Genossenschaftliche Weltreise: Nepal

06. September 2020

Coronabedingt sollten Reisen im Moment auf ein Minimum reduziert werden. Um das Fernweh etwas zu lindern, laden wir zu einer genossenschaftlichen Weltreise ein. Der erste Teil der Reihe führt in das für seine Tempel und den Himalaya bekannte Nepal. Genossenschaften haben hier einen so hohen Stellenwert, dass der genossenschaftliche Sektor 2015 in der nepalesischen Verfassung als eine der drei Säulen der nationalen Wirtschaft anerkannt wurde (Maharjan 2020).

Lesezeit: 5 Minuten

Genossenschaften in der Landwirtschaft

66% der nepalesischen Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig (Rupakheti 2020), dementsprechend kommt Genossenschaften in dieser Sparte große Bedeutung zu. Mit einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 0,4 Hektar ist der Agrarsektor sehr klein strukturiert, dennoch sind Kleinbauern und –bäuerinnen für den Großteil der Nahrungsmittelproduktion verantwortlich – rund 70% der Nahrungsmittel stammen von ihnen (Mishra et al. 2018). Durch die Größe der Betriebe sind die Mittel der Landwirt/e/innen begrenzt und sie sehen sich mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert. Finanzielle Engpässe, Probleme in der Produktion und auf den Absatzmärkten, hervorgerufen durch hohe Transaktionskosten, z.B. bei der Informations- oder Betriebsmittelbeschaffung, erschweren das tägliche Leben. Hier können die Genossenschaften „ganz klassisch“ durch größere Einkaufs- und Verkaufsmengen bessere Preise erzielen, als es den einzelnen Betrieben möglich wäre. Zudem ermöglichen die größeren Warenmengen einen gewissen Spielraum bei Ernteausfällen, was eine höhere Zuverlässigkeit der Lieferungen zur Folge hat, von der die Abnehmer/innen profitieren.

Genossenschaften und die Elektrifizierung ruraler Gebiete

Mit ein Grund für die Aufnahme von Genossenschaften in die Verfassung könnte die große Rolle sein, die sie bei der Elektrifizierung ruraler Gebiete des Landes eingenommen haben. Nachdem die eigentlich zuständige Behörde (Nepal Electricity Authority, NEA) als kommerzielles Unternehmen eingetragen war und Profitmaximierung als Ziel hatte, blieben ländliche Gegenden lange Zeit unbeachtet, da sie als unrentabel galten (Yadoo und Cruickshank 2010). Weiters fiel es der NEA zunehmend schwer, das für die Elektrifizierung benötigte Kapital zu mobilisieren, während sich Stromdiebstahl zu einem immer größeren Problem entwickelte (ebd.). Nachdem man mit Genossenschaften beispielsweise im Molkereigewerbe oder in der Wasserversorgung bereits gute Erfahrungen gemacht hatte, hatte der zuständige Minister im Jahr 2002 die Idee, Genossenschaften auch mit der Aufgabe der Elektrifizierung zu betrauen. 2003 wurde neben Bemühungen zur internen Entflechtung der Erzeugungs- und Verteilungsfunktionen der NEA ein Gesetz verabschiedet, welches jeder organisierten ländlichen Gruppe erlaubt, Elektrizität in großen Mengen aus dem Netz zu beziehen und unter den Nutzer/inne/n zu verteilen. Diese Gruppen sind auch für nicht-technische Verluste (d.h. Diebstahl) in ihrem Gebiet verantwortlich. Es erlaubt weiters den von der Gemeinschaft geleiteten Aufbau einer neuen Elektrizitätsinfrastruktur. Hierbei steuerte die NEA zu Beginn bis zu 80% des investierten Kapitals bei, mindestens 20% müssen die Menschen vor Ort bereitstellen, sei es durch Arbeit, Bankdarlehen, Haushaltsspenden, oder Zuschüsse aus den lokalen Dorf- und Bezirksentwicklungskommitees (ebd.). Heute übernimmt die NEA bis zu 90% (NACEUN o. J.).

2006 schlossen sich die Mitglieder aus 17 verschiedenen Genossenschaften zur „National Association of Community Electricity Users in Nepal“ (NACEUN) zusammen, deren Aufgaben vor allem darin bestehen, die Interessen der Mitgliederorganisationen auf nationaler Ebene zu vertreten, erneuerbare Energieformen zu erforschen, sowie Unterstützung sowohl in technischen als auch administrativen Angelegenheiten zu bieten. So bildet die NACEUN pro Dorf eine Person zum/zur Elektriker/in aus. Insgesamt kann das Unterfangen als erfolgreich bewertet werden, beispielsweise gaben die Nutzer/innen Süd-Lalitpurs gemeinsam $ 455 pro Monat für Strom aus, der Dieselgeneratoren bereitgestellt wurde. Nachdem die örtliche Genossenschaft übernahm, reduzierte sich der Preis auf $ 94 im Monat und der Strom stammt mittlerweile aus Wasserkraft (ebd.). Insgesamt konnten bis heute 535.000 Haushalte elektrifiziert werden. Wenn alle geplanten Projekte realisiert werden, kommen in den nächsten Jahren noch 150.000 Haushalte hinzu (NACEUN o. J.).

