Stefansplatzerl: Das Begegnungszentrum in der Region

06. Mai 2021

Nachdem wir uns in den vergangenen Monaten im Rahmen unserer Serie „Genossenschaftliche Weltreise“ wiederholt Genossenschaften aus dem Ausland gewidmet haben, kehren wir mit diesem Beitrag zurück in die Heimat. Genauer gesagt widmen wir uns in diesem Beitrag einer oberösterreichischen Genossenschaft, die nicht nur die Nahversorgung in der Region sicherstellt, sondern sich gar zum Begegnungszentrum Nummer eins in der Umgebung gemausert hat. Die Rede ist von der Bürgergenossenschaft St. Stefan-Afiesl, die seit Oktober 2019 im nordwestlichen Mühlviertel auch als Katalysator für das Zusammenwachsen der beiden Gemeinden St. Stefan und Afiesl nach deren Fusion wirkt. Für den Beitrag führten wir ein Gespräch mit dem Obmann der Genossenschaft, Herrn Mag. Karl Lehner.

Lesezeit: 10 Minuten

„Geno schafft“-Redaktion: Vielen Dank noch einmal, dass Sie sich die Zeit für das Interview nehmen. Vielleicht könnten Sie uns und unseren Leserinnen und Lesern, kurz umreißen wer Sie sind, was Ihre Funktion in der Bürgergenossenschaft St. Stefan-Afiesl ist und wie Sie dazu gekommen sind, diese Position zu übernehmen.

Mag. Karl Lehner: Guten Tag. Mein Name ist Karl Lehner und ich bin seit mehr als drei Jahrzehnten im Gemeinderat von St. Stefan-Afiesl, früher St. Stefan, tätig. Wir sind ja eine fusionierte Gemeinde, wir haben vor zwei Jahren mit der Gemeinde Afiesl fusioniert und seitdem sind wir St. Stefan-Afiesl. Die Bürgergenossenschaft ist schon eine Einrichtung der neu fusionierten Gemeinde und da eine Genossenschaft auch einen Vorstand braucht, wurde ich dort zum Obmann gewählt.

„Geno schafft“-Redaktion: Können Sie uns über die vorangegangenen Entwicklungen berichten, die zu der Gründung der Genossenschaft geführt haben?

Mag. Karl Lehner: Wir haben vor drei Jahren unseren einzigen Nahversorger im Ort verloren und vor zwei Jahren hat uns dann der Wirt unseres einzigen Gasthauses - mit Veranstaltungssaal und so weiter - gesagt, dass er in Pension gehen wird, dass er in dem Sinne keinen Nachfolger hat, aber gerne möchte, dass es weiter geht.

Das hat damals dann der Bürgermeister in die Hand genommen mit dem Ziel, das Gasthaus zu erhalten und auch wieder ein Geschäft zu schaffen. Wir haben dann im Rahmen eines Agenda 21-Prozesses diese Thematik behandelt, bearbeitet und entwickelt. Dabei hat uns vor allem die Regionalmanagement Oberösterreich, eine Einrichtung des Landes Oberösterreich, und die SPESs-Akademie in Schlierbach unterstützt.

In weiterer Folge hatten wir einen sehr intensiven Bürgerbeteiligungsprozess, in dessen Rahmen kamen dann mehrere Standortmöglichkeiten ans Licht. Mögliche Standorte waren unter anderen in der Nähe des Pfarrhofs, das oben angesprochene Gasthaus und beim neuen Gemeindezentrum. In einer Arbeitsgruppe wurden diese Vorschläge dann vorstrukturiert. Hier war uns wichtig und klar, dass wir mit allen Vorschlägen umgehen mussten, damit wir alle Leute aus der Bevölkerung ins Boot holen konnten. In dieser Arbeitsgruppe wurde aber relativ rasch klar, dass der Standort des alten Gasthauses genutzt werden sollte, da hier bei Veranstaltungen bis zu 300 Menschen untergebracht werden können. Und es war uns klar, dass das Geschäft, die Gastronomie, der Veranstaltungssaal und auch das Café, das wir vorhatten, an einer Location untergebracht werden mussten, weil wir alle Frequenzen dann an einer einzigen Stelle bündeln.

