Auf dem Weg zur nachhaltigen Bauwirtschaft: Einblicke in die Welt der BauKarussell Genossenschaft

06. Jänner 2024

Im Gespräch mit Sonja Zumpfe und Jasmin Bermadinger, beide von der Genossenschaft BauKarussell, ging es um Kreislaufwirtschaft, Social Urban Mining und das Ziel die Bauwirtschaft nachhaltiger und sozialer zu gestalten.

Lesezeit: 5 Minuten

Sonja Zumpfe engagiert sich seit 2022 am Projekt BauKarussell und ist derzeit Vorstandsmitglied der in Gründung befindlichen Genossenschaft. Davor war sie beim Aufbau des Nachhaltigkeitsmanagements in der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) federführend und auch lange für den Österreichischen Genossenschaftsverband (ÖGV) tätig. Jasmin Bermadinger ist bei BauKarussell für PR und Kommunikation zuständig. Sie betont, wie wichtig bei solchen, in der Öffentlichkeit eher unbekannten Themen, die Kommunikation nach außen ist.

Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft – ein (bisher) zu wenig behandeltes Thema?

Die Bau- und Abrissbranche, in der die BauKarussell Genossenschaft agiert, zählt bisher nicht unbedingt zu den nachhaltigsten Sektoren. Global können rund 38% der Treibhausgasemissionen dem Bereich „Bauen und Gebäude“ zugeordnet werden (Quelle: Nachhaltigkeit im Bausektor - energy-innovation-austria). Im Hinblick auf die EU-Taxonomie, die mit 01. Jänner 2022 in Kraft getreten ist und gemäß der alle Unternehmen mehr Verantwortung in Bezug auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung legen müssen, braucht es auch in der Bau- und Abrissbranche dringend ein Umdenken.

An dieser Stelle hakt BauKarussell ein, indem die Wiederverwendung oder das Recycling der in Gebäuden verwendeten Ressourcen mit Hilfe der Genossenschaft umgesetzt werden sollen. Jedoch ist es ein weiter Weg, die Baubranche in Richtung Nachhaltigkeit zu bewegen, da erst die grundlegende Infrastruktur etabliert werden muss. Zum Beispiel gibt es immer noch keine funktionierenden Märkte für die Wiederverwendung von Bauressourcen, weswegen diese überwiegend auf der Deponie landen. Nennenswerte Ausnahme hierfür sind die Märkte für (Alt-)Metall. Jedoch mangelt es auch an Personen, die beim Abriss der Gebäude bereits hinsichtlich Kreislaufwirtschaft und dem Ausbau von wertvollen Einrichtungsteilen geschult sind bzw. sich dahingehend spezialisiert haben. Der bewusste Umgang mit Ressourcen beim Rückbau von Gebäuden wird neudeutsch als „Urban Mining“ bezeichnet. In dem Wort kommt zum Ausdruck, dass bestehende (städtische) Gebäude auf der Suche nach Ressourcen durchsucht und diese „abgebaut“ werden, ähnlich einer Mine, in der Metallerze gesucht, gefunden und abgebaut werden. Bei Urban-Mining geht es also im Kern darum, Ressourcen aus menschengemachten Strukturen nach dem 3R-Prinzip (Quelle: Urban mining: Concepts, terminology, challenges) bzw. dem 10R-Prinzip (Quelle: S. 17, Kreislaufwirtschaftsstrategie der österreichischen Bundesregierung), also Reduce, Reuse, Recycle, wiederzuverwenden. Das kann ein altes Smartphone sein, aus dem ein paar Gramm an Edelmetallen gewonnen werden oder ein ganzes Gebäude, wie in der Mariannengasse in Wien geschehen, bei der BauKarussell bereits als Konsortium in einem Pilotprojekt 140 Tonnen Material in die Wiederverwertung und Wiederverwendung gebracht hat. Diese große Masse an Material setzt sich aus klassischen Ressourcen wie Edelstahl und Kupfer, aber auch historische Bauteile, wie Paternoster-Stiegengeländer oder Eichenholzparket, zusammen.