Genossenschaften im Gesundheitswesen

Das staatliche Gesundheitssystem weist einige, vor allem für Menschen ärmerer Schichten problematische, Eigenschaften auf. Schadhafte Medikamente, informelle Gebühren und Personal, welches unter enormem Zeitdruck steht und teilweise versucht, die Patient/inn/en zu überzeugen, ihre Privatkliniken aufzusuchen, lassen die Qualität der medizinischen Versorgung in dem Land leiden. Korruption und unzureichende finanzielle Mittel verschlechtern die Situation weiter (Glauser 2010). Aus diesen Gründen wurde 2006 die Nepal Health Care Co-operative (NEHCO) gegründet. Ihr Ziel besteht darin, qualitativ hochwertige Gesundheitsdienste für alle, vor allem für Randgruppen abgelegener Gebiete Nepals, zu fördern sowie kompetente Fachkräfte auszubilden (Ranicki o. J.). Unter anderem wurde ein eigenes Krankenhaus mit 100 Betten errichtet, in dem sich die Patient/inn/en erstmals kostenfrei behandeln lassen konnten. Mit 2.000 Mitgliedern und 270 Angestellten ist die NEHCO mittlerweile größte im Gesundheitswesen tätige Genossenschaft Nepals und plant sogar, eine eigene Universität zu errichten (NEHCO o. J.; Ranicki o. J.).

Die NEHCO hat einiger Nachahmer/innen inspiriert, so zum Beispiel die Women’s Cooperative Clinic in Kathmandu. Hier bezahlen die Mitglieder einen Jahresbeitrag von $ 2 bis $4 pro Jahr für ihre gesamte Familie, wobei der Beitrag bei extremer Armut auch entfallen kann. Zudem gibt es spezielle Initiativen für Schüler/innen: Gegen eine Gebühr von 15 Cent im Monat gibt es zwei Jährliche Check-Ups und gratis Medikamente, sollten sie benötigt werden. Unterstützt wird die Kooperative zusätzlich vom Public Health Concern Trust (einer NGO, welche teilweise von der der Canadian International Development Agency finanziert wird), der Großteil der Ausgaben wird jedoch durch die eigenen Einnahmen gedeckt (Glauser 2010).

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an jana.stefan@wu.ac.at, gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Autorin: Jana Stefan

Literatur

Glauser, W. 2010. „Cooperative Clinics Revolutionizing Primary Care in Nepal“. Canadian Medical Association Journal 182 (12): E553–54. doi.org/10.1503/cmaj.109-3298.

Maharjan, Uttam. 2020. „Cooperative movement in Nepal: Still going strong“. The Himalayan Times. 7. Jänner 2020. thehimalayantimes.com/opinion/cooperative-movement-in-nepal-still-going-strong/.

Mishra, Ashok K., Anjani Kumar, Pramod K. Joshi, und Alwin D’Souza. 2018. „Cooperatives, Contract Farming, and Farm Size: The Case of Tomato Producers in Nepal“. Agribusiness 34 (4): 865–86. doi.org/10.1002/agr.21563.

NACEUN. o. J. „Introduction“. naceun.org. Zugegriffen 9. September 2020. naceun.org.np/about-us/what-are-we-doing/.

NEHCO. o. J. „NEHCO-Nepal About Us“. Nepal Health Care Co-operative Ltd (NEHCO-Nepal). Zugegriffen 10. September 2020. nehco.org.np/objectives.php.

Ranicki, Carla. o. J. „Hospitals and Health Training for Nepal“. Stories.coop. Zugegriffen 10. September 2020. stories.coop/stories/hospitals-and-health-training-for-nepal/.

Rupakheti, Deepakar. 2020. „Cooperative in Nepal: Fighting Against COVID-19“. World Farmers’ Organisation. 4. Mai 2020. www.wfo-oma.org/covid-19/cooperative-in-nepal-fighting-against-covid-19/.

Yadoo, Annabel, und Heather Cruickshank. 2010. „The Value of Cooperatives in Rural Electrification“. Energy Policy 38 (6): 2941–47. doi.org/10.1016/j.enpol.2010.01.031.

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