NPO-Institut (Verein)

npoInterview mit Werner Kerschbaum

In den Newslettern von npoAustria habe ich in den vergangenen Jahren unter der Rubrik  "Alt, aber gut" Klassiker aus der Managementliteratur vorgestellt.

Nun geht es aber um aktuellere Themen, denn für die vielen Leser:innen des Newsletters von npoAustria ist es natürlich auch interessant direkte Einblicke in die Arbeits- und Gedankenwelt von Spitzenvertreter:innen des gemeinnützigen Sektors zu bekommen.
 
Den Beginn unserer neuen Serie macht Frau Nora Tödtling-Musenbichler, die Präsidentin von Caritas Österreich und die Direktorin von Caritas Steiermark.

Caritasdirektorin Toedtling Musenbichler

© Caritas

Frau Tödtling-Musenbichler wuchs in Knittelfeld in der Steiermark auf. Sie wurde schon als Gymnasiastin in Knittelfeld als Initiatorin eines Lernprojekts für benachteiligte Schüler:innen mit der Humanitas Medaille geehrt. In der Folge studierte Frau Tödtling-Musenbichler einige Semester Theologie und absolvierte den Lehrgang für Pastoralpsychologie. Derzeit bildet sie sich im Rahmen eines berufsbegleitenden Studiums des Social Management an der Donau Universität Krems fort. Ab 2004 war sie stellvertretende Leiterin im VinziDorf der Vinzenzgemeinschaft und von 2010 bis 2021 Leiterin und Koordinatorin der VinziWerke Österreich. Seit 2016 ist Frau Tödtling-Musenbichler auch Autorin für die Sendung „Gedanken zur Zeit“, ORF Radio Steiermark. Ab November 2021 wurde sie zur Vizedirektorin der Caritas Steiermark und seit Juli 2022 Direktorin der Caritas Steiermark. Seit Februar 2024 ist sie außerdem Präsidentin der Caritas Österreich.

1. Fragen zum gemeinnützigen Sektor

 
Was war für Sie die wichtigste/wirkungsstärkste Entwicklung der letzten Jahre im gemeinnützigen Sektor?

Das Positive: Diese Bundesregierung hat im gemeinnützigen Sektor Vieles in Bewegung gebracht und auch einiges umgesetzt. Ich denke etwa an das Satellitenkonto, die Novelle des Freiwilligengesetzes, das Gemeinnützigkeitsgesetz, den NPO Unterstützungsfonds. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Gemeinnützigen kontinuierlich: Bei steigenden Kosten brauchen mehr und mehr Menschen unsere Unterstützung.
 
Welche Risiken/Chancen sehen Sie für den NPO-Sektor in der Zukunft?

Klar ist: Der Sozialstaat im Dauerstress sich aneinanderreihender Krisen braucht ein wirksames Miteinander von Haupt- und Ehrenamt im Sozialen. Voraussetzung dafür sind bestmögliche Bedingungen für ein lösungsorientiertes Zusammenarbeiten aller Stakeholder. Und es braucht einen politischen Diskurs, der auf gegenseitigem Verständnis und Gemeinschaftsorientierung basiert.
 
Wenn Sie für einen Tag alle Möglichkeiten hätten - zum Beispiel als verantwortlicher Minister oder Bundeskanzler - welche Maßnahmen würden Sie jedenfalls umsetzen?

Ich halte nichts von allmächtigen Hau-Ruck-Aktionen. Die besten Ergebnisse erreichen wir durch zielstrebiges Zusammenarbeiten orientiert an unseren Grundrechten, den Menschenrechten und dem klaren Fokus auf benachteiligte Menschen in unserer Gesellschaft.

2. Fragen zur eigenen Organisation

 
Was ist Ihrer Organisation in der jüngeren Vergangenheit besonders gut gelungen?

17.000 hauptamtlich und 46.000 freiwillig Engagierte leisten täglich Caritas-Hilfe von Mensch zu Mensch - hier in Österreich, etwa in der Pflege und Betreuung, in der Arbeit mit Armutsbetroffenen oder Menschen mit Behinderungen, aber auch weit über die Landesgrenzen hinaus. Ich glaube es wäre vermessen, hier einige wenige Erfolge hervorzuheben.
 
Welche drei Themen/Schwerpunkte werden in nächster Zukunft in Ihrer Organisation eine besonders hohe Priorität genießen?

Wir sehen, dass Armut in Österreich heute immer noch vererbt wird. Neben der konkreten Hilfe für Betroffene ist es für mich eine der wichtigsten Aufgaben klarzumachen, dass sich Investitionen in unsere Kinder und in ihre Bildung auszahlen, um den Teufelskreis Armut zu durchbrechen. Gleichermaßen groß ist die Herausforderung, ein tragfähiges Pflege- und Betreuungsnetz in Österreich für die nächsten Jahre zu etablieren. Und nicht zuletzt werden wir alles daran setzen, die Klimawende aktiv mitzugestalten und mit ihr auch eine soziale Wende herbeizuführen.
 
Wie würden Sie die Schlüsselkompetenzen/Alleinstellungsmerkmale Ihrer Organisation definieren?

