anonymisierung auch erstinstanzlicher Urteile sein, mit dem Ziel, einerseits die Transparenz zu erhöhen, andererseits Start-ups Daten für unterschiedlichste Entwicklungen zur Verfügung zu stellen. Eine andere Anwendung könnte die vollständige Digitalisierung des Unterhaltswesens sein oder auszuprobieren, ob es eine sinnvolle Möglichkeit für Erfolgshonorare für Rechtsanwälte geben könnte.

(mhk, Die Presse vom 28. Mai 2021, hier online abrufbar)