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Anna Syrovatka

Angekommen

Nach meiner Trennung habe ich eigentlich keinen Stress etwas Neues zu finden, da ich in der leerstehenden Wohnung meiner Oma wohne. Doch eines Nachmittags folge ich einer inneren Eingebung und bewerbe mich spontan bei drei Wohnungsgenossenschaften. Einziges Kriterium ist zu diesem Zeitpunkt die Nähe zu meiner Arbeit.

Nur ein paar Stunden später läutet mein Handy. Ein gehetzter Hausverwaltungs-Mitarbeiter erklärt mir, ich könne mir morgen vier Wohnungen anschauen. Ich bitte meine Tante um Begleitung und beschließe, am nächsten Tag kürzer zu arbeiten.

Bei meiner Ankunft bin ich überrascht. Ziemlich viel staubiger Schotter, ziemlich viel Baustelle! Im Haus selber holen zahlreiche andere Parteien schon ihre Schlüssel ab. Der Mitarbeiter wirkt gestresst und meint ich kann mir die eine Wohnung gleich anschauen. „Gestern haben Sie aber noch von vier gesprochen?“, sage ich verwirrt. „Okay, drei – eine ist schon fix vergeben!“ antwortet er.

Meine Tante und ich machen uns also mit drei Schlüsseln auf den Weg. Die ersten beiden Wohnungen haben nur ein Zimmer – eindeutig zu deprimierend. Aber die dritte Wohnung ist anders. Zwei schöne Zimmer, eine große Loggia, ein guter Grundriss – meine Tante ist gleich begeistert. Ich dagegen unsicher. So etwas Fixes macht die Trennung irgendwie noch endgültiger. Andrerseits bekommt man den Finanzierungsbeitrag zurück, wenn man auszieht und auch für die Küche kann man eine Ablöse verlangen. Irgendwie beruhigt mich das. Am Samstag bitte ich meinen Papa, um Unterstützung bei der Finanzierung. Am Montag unterschreibe ich den Mietvertrag.

Ein paar Wochen später bei der Übergabe stellt sich mir eine gewisse Sonja vor. Sie wurde von der Hausverwaltung beauftragt, sich um die Hausgemeinschaft zu kümmern. Hört sich nett an. Auf allen offiziellen Dokumenten muss ich den Namen des Mannes durchstreichen, der sich vor mir für die Wohnung interessiert hat, aber anscheinend irgendwie zu langsam war. Mit meiner Familie stoße ich auf mein neues Heim an.

Ich möchte noch vor Weihnachten einziehen. Allerdings habe ich noch keine Küche und die großen Möbelhäuser Lieferzeiten bis Februar. Doch ein kleines Küchenstudio in der Nähe sagt mir zu, noch vor dem 24. zu montieren. Ich liste auf, was ich aus Omas Wohnung mitnehmen möchte. Ich streiche so gut wie alle Möbel davon weiß an. Ich organisiere einen Umzugsservice. Ich bestelle Möbel im Internet. Ich genieße es, mich bei all dem mit niemanden abstimmen zu müssen. Was mir gefällt und leistbar ist, wird gekauft. Nach dem Umzug verbringt Papa Stunden in der neuen Wohnung. Während ich im Büro bin, baut er alleine den Kleiderschrank auf. Das Endergebnis unserer Bemühungen ist super gemütlich und wunderschön. Ich bin sehr stolz.

Unsere drei Stiegen haben sogar eine eigene Facebook-Gruppe. Dort finde ich heraus, dass es schon ein paar Zusammenkünfte gab. Dann endlich organisiert Sonja das erste Treffen bei dem auch ich teilnehmen kann. Viele kommen. Vor allem junge Paare, Familien, aber auch ein paar Singles. Ich komme mit Leuten ins Gespräch. Alles ist sehr nett, aber soweit nichts Außergewöhnliches.

Doch Freitag der 13. März 2020 ändert so einiges. Es ist ungewohnt für mich, in so einer Situation alleine zu sein. Ich bin überfordert. Soll ich den Horrorszenarien Glauben schenken, die mir Freundinnen schicken? Wie viele Nudeln brauche ich wirklich? Dosen? Mineralwasser? Bargeld? Die Frau vor mir an der Billa Kasse kauft um hundert Euro Clever Produkte ein. Seit einigen Tagen laufen alle mit Einkaufstrollies und riesigen Taschen herum. Bei dem neuen Billa, wo vorher nie etwas los war, herrscht auf einmal großer Andrang. Und das Klopapier ist sowieso überall aus.

