3. Tag der Genossenschaften am 17.10.2023

06. November 2023

Der „Tag der Genossenschaften“, der im Jahr 2021 seine Premiere feierte, fand am 17.10.2023 zum bereits dritten Mal im Festsaal 1 der Wirtschaftsuniversität Wien statt. Dieser Beitrag liefert einen Rückblick zur Veranstaltung, die virtuell und in Präsenz besucht werden konnte.

Lesezeit: 8 Minuten 

Der einst als “Leistungsschau der österreichischen Genossenschaften” für das Jahr 2020 geplante “Tag der Genossenschaften” hat sich in seinem aktuellen Format bereits bewährt: 2021 wurde die Veranstaltung bereits zweifach virtuell durchgeführt. Am 17. Oktober 2023 folgte nun die erstmalige Umsetzung mit einem größeren Publikum vor Ort. Speziell freut uns daran, dass gleich mehrere Schulklassen - zum Teil unter Inkaufnahme einer mehrstündigen Anreise - an der Veranstaltung teilgenommen haben. Ausschlaggebend für das rege Interesse war mit Sicherheit auch der Vortrag der ersten Schüler*innengenossenschaft Österreichs, deren Mitglieder hierfür extra aus Bruck an der Mur nach Wien kamen.  

Aber alles zu seiner Zeit; in der Veranstaltung, die in vier einstündige Vortragsblöcke aufgeteilt war, konnten schließlich viele Fragen rund um die Genossenschaft geklärt werden: 

Veranstaltungsblock 1: 
  • Prof. Michaela Schaffhauser-Linzatti berichtete über die historische Bedeutung der Genossenschaften und wie ihre Geschichte untrennbar mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung einer Vielzahl von Ländern weltweit verwoben ist. 

  • Manuel Hanselmann, MSc (WU) widmete sich dem Raiffeisenverbund, ging dabei auf die Bedeutung Friedrich Wilhelm Raiffeisens für die Entwicklung der österreichischen Bankenwirtschaft ein und schilderte, warum der Gedanke des gemeinsamen „Anpackens“ gerade in der heutigen Zeit eine Renaissance erfährt. 

  • Als Praxisbeipiel aus dem Raiffeisenverband nahm die Wirtshausgenossenschaft s’Hutwisch an der Veranstaltung teil. Thomas Heissenberger, Bürgermeister der Gemeinde Hochneukirchen-Gschaidt und Obmann der Hutwisch Regionalentwicklungsgenossenschaft, präsentierte in seinem Vortrag den Wunsch der Bevölkerung in seiner Gemeinde, das Fortbestehen des letzten Wirtshauses zu sichern. Zu diesem Zweck wurde nach einigem Hin-und-Her mit potentiellen Pächter*innen die Lösung des gemeinsamen genossenschaftlichen Betriebs des Wirtshauses angestrebt. Gemäß dem genossenschaftlichem Grundprinzip “Hilfe zur Selbsthilfe” wird ab Dezember 2023 das Wirtshaus “s’Hutwisch” von den Bürger*innen der Gemeinde betrieben. Über 600 Zeichnungen von Mitgliedern zeugen davon, dass die gesamte Bevölkerung - und über sämtliche Alters- und politische Spektren hinweg - von der Idee überzeugt ist. 

Veranstaltungsblock 2: 
  • Prof. Markus Dellinger widmete seinen Vortrag den gesetzlichen Grundlagen der Genossenschaft und dem „naturalen“ Förderprinzip, das Genossenschaften zugrunde liegt: Dieses führt dazu, dass nicht vorrangig der bilanzielle Gewinn der Genossenschaft das Ziel dieser Gesellschaftsform darstellt, sondern dass die Mitglieder der Genossenschaft selbst bestimmen, welche/n Zweck/e die Genossenschaft verfolgen soll. In einer Frage darauf angesprochen, warum es auch gemeinnützige Wohnbau-AGs oder –GmbHs gibt, hält Prof. Dellinger seine persönliche Meinung fest: Eine gemeinnützige Kapitalgesellschaft, das sei ein bisschen ein Widerspruch in sich. Man kann AGs und GmbHs zu jedem Zweck gebrauchen; aber die Genossenschaft sei die passendste Rechtsform für die Ziele der Gemeinnützigkeit.  

  • Mag. Alois Feichtinger zeigte auf, dass gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften wie andere gemeinnützige Bauvereinigungen der Bereitstellung von leistbarem und gleichzeitig hochwertigen Wohnraum dienen. Die Bedeutung des gemeinnützigen Wohnbaus für Österreich ist unbestreitbar: jährllich werden etwa 16.000 Wohnungen errichtet, was der Größe einer Stadt wie Wr. Neustadt entspricht. Ebenso investieren gemeinnützige Bauvereinigungen jährlich rund fünf Milliarden in die Sanierung bestehender Wohnobjekte, um diese an die hohen Qualitätsansprüche anzupassen.  

