Genossenschaftliche Weltreise: Kanada

06. Februar 2021

Mit Kanada verbinden viele Leute vor allem eines: unendliche Weiten. Kanada ist flächenmäßig nach Russland das zweitgrößte Land der Erde, weist jedoch weniger als ein Drittel der russischen Bevölkerungszahl auf und rangiert damit in den Top 15 der Länder mit den wenigsten Einwohner/inne/n pro Quadratkilometer, knapp geschlagen u.a. von Grönland, der Mongolei, Namibia, Australien und Island (vgl. United Nations, 2019). Mit dieser geringen Bevölkerungsdichte geht die Ausbildung kleiner, zum Teil stark isolierter Communities einher.

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Trotz oder gerade aufgrund der mitunter weiten Wege zwischen den Einwohner/inne/n des Landes besteht ein starker Zusammenhalt in der Bevölkerung, der im Vertrauen zueinander (in vielen ländlicheren Gebieten werden Haustüren untertags üblicherweise nicht versperrt) spürbar wird. Diese gelebten Werte der Bevölkerung, die erschwerte Erreichbarkeit und die teilweise Isolation von Communities von bestehenden Unternehmen, führten über Jahrzehnte hinweg zu zahlreichen regional motivierten genossenschaftlichen Gründungen, vor allem in Landwirtschaft, Kreditwesen und im Einzelhandel. In Summe sind acht Millionen Kanadier/innen Mitglieder in Genossenschaften, das entspricht ca. jede/r/m fünften Einwohner/in des Landes (vgl. Kanadische Regierung – Website, 2021). Darüber hinaus beschäftigen die existierenden Genossenschaften etwa 150.000 Kanadier/innen (vgl. Co-operative Difference-Website, 2021) Einige Spezifika des kanadischen Genossenschaftswesens sowie eine kleine Auswahl besonderer kanadischer Genossenschaften möchten wir Ihnen nachfolgend präsentieren.

In vielen Ländern das genossenschaftliche Steckenpferd schlechthin: Kreditgenossenschaften

Nahezu jede/r zweite volljährige Kanadier/in ist Mitglied und/oder Kund/e/in einer Kreditgenossenschaft, die unterteilt werden in „Caisse Populaire“, die vor allem in vorwiegend französischsprachigen Gebieten tätig sind, und „Credit Unions“, die im englischsprachigen Kanada überwiegen. Kreditgenossenschaften haben in Kanada eine ähnlich große Tradition wie im deutschsprachigen Raum.

Mit den franko-kanadischen Kreditgenossenschaften untrennbar verbunden ist der Familenname „Desjardins“. Die von Alphons und Dorimène Desjardins zum „Wohl der Bevölkerung und der Gemeinschaft“ im Jahr 1900 gegründete „Caisse Populaire“ hat bis heute Bestand und sich mittlerweile zu einem großen Konzern, der „Desjardins Group“, entwickelt. Die Gruppe ist international tätig und umfasst Entwicklungsbanken, Versicherungen, Stiftungen sowie selbstverständlich eine Vielzahl von Kreditgenossenschaften (238 mit 905 Filialen). Wichtig anzumerken ist, dass die Desjardins-Kreditgenossenschaften ausschließlich im Osten Kanadas (genauer: Quebec und Ontario) tätig sind. Desjardins kanadische „Caisse Populaire“ alleine bedienen sieben Millionen Kund/inn/en und Mitglieder (vgl. Desjardins Group – Website, 2021).

In englischsprachigen Teilen des Landes operieren Kreditgenossenschaften zumeist unter der Bezeichnung „Credit Unions“. Insgesamt gibt es 241 Kreditgenossenschaften dieses Typus, die gemeinsam einen Dachverband, die „Canadian Credit Union Association“, gegründet haben, um ihre Interessen zu vertreten. 5,8 Millionen Kanadier/innen sind Mitglieder und Kund/inn/en dieser „Credit Unions“.

Eine Vereinigung für die Einkaufsgenossenschaften Westkanadas: Federated Co-operatives Limited und die Marke „CO-OP“

Die Federated Co-operative Limited (FCL) ist eine Genossenschaft, die ihre 160 unabhängigen Mitgliedergenossenschaften in der Produktion, Vermarktung und dem Einkauf unterstützt. Die Geschichte der Genossenschaft reicht zurück ins Jahr 1928 als sich einige in der westlichen „Prärie“ Kanadas gelegene Einkaufsgenossenschaften zusammenschlossen, um die Produktion und die Zur-Verfügung-Stellung von Treibstoff für zunehmend populär werdende Automobile zu sichern (vgl. FCL – Website,  2021). In den folgenden Jahrzehnten kamen zahlreiche weitere Produkte hinzu, die seitens der FCL organisiert werden: 1939 Tierfutter, 1941 Lebensmittel, 1945 diverse Non-Food-Produkte.1957 folgte ein weiterer großer Schritt, der die FCL nachhaltig prägen sollte: es entstand die Marke „CO-OP“ mit markantem Grün-Weißem Logo (das 1974 einer grundlegenden Überarbeitung unterworfen wurde und seither ganz in Rot gehalten ist). Das Logo ist – vor allem im Westen Kanadas (dh. den Provinzen British Columbia, Alberta, Saskatchewan, Manitoba) - weithin bekannt und findet sich bis heute auf zahlreichen Produkten und Niederlassungen der Genossenschaft(smitglieder).