Im Prozess haben wir dann eine Nutzenanalyse der Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Standorte erstellt. Aus diesem Prozess ist dann sehr objektiv hervorgegangen, dass es nur Sinn macht, das Projekt am Standort des alten Gasthauses umzusetzen.

Und dann war die Frage, wie tun wir das? Wie binden wir die Bevölkerung mit ein? Suchen wir uns einen Betreiber der das macht? Das hat aber schon der alte Gastwirt nicht geschafft.

Im Agenda 21-Prozess kam dann die Idee auf, dass man das Projekt als Genossenschaft umsetzen könnte. In Vorarlberg gibt es ein Beispiel einer solchen Genossenschaft (Anmerk. der Redaktion: „Kaffee-Restaurant Bartle“ in Riefensberg). Zu den Proponenten dieser Einrichtung haben wir Kontakt aufgenommen und uns informiert; und wir waren dann auch in Deutschland, in der Nähe von Freiburg, da gibt es eine ganze Reihe von solchen innovativen Modellen, die mit der Genossenschaft als Rechtsform arbeiten. Zu dem Zeitpunkt waren wir schon überzeugt, dass wir die Genossenschaft machen und es war uns klar, wir müssen möglichst viele Menschen, insbesondere aus unserer Gemeinde, dazu bringen, dass sie die Idee mittragen.

Denn die Genossenschaft hat einen riesigen Vorteil: Man ist mit einem kleinen Betrag dabei, der keine Spende ist - bei uns sind das 250€ pro Genossenschaftsanteil – und das kann sich jeder Mann, jede Frau, ob jung oder alt, Pensionistin, Pensionist, oder noch im Erwerbsleben, das kann sich jede/r leisten. Und wichtig ist, dass jedem und jeder dann ein kleiner Teil dieser Einrichtung gehört und dass dadurch dann auch die Bereitschaft steigt, ins eigene Geschäft bzw. ins eigene – in „ihr/mein“ Gasthaus – essen zu gehen, den Veranstaltungsraum zu nutzen und das Café zu besuchen.

Dann war relativ schnell die Frage: was brauchen wir formell für eine Genossenschaft? Die 15 bis 18 Personen, die beim eben beschriebenen Prozess dabei waren, haben sich dann an einem Sommertag getroffen, ein Foto vor dem Gemeindezentrum gemacht und beschlossen, dass dies der Gründungsvorstand der Genossenschaft ist. Am 02. Oktober 2019 wurde die Genossenschaft dann offiziell gegründet. Mittlerweile hat sie 330 Mitglieder.

„Geno schafft“-Redaktion: Darf ich an dieser Stelle nachfragen ob alle Personen einen Anteil gezeichnet haben, oder ist es schon so, dass es auch Leute gibt die mehr als einen Anteil besitzen? Und ist die Gemeinde eigentlich auch offizielles Mitglied der Genossenschaft?

Mag. Karl Lehner: Das ist ganz verschieden. Wir haben viele mit einem Anteil, wir haben aber auch Personen mit 10 und mehr Anteilen. Die Gemeinde hat sich mit 150.000€ beteiligt. Es hat sich auch die regionale Raiffeisenbank mit der Zweigstelle, die wir im Ort haben, beteiligt.

Alle anderen haben im Regelfall ein bis vier Anteile - manche haben auch zehn Anteile genommen. Es kam auch häufig vor, dass Opas und Omas für ihre Enkelkinder oder Eltern für ihre Kinder Genossenschaftsanteile gekauft haben. Das waren ganz typische Herangehensweisen bei der Genossenschaft und darum haben wir auch so viele Mitglieder. Aber wir haben nicht nur Genossenschaftsmitglieder aus der Gemeinde, auch wenn der Großteil aus der Gemeinde kommt: es haben sich auch sehr viele Menschen im gesamten Bezirk gesagt: „Das ist ein tolles Modell, das wollen wir unterstützen!“, und diese Personen sind ebenfalls bei uns Genossenschaftsmitglied geworden und wissen alle: das ist keine Spende, das ist eine Unternehmensbeteiligung.

