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Was heißt hier smart? Baustellenkommunikation von der Seestadt bis „Smartseille“

02. November 2023

Viele Städte wollen heute „smart“ werden – mit digitalen Diensten, vernetztem Verkehr und effizienter Energieversorgung. In der Kommunikation setzen Smart-City-Bauprojekte aber weniger auf Technologie und eher auf Lebensfreude und Natur. Woher kommt dieser Kontrast? Das hat die Linguistin Sara Matrisciano-Mayerhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) erforscht.

Die Smart City ist ein Leitmotiv moderner Stadtentwicklung: Digitale Technologien sollen unter anderem dabei helfen, Energie zu sparen, den Verkehr besser fließen zu lassen, die Verwaltung zu vereinfachen – und so das urbane Leben lebenswerter zu machen. Damit diese Vision Realität wird, haben viele Städte in Europa – darunter auch Wien – eigene Smart-City-Strategien entwickelt.

Aber: „Was eine Smart City wirklich sein soll, ist nicht einheitlich definiert. Auch in der Forschung gibt es dazu lebhafte Diskussionen“, sagt Sara Matrisciano-Mayerhofer, Universitätsassistentin Postdoc am WU Institut für Romanische Sprachen und Expertin für Wirtschaftslinguistik. Sie hat analysiert, wie Städte in ihrer Kommunikation den Begriff „Smart City“ verwenden – allerdings nicht nur in trockenen Strategiepapieren, sondern auch im echten Leben: auf Baustellenzäunen und
-plakaten von entstehenden Smart-City-Projekten in Wien und Marseille.

„Baustellen sind auch deshalb interessant, weil sie selten für Begeisterung sorgen“, erklärt Matrisciano-Mayerhofer. Und bei smarten Baustellen kann die Kritik an Lärm, Schmutz und Verkehrsumleitungen schnell zur Kritik an der Smart City selbst werden. Außerdem befeuern Digitalisierung und Sensorik immer Sorgen vor Totalüberwachung und Datenmissbrauch. Hier ist also besonderes Fingerspitzengefühl bei der Baustellenkommunikation gefragt: „Sie soll nicht nur über den Baufortschritt informieren, sondern Begeisterung für das Entstehende wecken und dazu beitragen, das dahinterstehende Projekt zur Projektionsfläche des Begehrenswerten werden zu lassen.“

Smart City: ein Traum in Grün?

Strahlende Kinder und lachende Menschen – die neue Nachbarschaft stellt sich vor, vermittelt gute Laune und erzählt von viel Grün und Entspannung im neuen smarten Viertel. So sahen die Baustellenzäune aus, die ein Bauprojekt in der Wiener Seestadt schmückten. Auf ähnliche Bilder setzte auch Marseille: Die Plakate zum entstehenden Écoquartier Smartseille zeigen Léo, Lisa und Carlo – eine glückliche Familie beim Frühstück in einer Wohnung mit Meerblick. Auf einem anderen Plakat ist eine Stadt voller Bäume zu sehen, zwischen denen entspannte Menschen zu Fuß und auf dem Fahrrad unterwegs sind.

Was auf den Baustellenplakaten und -zäunen hingegen in den Hintergrund rückt, sind Bezüge zu intelligenten Kommunikations- und Informationstechnologien, die eigentlich charakteristisch für eine Smart City sind. „Die smarten Viertel skizzieren damit eine Gegenvision zum hypermodernen, menschenleeren und vor allem kalten Stadtbild, das Technologiekonzerne gerne von der Smart City zeichnen“, erklärt Sara Matrisciano-Mayerhofer von der WU. Dafür lassen sie die faktischen oder fiktiven Bewohner*innen sogar selbst zu Wort kommen: die Smart City als lebendige Stadt mit Geschichten, Namen und Gesichtern.

Wenn Vernetzung mehr als nur ein Kabel ist

Durch diese Art der Kommunikation soll die Akzeptanz von Smart-City-Bauprojekten in der Bevölkerung erhöht werden. Sie hat aber auch einen positiven Nebeneffekt: Der Begriff „Smart City“ wird so nach und nach mit neuen Inhalten gefüllt und steht nicht mehr nur für digitale Technologie, sondern auch für eine Stadt, die dem Menschen und seinem Wohlbefinden dient: „Smartness bedeutet in diesem Fall weniger Anonymität, Stress und Beton und mehr Gemeinschaft, Natur und Lebensfreude.“

Aber handelt es sich dabei nicht um Etikettenschwindel? Keineswegs, meint Sara Matrisciano-Mayerhofer: „Der Begriff Smart City wird auch dadurch geprägt, wie die Städte und die Menschen, die darin wohnen, ihn verwenden. Dann kann er genauso für Lebensqualität, Bäume und Radwege stehen wie für Technik und Sensoren,“ und fügt hinzu: „Ich jedenfalls möchte in einer Stadt leben, in der ‚smart‘ mehr bedeutet, als nur ‚intelligent vernetzt‘“.

Detaillierte Ergebnisse der Studie und weitere Informationen

Wenn 'smartness' gerade nicht 'digitale Technologisierung' bedeutet: Kommunikative Praktiken des Baustellenmarketings smarter Städte in Frankreich und Österreich zwischen De-Semantisierung und Re-Semiotisierung. Matrisciano-Mayerhofer, S., 2023, Werbung und PR im digitalen Zeitalter: Grenzen, Übergänge und neue Formate. 1. Aufl. Wiesbaden: Springer VS, (Europäische Kulturen in der Wirtschaftskommunikation, Band 34).
Link zum Paper

Über die Forscherin

Sara Matrisciano-Mayerhofer ist Universitätsassistentin Postdoc am Institut für Romanische Sprachen der WU. Zu ihren Forschungsbereichen zählen Soziolinguistik, Migrationslinguistik, interne Unternehmenskommunikation, Diskursanalyse und die Untersuchung von Marketingstrategien aus sprachwissenschaftlicher Sicht. Ihre Artikel wurden in renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften wie Quaderni di semantica oder Lingua e Stile veröffentlicht. Derzeit leitet sie das vom Jubiläumsfonds der Stadt Wien geförderte Drittmittelprojekt „SmartSpeaking City – alles nur bla bla? Eine Analyse der sprachlich-semiotischen Konstruktion von 'smartness' in der Stadt und im Stadtmarketing aus crossnationaler Perspektive.“


Pressekontakt:

Mag. (FH) Raffael Fritz
Forschungskommunikation
Tel: + 43-1-31336-5478
E-Mail: raffael.fritz@wu.ac.at

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