Unsere Schlüsselkompetenz ist ganz klar: Konkrete Hilfe von Angesicht zu Angesicht – rund um die Uhr, und rund um die Welt. Gerade in Katastrophensituationen können wir sehr rasch helfen, häufig schneller als die meisten anderen Hilfsorganisationen. Das liegt daran, dass wir als Caritas in einem internationalen Netzwerk eingebettet sind und als kirchliche Hilfsorganisation auch auf pfarrliche Strukturen zurückgreifen können, die es oft auch in entlegensten Gebieten gibt. 
 
Was sind die zentralen Werte in Ihrer Organisation?

Wenn wir Not sehen, handeln wir – ungeachtet von Alter, Geschlecht, Religion, politischer Überzeugung oder Herkunft. Wir glauben an Nächstenliebe, Menschenwürde und Mitgefühl und an alle, die sich dafür einsetzen.
 
Wenn jemand Fremder zum ersten Mal in Ihre Organisation kommt, was würde ihm besonders auffallen?

Die besonders wichtige Rolle von freiwilligem Engagement. Unsere größten Freiwilligenprojekte finden in Pfarren statt – die Besuchsdienste, die Lebensmittelausgaben, die Wärmestuben jetzt im Winter. Diese Freiwilligen buchstabieren ihren Glauben in die Wirklichkeit hinein – sie leben ihren Glauben ganz konkret auf der Höhe der Zeit und auf der Höhe des Evangeliums.

3. Fragen zur Person/Steckbrief

Von wem haben Sie am meisten gelernt?

Auf meinem privaten und beruflichen Lebensweg durfte ich immer wieder Menschen begegnen, die mich inspiriert und gefördert haben. Ich denke da etwa an meinen verstorbenen Freund und Mentor Pfarrer Wolfgang Pucher. Auch von den Frauen in meiner Familie, Großmutter und Mutter, die unter harten Lebensbedingungen nicht aufgegeben haben, habe ich viel gelernt. Und aus vorherigen Positionen nehme ich mit, dass der Weg für die Lösung eines Problems nicht immer mein Weg sein muss. Ich bin offen für andere Wege.
 
Was regt Sie besonders auf?

Über Ungerechtigkeiten – im Kleinen, aber auch im Großen – kann ich mich sehr ärgern. Traurig macht mich die Tatsache, wie viele Menschen auch hier bei uns einsam sind. Einsamkeit ist eine total unterschätzte Not. Eine Not unserer Zeit, die viel verbreiteter ist, als wir annehmen.
 
Womit können andere Menschen Ihnen eine Freude bereiten?

Besonders freuen kann ich mich über gute Gespräche – egal ob in unseren Einrichtungen mit Klient*innen, Kolleg*innen oder Freund*innen. Und ich nehme mir bewusst Auszeiten. Sei es nur eine Stunde vor dem Schlafengehen mit einem guten Buch oder Auszeiten in den Bergen oder am Meer. Das ist für mich auch Teil meiner Selbstfürsorge, die mir sehr wichtig ist, um gut für andere Menschen da sein zu können.
 

Wenn Sie nur noch kurze Zeit zum Leben hätten, was möchten Sie jedenfalls noch erledigen?

Das ist eine schwierige Frage! Am wichtigsten wäre es mir natürlich, dann so viel Zeit wie möglich mit meinen Liebsten, also Familie und engen Freunden zu verbringen. Ich bin in den letzten Jahren außerdem immer wieder in Projektländer der Caritas gereist – erst kürzlich in die Ukraine – und konnte sehen, wie wir mit unseren Partner*innen im Ausland Menschen helfen, die von Krieg, Hunger und Armut betroffen sind. Solche Reisen sind für mich immer unheimlich bereichernd und ich hoffe, so noch mehr von unserer Arbeit, unseren Partnerorganisationen und den Menschen vor Ort erleben zu dürfen.
 
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen geben, die ihr Berufsleben gerade starten?

Gerade in Management-Positionen ist man in der täglichen Arbeit oft weit weg von der Praxis. Ich halte es für wesentlich, den Bezug zum Organisations- bzw. Unternehmenszweck nicht zu verlieren. In meinem Fall heißt das, die tägliche Arbeit in den Einrichtungen – in den Pflegewohnhäusern, Obdachloseneinrichtungen oder Werkstätten für Menschen mit Behinderungen - regelmäßig zu erleben, mich mit Klient*innen und Kolleg*innen auszutauschen, auch mitzuhelfen. Diese Erlebnisse bestätigen mich jedes Mal aufs Neue in meiner Arbeit und den Anstrengungen, die sie oft mit sich bringt. Und es bringt mich auch auf neue Ideen.

4. Allgemeines

 
Was ich jedenfalls noch sagen wollte...

Wir leben in einer Zeit vieler Krisen und Herausforderungen. Ich bin überzeugt: Diese Herausforderungen können wir nur gemeinsam und mit größtmöglicher Solidarität bewältigen. Eine Polarisierung oder gar Radikalisierung bringt uns keinen Millimeter weiter. Sehr wohl aber Dialog, ein Miteinander auf allen Ebenen. Wir brauchen eine besonnene, verlässliche Politik – dafür möchte ich angesichts des Wahljahres 2024 appellieren. Auch für den Mut, den es braucht, um neue Wege einschlagen zu können.

 
 

Ich bedanke mich sehr herzlich bei Frau Tödtling-Musenbichler, dass sie sich die Zeit genommen hat unsere Fragen zu beantworten.

Werner Kerschbaum