Genossenschaften indigener „First Nation“ Bevölkerungsgruppen

Die Geschichte Kanadas ist eng mit der Geschichte indigener Genossenschaften verwoben. Die indigene Bevölkerung lebte viele der genossenschaftlichen Werte bereits Jahrtausende bevor die Genossenschaft als Rechtsform etabliert wurde (vgl. Sengupta 2015, S. 146). Historisch betrachtet wurden Genossenschaften in Kanada zunächst zur Kolonialisierung und zur ökonomischen Entwicklung abgelegener Teile des Landes genutzt (vgl. Sengupta 2015, S. 122). In Nunavut, dem nördlichsten „Territorium“ Kanadas, wo der Anteil der Indigenen Bevölkerung bei 86 Prozent liegt, ist die Anzahl der Genossenschaften pro 100.000 Einwohner viermal so hoch wie im Rest des Landes. Insgesamt dürfte es mehr als 123 indigener Genossenschaften in Kanada geben (Co-operatives First – Website, 2021a).

Die Besonderheit dieser „indigenen Genossenschaften“ ist, dass zusätzlich zu den ökonomischen Zielen der Organisation drei weitere Perspektiven von höchster Bedeutung sind: ökologische Ziele, soziale Ziele und kulturelle/spirituelle Ziele (vgl. Orr and Weir, 2013 zitiert nach Sengupta 2015, S. 129). Diese Genossenschaften zielen also nicht nur darauf ab, die Wirtschaft der Mitglieder zu stärken, sondern dies vor allem unter Rücksichtnahme auf Natur, Gemeinschaft und Kultur zu bewerkstelligen. Indigene Genossenschaften vermarkten einerseits Kunst und Kunsthandwerk der Communities, betreiben andererseits aber auch Landwirtschaft, Fischerei und Jagd, um Lebensmittel für die Mitglieder der Genossenschaft bereitzustellen. Ebenso gibt es Kreditgenossenschaften, die sich vorrangig der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen für die indigene Bevölkerung verschrieben haben.

Weltweit einzigartig: Die mitarbeitergeführte Sextoy-Genossenschaft

Eine der kuriosesten Genossenschaften Kanadas ist zweifelsohne „Come as you are“, ein genossenschaftlich organisierter Erotikmarkt. Dabei handelt es sich um eine Arbeitergenossenschaft, die bereits seit 1997 in Toronto existiert und seitdem stets zum beliebtesten Erotikmarkt der Stadt gekürt wurde. Wie für viele Genossenschaften steht auch bei „Come as you are“ nicht ausschließlich der Profit im Vordergrund, sondern man versucht seit jeher auch die Bevölkerung über Themen der Gesundheit und Prävention aufzuklären. Zu diesem Zweck werden beispielsweise immer wieder Veranstaltungen und Seminare an Universitäten durchgeführt (Co-operatives First – Website, 2021b).

Nicht zu vergessen: Co-op Radio

Nach diesem Einblick in das kanadische Genossenschaftswesen dürfen wir darauf hinweisen, dass wir bereits vor knapp zwei Jahren eine illustre kanadische Genossenschaft in einem Blogbeitrag vorgestellt haben. Genauer unter die Lupe genommen haben wir damals das „Vancouver Co-op Radio“, einen genossenschaftlichen Radiosender im Westen Kanadas. Hier geht es zum Beitrag.

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an gregor.rabong@wu.ac.at, jana.stefan@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Autor/inn/en: Gregor Rabong & Jana Stefan

Literatur

Co-oeprative Difference – Website (2021): Co-operatives in Canada, URL: http://www.cooperativedifference.coop/co-operatives-in-canada/, abgerufen am 03.02.2021.

Co-operatives First – Website (2021a): Thoughts and success stories, A brief survey of Indigenous Co-ops in Canada, URL: https://cooperativesfirst.com/blog/2018/07/20/context-and-opportunity-a-brief-survey-of-indigenous-co-ops-in-canada/, abgerufen am 05.02.2021.

Co-operatives First – Website (2021b): Thoughts and success stories, 6 unique co-ops that may surprise you, URL: https://cooperativesfirst.com/blog/2018/04/26/6-unique-coops/, abgerufen am 05.02.2021.

Desjardins Group – Website (2021): Who we are, URL: https://www.desjardins.com/ca/about-us/desjardins/who-we-are/index.jsp, abgerufen am 03.02.2021.

FCL – Website (2021): Our Story, ABOUT FCL. URL: https://www.fcl.crs/about-us/our-story, abgerufen am 04.02.2021.

Kanadische Regierung - Website (2021): Co-operatives in Canada, Website der kanadischen Regierung. URL: https://www.ic.gc.ca/eic/site/106.nsf/eng/h_00000.html, abgerufen am 03.02.2021.

United Nations (2019): Population Density (Population per square Kilometre) 2019. URL: https://population.un.org/wpp/Download/Standard/Population/, abgerufen am 04.02.2021.  

Weiterführende Literatur

Rabong, G. & Rößl, D. 2020. The Hybridization of Credit Co-Operatives in the Tradition of F.W. Raiffeisen: The Austrian Example. Canadian Journal of Nonprofit and Social Economy Research. 11 (2), 1-12.

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