„Geno schafft“-Redaktion: Über welche Kanäle wurde die Genossenschaft dann beworben, als es noch nicht so viele Mitglieder gab?

Mag. Karl Lehner: Zu Beginn wurde die Idee vor allem von einem sehr initiativen Bürgermeister getrieben. Dieser steht auch voll dahinter, er ist selbst auch Aufsichtsratsvorsitzender der Genossenschaft. Wir haben die Menschen aus der Bevölkerung dann zu mehreren Veranstaltungen eingeladen, also nicht nur das Projektteam. Und der letzte Punkt war eigentlich Mitte Juli 2019, dort haben wir in das gerade noch in Betrieb befindliche Gasthaus Mayr eingeladen. Am Tag der Veranstaltung war das Gasthaus dann bummvoll, und dort haben wir gemeinsam mit den Projektbegleitern von der SPES-Akademie, die den Agenda-21-Prozess begleitet haben und der Regionalmanagement Oberösterreich, die Idee vorgestellt.

Gleich bei dieser Veranstaltung haben wir auch die ersten 36.000€ an Genossenschaftsanteilen verkauft.

Natürlich nutzen wir auch die Gemeindemedien: die Gemeinde Homepage, Gem2Go – das ist eine App, die die Gemeinden einsetzen – und auch die Gemeindezeitung. In der Gemeindezeitung, die viermal im Jahr herauskommt, schreibe ich jedes Mal unsere Berichte dazu. Und auch der Bürgermeister informiert in seinen monatlichen Aussendungen in der Gemeinde. Dementsprechend ist die Genossenschaft in aller Munde. Unser wichtigstes Medium ist aber unsere Homepage für die Bürgergenossenschaft und das Stefansplatzerl (zur Homepage der Genossensschaft), auf der seit Anfang 2020 alle Informationen verfügbar sind.

„Geno schafft“-Redaktion: Das heißt die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde können sich durchaus mit der Genossenschaft identifizieren und nehmen diese auch positiv und auch als Teil des Gemeindelebens wahr?

Mag. Karl Lehner: Ja, absolut! Das sage ich ganz offen: nachdem die Gemeindefusion vor knapp zwei Jahren stattgefunden hat, war das eigentlich ein Projekt, das geeignet war, die beiden Gemeinden richtig zusammenzuschweißen. Die zwei Gemeinden sind ja nicht riesengroß: Aus Afiesl sind 300 Einwohner zu uns gekommen, aus St. Stefan gut 900 Einwohner. Das heißt, die Leute kennen sich alle, also da gibt es keine Unbekannten. Trotzdem haben wir schon psychologisch und emotional auf ein paar Dinge aufpassen müssen. Aber die Leute stehen total dahinter, so sehr, dass beispielsweise insgesamt 3.500 freiwillige Stunden – ehrenamtliche Stunden – bei der Renovierung und Umsetzung des Projektes geleistet wurden: Im Genossenschaftsvorstand arbeiten wir komplett ehrenamtlich. Also alleine vom Genossenschaftsvorstand stecken mit allen Vorbereitungen, Sitzungen etc. fast 1.500 Stunden drinnen und mehr als 2.000 Stunden wurden von Genossenschaftsmitgliedern ehrenamtlich auf der Baustelle geleistet.

„Geno schafft“-Redaktion: Um die Partizipation der Mitglieder musste man also noch nie kämpfen, die Menschen haben seit jeher eifrig mitgearbeitet? Kann man sich hier in Zukunft Ihrer Meinung nach überhaupt noch verbessern?