Was macht BauKarussell anders als andere Urban-Miner? Sie haben das sogenannte „Social-Urban-Mining“ entwickelt, in dem sie weltweit federführend sind:

Ziel von BauKarussell ist es, Transitarbeitskräfte zu „Urban-Minern“ zu schulen. Transitarbeitskräfte sind Personen, die nur für einen gewissen Zeitraum bei den regionalen sozialwirtschaftlichen Partnern von BauKarussell angestellt werden, mit

der Absicht, ihnen im Anschluss den Einstieg in den Primärarbeitsmarkt zu erleichtern. Hauptzielgruppe sind Personen, die am klassischen Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Das kann etwa durch lange Arbeitslosigkeit oder eine Beeinträchtigung zustande kommen.

Warum als Genossenschaft?

Das Prinzip des „Social-Urban-Mining“ will das Team hinter BauKarussell in Form einer Genossenschaft realisieren, die ab Jänner 2024 seine Gründungsphase abgeschlossen hat. Der Grund, warum man sich für eine Genossenschaft entschieden hat, ist einerseits, dass wegen Haftungsfragen unbedingt eine juristische Person geschaffen werden sollte. Noch wichtiger ist allerdings der Gedanke, dass man für das Ziel eines zirkulären Bauprozesses alle vertikal entlang der Wertschöpfungskette auftretenden Akteure der Bauwirtschaft integrieren muss. Angefangen bei den Eigentümer*innen, über Hersteller*innen, Planer- und Architekt*innen, Unternehmen im Rückbau, der Logistik, der Wiederaufbereitung, bis hin zur Zertifizierung und dem Wiederverkauf. Die BauKarussell Genossenschaft will all diese Akteur*innen unter einem Dach vereinen, um die Kreislaufprozesse so richtig ins Rollen zu bringen und den Diskurs zwischen ihnen fördern.

Jedoch sind bei solchen „Multi-Stakeholder-Genossenschaften“ unterschiedliche Interessen, vor allem in Bezug auf Abstimmungsprozesse, oftmals ein Hindernis. Einerseits sind Meinungsverschiedenheiten sicherlich ein wichtiger Teil der gemeinschaftlichen Konsensbildung und fördern Innovationen. Um jedoch sicherzustellen, dass mögliche Differenzen die Meinungs- und Entscheidungsbildung nicht behindern, soll sich die Genossenschaft aus 6 Kurien zusammensetzen: Neben einer Gründungskurie, deren Mitglieder das doppelte Stimmrecht besitzen, da sie es sind, die das Projekt von Anfang an vorantreiben, gibt es u.a. eine Bildungskurie, in der es um die Ausbildung der Urban-Miner geht, eine Beratungs- und Planer*innen-Kurie und auch eine Kurie, der Privatpersonen zugeordnet werden, die in Zukunft an der Genossenschaft teilnehmen möchten.

Trotz des geleisteten sozialen Mehrwerts, soll die BauKarussell Genossenschaft auch einen finanziellen Mehrwert für ihre Mitglieder schaffen. Man ist aufgrund bisheriger Pilotprojekte überzeugt, dass die For-Financial-Profit-Ausrichtung der Genossenschaft mit den sozialen Anforderungen des Social-Urban-Mining Konzepts unter einen Hut gebracht werden kann. Hier geht es den Verantwortlichen der Genossenschaft auch darum eine Vorbildfunktion einzunehmen und zu zeigen: „gewinnbringendes Wirtschaften funktioniert (auch) im Sinne der Kreislaufwirtschaft!“.

Wie läuft ein Projekt von Baukarussell ab?

„Das ist ganz unspektakulär“, sagt die Vorstandsmitglied Sonja Zumpfe dazu. Alles beginnt mit einem Auftrag, bei dem anhand von Plänen und Fotos ein Angebot für ein Social-Urban-Mining-Konzept gemacht wird. Wird dieses angenommen, so wird eine Potentialanalyse durchgeführt, bei der  genau geprüft wird, welche Materialien durch die sozialwirtschaftlichen Partner oder Dritte abgebaut werden können und welcher Erlös damit in etwa erzielt werden kann. Ein Erlös mit dem die sozialwirtschaftliche Arbeit mitfinanziert werden soll. Erfüllt dieses Konzept die Erwartungen der Auftraggeber*innen, so kommt es zu einem finalen Angebot, bei dem die operativen Leistungen mit vorgesehenem Umsetzungszeitrahmen angegeben werden. Natürlich wird hier auch wieder aufgelistet, wie viel welche Leistung der Genossenschaft kostet. Ein essenzieller Teil dieser Kosten ist auf die Arbeitskräfte zurückzuführen. Hier werden, wie oben bereits erwähnt, Transitarbeitskräfte beschäftigt, die über sozialwirtschaftliche Partner*innen vor Ort engagiert werden. Diesen

Partner*innenorganisationen wird ebenfalls angeboten, Teil der Genossenschaft zu werden.