  • Als Praxisbeispiel für den gemeinnützigen Wohnbau stellte sich die gemeinnützige Wohnbaugenossenschaft Bergland mit einem Video vor. Dieses kann über diesen Link jederzeit nachgesehen werden. 

Veranstaltungsblock 3: 
  • Prof. Dietmar Rößl griff noch einmal auf, warum es überhaupt zum Zusammenschluss von mehreren Personen und Unternehmen im Rahmen einer Genossenschaft kommt: Zentral ist hierbei ein gemeinsames Problem, das man in der demokratisch organisierten Personenvereinigung mit einem gemeinsamen Geschäftsbetrieb zu lösen versucht. Da es sich bei der Genossenschaft um eine sehr flexible Organisationsform handelt, findet man zahlreiche (inter-)nationale Beispiele sowohl im Not-for-Profit- als auch im For-Profit-Bereich. 

  • MMag. Barbara Pogacar berichtete über den Genossenschaftsverband nach Hermann Schulze-Delitzsch, der in Österreich neben den Volksbanken etwa 180 Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften betreut und für diese umfassende Beratungs- und Revisionsleistungen bietet. Auch sie unterstrich in ihrem Vortrag, dass zentrale Eckpfeiler einer jeden Genossenschaft der Zusammenhalt und die Unterstützung der Mitglieder untereinander sind. 

  • Als Praxisbeispiel aus dem Genossenschaftsverband nach Schulze-Delitzsch präsentierte Frau Pogacar die Energiegenossenschaft Thermenstromaus Tattendorf, die im Süden von Wien gelegen, eine Photovoltaikgenossenschaft beträchtlicher Größe darstellt. Maßgeblich unterstützt wurde das Vorhaben vom Gemeinderat, von dessen überparteilichen Unterstützung der Idee Frau Pogacar angetan war: politische Färbung spielte keine Rolle. Der Wunsch, die Genossenschaft umzusetzen, wurde von allen Parteien mitgetragen. Um die Genossenschaft in der Bevölkerung zu bewerben, wurden sogenannte “Bürgerstammtische” organisiert, wo einzelne Kernmitglieder der Genossenschaft die Idee der jeweils eigenen Gruppe – den Gewebetreibenden, den “Hausfrauen” der Region, usw.- nähergebracht haben. Ziel der Genossenschaft ist, dass die Mitglieder den gemeinschaftlich und regional produzierten Strom auch gemeinschaftlich nutzen können. 

Veranstaltungsblock 4: 
  • Dr. Rosanna Steininger stellte zu Beginn des letzten Vortragsblicks ein Unterrichtspaket für Genossenschaften vor, das eine intensivere Auseinandersetzung mit der Genossenschaft als Organisations- und Rechtsform in Schulen zum Ziel hat. Dazu zählt unter anderem ein „Genossenschaftsspiel“, bei dem die Schüler*innen spielerisch die Vielfalt der österreichischen Genossenschaften kennenlernen. 

  • Abgerundet wurde die Veranstaltung mit dem sehenswerten Auftritt der eingangs erwähnten Schüler*innengenossenschaft der Försterschule Bruck an der Mur, deren Mitglieder in uriger Tracht über ihre Beweggründe zur Gründung und ihre bisherigen Erfahrungen hautnah berichteten. Die Genossenschaft widmet sich dem Vertrieb von Funktions- und Freizeitbekleidung und die Produkte sind zum Teil mit, zum Teil auch ohne Logo der Schule / Genossenschaft erhältlich. Die Frage des Publikums, was die Herren zur Mitarbeit in der Genossenschaft motiviert wurde prompt beantwortet:
    “Die Genossenschaft gibt uns die Möglichkeit, direkt am realen Wirtschaftsleben teilzunehmen. Für Viele ist es die Hauptmotivation, dass man hier bereits viele Erfahrungen für das spätere Berufsleben sammeln kann.”. Wie wir finden ein passendes Schlusswort für einen erfolgreichen Veranstaltungstag!

Unser Dank geht an alle Vortragenden für die gleichermaßen informativen, wie kurzweiligen Beiträge.
Ebenso möchten wir an dieser Stelle die herausragende Arbeit der IT-Mitarbeiter*innen der WU unterstreichen, ohne die wir den „Tag der Genossenschaften“ nicht hätten durchführen können.

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at. 

Autor: Gregor Rabong 

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Impressionen vom 3. Tag der Genossenschaften, 17.10.2023

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