Mag. Karl Lehner: Also aus meiner Sicht sind wir hinsichtlich Partizipation schon sehr gut aufgestellt. Wenn ich heute sagen würde, dass wir bitte zehn Leute bräuchten, weil wir irgendetwas Spezielles machen müssen, dann kann ich Ihnen versichern, dass sich Menschen finden, die uns ehrenamtlich dabei helfen. Ein gutes Beispiel wäre die Installation einer Photovoltaikanlage. Oder wenn wir sagen würden, wir bräuchten so eine Art Beirat, der darüber berät, wie sich denn der Nahversorger entwickeln soll. Die Leute rufen mich auch oft mit Ihren Anliegen an und sagen, ich hätte gerne „dieses oder jenes“ in der Genossenschaft und habt ihr auf „dieses oder jenes“ aufgepasst und ich berichte auch bei jeder Gemeinderatssitzung dazu.

Wir haben eine große WhatsApp Gruppe, wir kommunizieren regelmäßig mit einem Newsletter an unsere 330 Genossenschaftsmitglieder, wir haben regelmäßige Homepagebeiträge, wir sind auf Facebook vertreten, die Gemeinde berichtet über uns. Wir haben also eine sehr starke Interaktion. Der größte Nutzen von Partizipation ist, dass die Leute bereit sind, uns ehrenamtlich zu helfen und selbstverständlich auch, dass die Leute die Angebote annehmen.

„Geno schafft“-Redaktion: Wenn man von der Arbeit absieht, war das Projekt aber bestimmt auch mit relativ hohem Kapitalaufwand verbunden?

Mag. Karl Lehner: Zu Beginn mussten wir die Liegenschaft inklusive des alten Wirtshauses ankaufen. Wir haben dann das ganze Gebäude umgebaut und saniert, was insgesamt etwa 820.000€ gekostet hat. Bestandteil des Begegnungszentrums St. Stefan-Afiesl sind nun ein neu gestaltetes „Panorama-Café“, ein komplett neu gestaltetes Geschäft, ein saniertes Gasthaus mit komplett neuem Veranstaltungssaal inklusive neuer Kulturbühne und vieles mehr. Wir wollten dann einen Betreiber für das gesamte Projekt – also alle drei Bereiche: Geschäft, Gasthaus und Café. Mit „Artegra“, den geschützten Werkstätten Altenfelden, haben wir rasch einen Betreiber gefunden, der bereit war, alle diese Bereiche abzudecken. Damit haben wir auch gleich einen zweiten für uns wichtigen Punkt geschafft, nämlich mit dem Projekt auch einen sozialen Mehrwert zu leisten. Inklusion ist bei uns kein Fremdwort, denn im Begegnungszentrum arbeiten auch Menschen mit Beeinträchtigung. Mittlerweile haben wir 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, fünf von ihnen mit Beeinträchtigung. Ganz konkret haben wir einen jungen Burschen der als Hausmeister arbeitet, eine Mitarbeiterin im Geschäft, eine weitere Mitarbeiterin in der Küche und, und, und. Arbeit gibt es ja genug: die einen zeichnen, die anderen packen Dinge ein, wieder andere machen Hausmeisterarbeiten. Wichtig war und sind uns auch andere Aspekte, die wir in das Gastronomie- und Nahversorgerprofil in den Bestandsvertrag aufgenommen haben: beispielsweise steht dort auch, dass wir regionale, saisonale und biologische Produkte anbieten wollen.

„Geno schafft“-Redaktion: Toll, dass die Genossenschaft auch einen so wichtigen Beitrag bei der Arbeitsplatzbeschaffung in der Region – speziell auch für beeinträchtigte Menschen – leistet.

Mag. Karl Lehner: Nicht nur jetzt, sondern in den ersten Wochen und Monaten des Projekts wurde viel Wertschöpfung in der Region geschaffen: wir hatten und haben mindestens 20 - 25 Firmen, die uns beim Bau, Baunebengewerbe, der Homepagegestaltung, Logo und Design, dem Onlineshop und anderen Dingen unterstützt haben.

„Geno schafft“-Redaktion: Damit nimmt die Identifikation mit dem Projekt in der Region vermutlich noch stärker zu. Schön, dass das so gelingt.

Kommen wir zurück zu der Frage, was der konkrete Förderauftrag der Genossenschaft ist?

