Interaktionale Linguistik - grammatische Strukturen und pragmatische Muster in russischer Rede-in-Interaktion

Interaktionale Linguistik positioniert sich als Forschungsprogramm an der Schnittstelle von Linguistik und Konversationsanalyse. Im Zentrum stehen gesprochensprachliche Strukturen der russischen Umgangssprache, die als geformt durch und angepasst an die Bedingungen von face-to-face Interaktion betrachtet werden und somit Argumente liefern für ein Verständnis der umgangssprachlichen Variante des Russischen als Rede-in-Interaktion (talk-in-interaction) und nicht so sehr als Varietät mit eigener Norm (Thielemann, under revision). Sprachliche Strukturen, wie sie Rede-in-Interaktion charakterisieren, werden dabei als grammatische Ressourcen zur Bearbeitung rekurrenter Interaktionsaufgaben analysiert und dementsprechend als konversationelle Formate oder sprachliche Realisierungsformen sozialer Handlungen verstanden. Den Grundannahmen von gebrauchsbasierten Grammatikmodellen oder auch einer interaktional angereicherten Konstruktionsgrammatik folgend, können so auch aktuelle Sprachwandelprozesse in vivo sichtbar gemacht und beschrieben werden. Eine Analyse des Diskursprofils des in der russischen Umgangssprache besonders häufigen Verbs govorit‘ (‚sagen’) zeigt beispielsweise, wie die Verwendung in spezifischen Diskursroutinen zur Markierung eines abweichenden footing (Goffman) der so gerahmten Äußerung die Entwicklung hin zum indexikalischen Marker für Redewiedergabe begünstigt (Thielemann, in preparation).
Solche multimodal (d.h. grammatisch, lexikalisch, prosodisch, pragmatisch-interaktional und mimisch-gestisch) konstituierten Formate bzw. Diskursroutinen sind dabei auch aus soziolinguistischer Perspektive interessant, können sie doch von InteraktionspartnerInnen auch eingesetzt werden, um soziale Bedeutungen (z.B. situative oder professionelle Rollen, institutionelle Situationen, Höflichkeit) zu kontextualisieren. Für die Bandbreite der russischen Stadtsprache konnte dies im Rahmen des dfg-geförderten Netzwerks Urban Voices (Thielemann/Richter (eds.), in preparation) gezeigt werden. Ergebnisse und Erkenntnisse aus diesem Projektbereich fließen sowohl in die Lehre des Russischen als Wirtschaftssprache, als auch in die Vermittlung interkultureller Kompetenz ein, bildet Sprache in ihrem situativ adäquaten, mündlichen Gebrauch doch einen wesentlichen Baustein kommunikativer wie kultureller Kompetenz.
Aktivitäten und Veranstaltungen
Nadine Thielemann wird gemeinsam mit Peter Kosta und Nicole Richter im Rahmen der 15. IPrA 2017 in Belfast (16. - 21. July 2017) ein Panel zum Thema "Creating worlds from the inside: Turn-initial positions as Creators of Discourses and Worlds" organisieren.
Eva Ogiermann (King’s College, London) wird am 12.12.2016 einen Vortrag zu den höflichkeitslinguistischen Implikationen verschiedener Aufforderungsformate in britischen und polnischen Interaktionsdaten im Rahmen des Linguistikzirkels halten.
Nadine Thielemann wird am 10. und 11.11.2016 einen Workshop zur Gesprächsanalyse am Institut für Slavistik der Universität Innsbruck halten.
Publikationen
Thielemann, N. (under revision) “Linguistics from a conversation analytic perspective: Conversational Russian - distinct variety or talk-in-interaction?” submitted to Russian Linguistics (Ms. 25 pp.)
Thielemann, N. (in preparation): Constructional patterns emerging in talk-in-interaction – Some observations of the grammar of govorit’ in colloquial Russian. In: Urban Voices. Studies in the Sociolinguistics, Grammar and Pragmatics of Spoken Russian. Hrsg. Thielemann, Nadine/Richter, Nicole, Frankfurt/Main: Peter Lang.
Thielemann, N., Richter N. (eds.) (in preparation): Studies in the Sociolinguistics, Pragmatics and Grammar of Spoken Russian. Frankfurt a.M.