Stadt der Zukunft: Eine Genossenschaft erfindet Urbanität neu

06. Oktober 2020

Am 22.09. besuchte die Blog-Redaktion den „Zukunftshof“ (ehemals Hascha-Hof) in Wien-Favoriten. Bei einer Führung gewährte Andreas Gugumuck Einblicke in die dort ansässige Genossenschaft und seine Visionen für die Transformation des Stadtteils Rothneusiedl zu einem „Stadtdorf“ und ganz Wiens zu einer „Stadt der Zukunft“.

Lesezeit: 5 Minuten

Neue Impulse für Rothneusiedl

Der Stadtteil Rothneusiedl hat viele Gesichter: neben landwirtschaftlichen Höfen drängen sich moderne Wohnhäuser, in unmittelbarer Nähe zu diesen finden sich wiederum Industriegebäude und Logistikzentren großer Unternehmen. Mitten drin befindet sich auch ein Ende des 19. Jahrhunderts erbauter Gutshof, der zu neuem Leben erweckt werden soll. Zu tun gibt es genug: Abgesehen von den Gebäuden, welche mit der Zeit baufällig geworden sind, hat der Mitinitiator des Projekts „Zukunftshof“ Andreas Gugumuck große Pläne, welche über bauliche Neuerungen hinausgehen. Er träumt von einem „Stadtdorf“, wo „Land und Stadt - Dorfleben und Urbanität - miteinander verbunden werden und nicht im Widerspruch stehen“.

Geplant ist unter anderem die Produktion verschiedener zukunftsfähiger Nahrungsmittel mit einem möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck durch eine Reihe von „Wiener Foodpionieren": Pilze, Fische und Schnecken, aber auch Insekten, sollen am Zukunftshof durch zum Teil bereits etablierte Unternehmen kultiviert, gezüchtet und verarbeitet werden. Hierzu haben sich bereits verschiedene namhafte Produzent/inn/en zusammengeschlossen, beispielsweise Katharina Unger von Livin Farms (Insekten) oder die Firmen Hut und Stiel (Pilzzucht) undBLÜN (Aquaponik).

Zusammen sind wir stärker! - Zusammenschluss zur Genossenschaft

Schnell wurde klar, dass die Organisationsform der Genossenschaft bei der Umsetzung der Pläne behilflich sein kann. Wozu braucht jede/r eigenes Personal, welches sich um die Pflege der Tiere bzw. Pilze kümmert? Nachdem oft auch die gleichen Kund/inn/en beliefert werden, stellte sich auch die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines separaten Vertriebs und der individuellen Logistik. Die Genossenschaft zählt inzwischen über 50 Mitglieder und ist Mitglied beim Revisionsverband „Rückenwind“.

Zentrale Bedingung für den Beitritt der Produzent/inn/en war und ist, dass sie das Konzept des Zukunftshofes mittragen. So ist die Öffentlichmachung der Produktion eines der Hauptanliegen Gugumucks. Eine Schauproduktion kann Schulklassen zeigen, wie Kreislaufwirtschaft funktioniert, wie die Abfälle der einen Produktion (z.B. Kaffeesud aus dem geplanten Restaurant) Nährboden für eine andere sein können (z.B. Pilzzucht). Dafür gibt es günstige Mietverträge und geteiltes Personal, im ehemaligen Schweinestall des Gutshofes soll, wenn es nach den Plänen der Genossenschaft geht, auch eine gemeinsame Verarbeitungsküche eingerichtet werden. Handwerksbetriebe sollen sich in Zukunft ebenfalls auf dem Areal einmieten, die soziale Tischlerei „Nut & Feder“ hat bereits Interesse angemeldet, des Weiteren sollen auch Ideen für eine eigene Brauerei weiterverfolgt werden.