Mag. Karl Lehner: Ja, wenn ich jetzt den Genossenschaftszweck anschaue, heißt es dort, dass „die Genossenschaft vorwiegend die Förderung des Erwerbs und der Wirtschaft der Mitglieder zum Ziel hat, insbesondere durch Errichtung und umfassende wirtschaftliche Führung eines multifunktionalen Nahversorgungszentrums, wir nennen es halt Bürger-, und Begegnungszentrum, mit Veranstaltungszentrum, Café, Gasthaus, Lebensmittelgeschäft und Veranstaltungsbetrieb, sowie weitere Dienstleistungen, die der Steigerung des Lebenswerts der Mitglieder und Bürgerinnen dienen soll.“ Beispielsweise denken wir auch die Energie betreffend darüber nach, wie wir unsere Mitglieder fördern können: die ganze Anlage wird von der Nahwärme St. Stefan versorgt, das mit Hackschnitzel arbeitet; es wird von Landwirten aus der Gemeinde betrieben. Wir sind auch gerade dabei, eine Photovoltaikanlage zu installieren, das machen wir auch von der Genossenschaft aus. Das ist der Genossenschaftszweck und wir führen die Organisation auch genau in diesem Sinne.

„Geno schafft“-Redaktion: Was bei mir ankommt ist – wenn ich das zusammenfassen dürfte – dass Sie in der Region als sehr nachhaltige Genossenschaft agieren, die sich den Bereich Soziales, Energie und ganz generell der Förderung des nachhaltigen gemeinschaftlichen Zusammenlebens verschrieben hat.

Mag. Karl Lehner: Ja, Nachhaltigkeit ist uns ganz wichtig, regional ist uns wichtig und auch die Eigeninitiative! Es kommt niemand aus Linz und sagt: „Ich baue euch jetzt ein Geschäft.“ Das war eines der wichtigsten Themen. Dass wir den Menschen zu verstehen gegeben haben: „Okay, liebe Leute, wenn, dann machen es wir alle!“. Und wenn es wir alle machen, dann gehen wir auch alle einen Kaffee dorthin trinken, oder eine Mehlspeise kaufen, gehen Einkaufen, gehen Essen dort hin und so weiter, die Vereine haben auch ihr Veranstaltungslokal dort. Wenn die örtlichen Vereine oder die Musikkapelle einmal im Jahr einen Ball oder unsere Feuerwehren eine Hauptversammlung machen möchten, dann können diese Organisationen den Veranstaltungssaal auch kostenlos nutzen.

„Geno schafft“-Redaktion: Also ist das Begegnungszentrum wirklich fast so etwas wie ein neues oder ein weiteres Gemeindezentrum?

Mag. Karl Lehner: Ich würde sagen es ist das Gemeindezentrum. Darum haben wir es auch als „Begegnungszentrum“ ins Gespräch gebracht. Aus einem Ideenwettbewerb mit über 100 Einsendungen und einem mehrstufigen Prozess ist dann zudem ein Name hervorgegangen, unter dem das Begegnungszentrum seither bekannt ist: das „Stefansplatzerl“.

„Geno schafft“-Redaktion: Wurden Sie bei der Gründung dann von jemandem vom Revisionsverband unterstützt?

Mag. Karl Lehner: Ja, es gab eine tolle Unterstützung, die Genossenschaft war aber auch für uns neu und der Revisionsverband hat uns bei den Formalitäten sehr geholfen. Beispielsweise, unsere Ziele in eine entsprechende Satzung zu übersetzen. Natürlich ist mir als Obmann der Genossenschaft auch wichtig, dass der Revisionsverband objektiv prüft, weil ich unseren 330 Mitgliedern auch diese objektive Einschätzung unsere Genossenschaft präsentieren möchte. Und ich freue mich sehr, dass uns der Revisionsverband in den Jahren 2019 und 2020 schon zwei Mal geprüft hat und bei diesen Gelegenheiten festgestellt hat, dass es sich um eine sehr gut geführte und auch erfolgreiche Genossenschaft handelt.