Ziel der Genossenschaft ist es, Kontinuität für den zirkulären Arbeitsmarkt und dem Angebot für Sekundärmaterialien zu schaffen und mit dem Pool an Organisationen Social Urban Mining flächendeckend zu etablieren. Wie in vielen Branchen gilt auch in der (Rück-)Baubranche, dass gut ausgebildete Arbeitskräfte mitunter schwer zu finden sind. Wird das finale Angebot von den Auftraggeber*innen angenommen, können diese aus verschiedenen Dienstleistungspaketen wählen, die sich in der Wiederverwertung unterschiedlich stark an die Öffentlichkeit wenden: Es gibt nämlich unterschiedliche Kund*innengruppen, die an den wiedergewonnenen Ressourcen interessiert sind. Mit sogenannten „öffentlichen Tagen“ richtet man sich an Privatpersonen, die zu „ReUse“-Verkäufen direkt vor Ort kommen und teilweise selbst die Einrichtung abbauen. Beispielsweise konnten in der Vergangenheit Audimax-Sessel direkt vor Ort durch die Käufer*innen abgebaut und abtransportiert werden, Wandlamellen an eine Kulturinstitution oder auch eine ganze Küche an eine Pensionistin verkauft werden. Selbstverständlich können sich die Auftraggeber*innen auch dafür entscheiden sich primär an Großabnehmer*innen zu wenden. Für beide Varianten wäre das langfristige Ziel, die Produkte über eine Art Online-Bauteilkatalog zu verkaufen. Ob diese Plattform selbst aufgebaut wird oder man sich mit bestehenden Betreiber*innen in diesem Bereich zusammenschließt, wurde noch nicht endgültig entschieden.

Was haben die Auftraggeber*innen davon?

Durch die manuelle Demontage und Entfrachtung kann eine höhere Qualität des Sekundärmaterials für die Wiederverwendung oder Wiederverwertung erzielt werden. Ein wesentlicher Faktor für die für den Auftraggeber zu erzielenden Erlöse.

Ein Projekt endet aus Sicht der BauKarussell Genossenschaft mit einem Impact-Zertifikat, das den Auftraggeber*innen überreicht wird. Hier werden die Zahlen des Projektes aufbereitet und offengelegt: Wie viel Material konnte recycelt werden und in welcher Qualität konnte es für die Wiederverwendung geborgen werden? Wie viel wurde verkauft? Wie viele Stunden Beschäftigung hat das Projekt geschaffen? Dies ist Teil der Open-Book-Policy, nach der während des gesamten Projekts seitens BauKarussell gehandelt wird. Sobald dieser Schritt der „manuellen Entfrachtung“ umgesetzt wurde, ist das Projekt aus Sicht der Genossenschaft abgeschlossen und ein Abrissunternehmen kümmert sich um den Komplettabbruch des Gebäudes. Hier ist eine klare Schnittstelle für das Abrissunternehmen wichtig, da der Umfang des maschinellen Abbruchs davon abhängt, wieviel und welche Materialien für den „konventionellen Abriss“ noch im Objekt enthalten sind.

Aktuelle Entwicklungen und wie es mit BauKarussell weitergeht

Mitte Dezember wurde die BauKarussell Genossenschaft offiziell gegründet. Im Vordergrund steht in den ersten 3-5 Jahren ein Kontinuum bei Projekten und vor allem am Arbeitsmarkt zu schaffen. Genaue Informationen zur Genossenschaft und wie man zum Beispiel Mitglied werden kann, finden Sie unter: https://www.baukarussell.at/. Wir bedanken uns für das Interview, die interessanten Einblicke und wünschen dem BauKarussell-Team weiterhin viel Erfolg!

Impressionen der BauKarussell Genossenschaft

Interviewpartnerinnen: Sonja Zumpfe und Jasmin Bermadinger

Das Forschungsinstitut für Kooperationen und Genossenschaften freut sich sehr, dass für diesen Beitrag Sonja Zumpfe (Vorstandsmitglied der Genossenschaft) und Jasmin Bermadinger (verantwortlich für PR und Kommunikation), als Interviewpartnerinnen bereitstanden, bei denen wir uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchten!

Link zur Website der BauKarussell Genossenschaft

Interview und Text: Gregor RabongEmil van de Vondervoort

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

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