Kooperation, die über die Grenzen der Genossenschaft hinausgeht

Ein eigens gegründeter Verein kümmert sich um die Vernetzung und Einbindung der Rothneusiedler Nachbarschaft in das Projekt. Für Andreas Gugumuck offensichtlich eine Herzensangelegenheit: „Wir bauen Image und Identität für einen Stadtteil mit 20.000 Menschen auf.“ Während die Genossenschaft also die produktiven Tätigkeiten übernimmt, kümmert sich der Verein um Repräsentation des Unterfangens. Beispielsweise wurde am Wochenende vor unserem Besuch das hofeigene Festival mit dem klingenden Namen „Zukunftserwachen“ erstmalig durchgeführt (Impressionen davon gibt es am Ende des Beitrags!). Neben einem umfangreichen Kulturprogramm kam auch die Kulinarik nicht zu kurz: Angeboten wurde unter anderem auch ein „Future Food Burger“, dessen Patty aus einer Mischung von Austernpilzen, Kräuterseitlingen und 30% Schneckenfleisch besteht. Als Topping mit Biss dienten Mehlwürmer. Für Gugumuck ist dies nicht nur „Marketing-Gag“, sondern die logische Variante des Essens der Zukunft – so sind Schnecken in der Produktion wesentlich ressourcenschonender als beispielsweise Rindfleisch. 1 kg Rindfleisch benötigt in der Produktion 14-22 kg Futtermittel, Schnecken benötigen für dieselbe Menge Fleisch nur 1,7kg Nahrung. Diese Ergebnisse wurden in Zusammenarbeit des Züchters mit der Universität für Bodenkultur (BOKU) ermittelt. Ganz allgemein ist das Forschungsinteresse an dem „Projekt“ Zukunftshof groß: BOKU, TU und das AIT sind bei dem Projekt auf die ein oder andere Art eingebunden. Unter anderem soll erforscht werden, welche Auswirkungen der Zukunftshof auf die Anwohner/innen in der Umgebung hat. Durch die laufende Zusammenarbeit mit dem "Vertical Farm Instiut" ist darüber hinaus für praktische und wissenschaftliche Expertise im Bereich "Landwirtschaft in Ballungsräumen" gesorgt.

Rothneusiedl als Paradebeispiel für die Stadt der Zukunft

Andreas Gugumucks Pläne beschränken sich also nicht auf das Gelände des Gutshofes, vielmehr denkt er an eine Transformation des gesamten Stadtteils. Das Projekt Zukunftshof soll Wien dabei helfen, eine internationale Referenzstadt „abseits des sozialen Wohnbaus“ zu werden, die sich durch fortschrittliches Denken über mehrere Bereiche des städtischen (Zusammen-)Lebens hinweg auszeichnet. Erreicht werden soll dies unter anderem auch durch Architektur der Wohnhäuser, die das gemeinsame Stadtleben stimuliert („Jedes Haus soll eine kleine Microfarm haben!“). Ziel ist eine Stadt der kurzen Wege, in der Produktion und Verbrauch von Gütern wieder in engerer räumlicher Nähe zueinander stattfinden.

Auch die Sanierung des Hofes soll im Zeichen der Nachhaltigkeit stehen: Existierende Gebäude sollen bestehen bleiben, bei der Sanierung möchte man auf altbewährte Baumaterialien wie Ziegel zurückgreifen und für die Dämmung wird mit Stoffen aus Pilzmyzelien experimentiert. Insgesamt belaufen sich die Kosten für die Grundsanierung auf rund 7 Millionen Euro, die Investor/inn/ensuche ist bereits im Gange, ein Teil der Investitionssumme soll beispielsweise über Crowdfunding generiert werden. Es ist vor allem die Bewältigung der hohen Kosten, welche laut Gugumuck häufig zu Zweifeln an dem Projekt und zu der Frage „Wie wollt’s denn das alles schaffen?“ führt, dicht gefolgt von dem Satz: „Das wird ja nix.“

Andreas Gugumucks Antwort darauf: „Wir haben keine Angst vor der Zukunft, die Herausforderungen der heutigen Zeit sind als Chancen zur Veränderung zu sehen. Die Zukunft will gestaltet werden und dazu braucht es eine starke Zivilgesellschaft, die sich zusammentut, um gemeinsam etwas zu bewirken. Genau hier ist der genossenschaftliche Gedanke im Vordergrund.“

Die Autor/inn/en des "Geno schafft"-Blogs bedanken sich an dieser Stelle noch einmal recht herzlich für das interessante Gespräch und wünschen den "Wiener Foodpionieren" und dem gesamten Projekt Zukunftshof viel Erfolg!

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an jana.stefan@wu.ac.at, gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Autor/inn/en: Jana Stefan und Gregor Rabong

Impressionen von der Veranstaltung "Zukunftserwachen" des Zukunftshofes

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