Das ist nicht das Verdienst des Obmannes, sondern das Verdienst aller, die an dem Projekt mitarbeiten. Also ja, der Revisionsverband ist wirklich wichtig, da hier eine objektive Einschätzung darüber getroffen wird, ob der Vorstand ordentlich arbeitet und ob auch mit den Beiträgen der Mitglieder richtig umgegangen wird. Das ist aus formalen Gründen wichtig und es darf auch deshalb, weil sich alle in der Gemeinde kennen, keine Diskussionen geben, ob irgendwo in der Genossenschaft ein Problem besteht.

„Geno schafft“-Redaktion: Hatten Sie seit der Gründung der Genossenschaft im Herbst 2019 schon eine Generalversammlung mit den Mitgliedern?

Mag. Karl Lehner: Nein, das hatten wir Corona-bedingt noch nicht, dazu gibt es aktuell spezielle Regelungen. Wir können die Jahresabschlüsse 2019 und 2020, beide bereits geprüft, in einer einzigen Generalversammlung abhandeln – das wurde rechtlich vom Revisionsverband geprüft. Die Generalversammlung planen wir aktuell in der zweiten Jahreshälfte. Mit der Zustimmung des Revisionsverbandes sollte die erste Generalversammlung also noch in diesem Jahr stattfinden.

Und vielleicht können wir dann auch endlich ein ganz offizielles Eröffnungsfest veranstalten. Wir hatten schon zig Medienbeiträge: im ORF, im Regional TV und in Zeitungen. Aber eine offizielle Eröffnung konnten wir weder im Sommer noch im Herbst 2020 machen.

„Geno schafft“-Redaktion: Schön. Und Sie rechnen damit, dass dann der Großteil der Mitglieder bei der Generalversammlung teilnehmen wird, auch weil es die erste ist?

Mag. Karl Lehner: Da bin ich mir ganz sicher.

„Geno schafft“-Redaktion:  Gibt es noch Wünsche die Sie an die Zukunft haben, oder entwickelt sich ohnehin alles wie sie es sich wünschen?

Mag. Karl Lehner: Naja, Sie wissen: In der Euphorie ist alles gut. Die verliebte Phase hält im Regelfall nicht dauerhaft an, das bestätigen einem auch Psychologen. Das Entscheidende ist, dass wir nach der tollen Umbauphase, der tollen Beteiligung im ersten Jahr und auch jetzt in den Lockdownphasen, die ja schon auch lange dauern, auf die Unterstützung der Mitglieder zählen können, die das Angebot voll nutzen. Jetzt haben wir mittlerweile sechs Monate Lockdown. Dennoch steigen die Umsätze im Geschäft weiterhin. Und der Gastronomiebereich hat zwei Tage in der Woche einen Abholservice und immer am Sonntag eine Abholkarte, wo zwischen 50 und 100 Essen verkauft werden. Das ist für ein regionales Gasthaus ganz vernünftig. Ich meine, wenn diese Personen in Nicht-Corona-Zeiten auch ins Lokal kommen, dann wäre jeden Sonntag das Gasthaus voll.

Wir haben die erste Anfangseuphorie hinter uns. Jetzt haben wir sogar den Lockdown gut geschafft und wesentlich ist, dass wir auch in zehn Jahren sagen können, dass die Leute bei der Genossenschaft dabei sind und nicht nach den ersten drei Jahren die Hälfte der Mitglieder ausgestiegen ist. Dass wir dann also bequem auf der Terrasse des Stefansplatzerl sitzen können und dort gemeinsam einen Kaffee oder ein Seiterl Bier trinken und das Geschäft immer noch so gut läuft wie jetzt.

Und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das gelingen wird. Auch weil die COVID-19-Pandemie bei den Menschen ein gewisses Umdenken bewirkt hat. Sie wollen mehr regional, mehr biologisch und ziehen vermehrt wieder aufs Land. Hier ist es auch nicht von Nachteil, dass wir „nur“ 50 Kilometer von Linz entfernt sind und dass die Stadt in 45 Minuten zu erreichen ist.