Auch im Büro ist die Stimmung nervös. Ich kann nicht mehr konzentriert arbeiten. Als die Kolleginnen beschließen, sich gemeinsam die Regierungskonferenz anzuschauen, halte ich es nicht mehr aus. Aufgelöst mache ich mich auf den Weg nach Hause. Ich überlege kurz während des Lockdowns zu meiner Mama zu ziehen, beschließe dann aber lieber in meiner schönen neuen Wohnung zu bleiben. Zufällig stoße ich in der Facebook-Gruppe meines Hauses auf den Post einer Nachbarin. Sie bietet allen Hilfe an, die in den nächsten Wochen Unterstützung brauchen. Ich nehme Kontakt mit ihr auf und wir beginnen einander Briefe zu schreiben.

Nach drei Wochen Homeoffice nervt mich mein kleiner Laptop. Ich hole den Bildschirm aus dem Büro. Doch leider lässt der sich ohne Dockingstation nicht verbinden. Also frage ich in der Facebook-Gruppe, ob zufällig jemand ein entsprechendes Kabel hat. Ich bekomme zwei angeboten. Das erste Kabel passt nicht. Das zweite passt zwar, aber der Bildschirm bleibt trotzdem schwarz. Jedoch ist nun der Ehrgeiz des Nachbarn geweckt, er kommt vorbei, um sich das anzuschauen. Auch er schafft es nicht den Screen zu beleben. Aber dann passiert etwas sehr Schönes: Er borgt mir seinen Bildschirm. Einfach so. Wir kennen uns zu dem Zeitpunkt so gut wie nicht.

Von diesem Tag an bin ich der größte Fan dieser Gruppe. Ich will pilgern, aber mir fehlt die Regenhose? Facebook-Gruppe! Ich möchte etwas anmalen, aber die Farbe ist aus? Facebook-Gruppe! Holz bohren? Strickbär füllen? Ihr ahnt die Antwort. Sogar einen Parkplatz konnte ich so schon organisieren und besonders nette Nachbarn bringen die Dinge sogar persönlich vorbei.

Auch außerhalb des Internets lerne ich immer mehr Nachbarn kennen. Unglaublich wie nett und offen alle sind. Im Sommer grillen wir auf der Gemeinschaftsterrasse. Einmal in der Woche gehen wir gemeinsam Mittagessen. Ich organisiere Kinobesuch, Kleidertausch und Spieleabend. Wenn ich auf Urlaub fahre, gießt meine Nachbarin die Blumen. Wenn ich im Büro bin oder wegen des Terroranschlags mal etwas länger im Kabarett, weiß ich meinen kleinen Kater gut versorgt.

Aber unser Haus ist noch mehr als das. Mein sechsjähriger Nachbar grüßt mich auf der Straße und kennt meinen Namen. Er und andere Nachbarskinder fragen mich, wie es denn meiner Katze geht. Mit meinem unmittelbaren Wohnungsnachbarn teile ich mir das Internet. Ich werde spontan zum Abendessen eingeladen oder auf Drinks. Unlängst hat mir eine Nachbarin Blumen vor die Tür gestellt, einfach so, „weil es eh so ein scheiß Jahr war“. Als ich nach einem missglückten Date im Aufzug zu weinen beginne, besteht die Nachbarin darauf, dass ich gleich auf eine Runde Gin vorbeikomme.

Aber meine Lieblingsgeschichte bleibt folgende: Nach einem sommerlichen Gewitter ist mein Balkonvorhang vom Winde verweht. Doch ein Post in der besagten Facebook-Gruppe genügt und er hängt am nächsten Tag an meiner Wohnungstüre. Gerne würde ich mich bedanken, aber leider weiß ich bis heute nicht, wer es war.

Ein Leben lang habe ich mir einen großen Freundeskreis gewünscht, eine Gemeinschaft in der ich mich aufgehoben fühle und so sein kann, wie ich bin. Aber irgendwie hat das nie so richtig geklappt. Und dann ziehe ich in dieses Wiener Wohnhaus und finde auf einmal genau so eine Gemeinschaft. Endlich bin ich angekommen.