Unser Weg wird auch dadurch bestätigt, dass sich Menschen bei uns melden und sagen: „Das wollen wir auch machen!“. Alleine in den vergangenen drei Monaten war ich mit fünf, sechs Gruppen beim Stefansplatzerl und habe dort erklärt, wie wir vorgegangen sind und wie die Genossenschaft bei uns funktioniert. Diese Personen wollen ähnliche Modelle umsetzen und finden die Idee wirklich gut. Sie sind ebenfalls der Meinung, dass es notwendig ist, die Menschen aus der Region mit ins Boot zu holen, wenn man das regional schaffen möchte. Ich wünsche allen diesen Projekten viel Kraft und alles Gute!

„Geno schafft“-Redaktion: Somit ist das Stefansplatzerl auch wieder ein „Best-Practice-Modell“ für andere Menschen, das ist wirklich toll. Ähnliches sehen wir übrigens auch bei Energiegenossenschaften bzw. -gemeinschaften: Dass dort, wo es erfolgreich praktiziert wird, auch die Hemmschwelle für andere fällt, selbst vielleicht auch etwas in der Art aufzubauen.

Mag. Karl Lehner: Wie gesagt, ich bin zuversichtlich, dass wir das nachhaltig schaffen. Aber wirklich geschafft haben wir es, wenn wir in zehn Jahren, wie ich es beschrieben habe, dort sitzen und sagen: „Okay, es ist wirklich super geworden.“  Da lade ich Sie dann zu einem Interview ein.

„Geno schafft“-Redaktion: Ja sehr gerne, dann können wir darüber sprechen, wie sich das Projekt entwickelt hat und wie die Bürgergenossenschaft St. Stefan-Afiesl „Best-Practice-Modell“ für 50 oder 100 weitere Bürgergenossenschaften in Österreich war!

Mag. Karl Lehner: Das würde uns riesig freuen und ich freue mich für jede Gemeinde die das schafft. Und wenn wir Vorbild sind, dann dürfte es offenbar nicht so schlecht gewesen sein.

Gerne möchte ich an dieser Stelle auch noch erwähnen, dass das Projekt von der EU gefördert wurde. Das heißt, es ist ein Leader-Projekt, Leader hat das Geschäft gefördert. Und es ist ein Agenda 21-Projekt. Wir haben für den Veranstaltungssaal eine Förderung vom Land bekommen. Auf unserer Homepage kann man sich zudem über alle Partner und die Initiativen, durch die wir unterstützt wurden, informieren.

Noch etwas, das mir wichtig ist: die Rolle des Bürgermeisters für unsere Bürgergenossenschaft. Vieles wäre wahrscheinlich nicht in die Gänge gekommen, wenn es nicht den Bürgermeister gegeben hätte, der diese Initiative stets mit voller Kraft unterstützt hat. Man braucht solche Leute in der Gemeinde und er ist in unserem Fall der, der vorangegangen ist.

„Geno schafft“-Redaktion: Vielen Dank für diese netten abschließenden Worte, die wir gerne im Beitrag berücksichtigen werden. Alles Gute und viel Erfolg für Sie und die Genossenschaft und vielen Dank für Ihre Bereitschaft, dieses Gespräch mit uns zu führen.

Mag. Karl Lehner: Ich bedanke mich für Ihr Interesse an unserem Projekt!

Interviewpartner: Mag. Karl Lehner, Obmann der Bürgergenossenschaft St. Stefan-Afiesl

Das Interview führte: Gregor Rabong

Link zur Bürgergenossenschaft St. Stefan-Afiesl:

http://genossenschaft.stefansplatzerl.at/ 

Mag. Karl Lehner, MBA

Portraitfoto Mag. Karl Lehner

Das Forschungsinstitut für Kooperationen und Genossenschaften freut sich sehr, dass für diesen Beitrag Mag. Karl Lehner, Obmann der Bürgergenossenschaft St.Stefan-Afiesl, als Interviewpartner bereitstand, bei dem wir uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken möchten!

zurück zur Übersicht