Societas Cooperativa Europaea (SCE): Die Europäische Genossenschaft

06. Oktober 2019

Unternehmen die ein Nischendasein überwinden möchten, können im 21. Jahrhundert in nahezu alle Regionen dieser Welt expandieren. Dieses Vermögen der einzelnen Unternehmen führt zu steigender Konkurrenz in einzelnen Märkten und in weiterer Folge zu Kooperationsdruck zwischen den Akteuren (der mitunter auch in Fusionsdruck übergehen kann), die sich mit weltweiter Konkurrenz konfrontiert sehen.

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Die Notwendigkeit der Kooperation erwächst aber nicht nur aus der gestiegenen Konkurrenz: Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Migrationsströme oder Energieknappheit verlangen internationale Lösungen, weshalb die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg an Wichtigkeit zunimmt. Für Kooperationen, die über europäische Landesgrenzen hinweg ent- oder bestehen bietet die Europäische Genossenschaft (lat.: Societas Cooperativa Europaea kurz SCE) bereits seit 18. August 2006 den geeigneten Rahmen. Eine EU Verordnung, die drei Jahre zuvor beschlossen wurde, ist die rechtliche Grundlage für diesen EU-weit standardisierten Unternehmenstypus.

Die Rechtsform, die in Österreich nur sehr Wenigen bekannt ist und aus diesem Grund selten als Unternehmensform gewählt wird, ist Inhalt des diesmonatigen Geno schafft-Beitrages.

Was sind die Gründe für die Einführung der Societas Cooperativa Europaea im Jahr 2006?

Die bereits im Jahr 2003 beschlossene Verordnung beschreibt die Beweggründe für die Etablierung der Rechtsform. Dementsprechend heißt es in Absatz (2): „Die Vollendung des Binnenmarktes und die damit verbundene Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der gesamten Gemeinschaft macht nicht nur die Beseitigung von Handelsschranken erforderlich, sondern bedeutet auch, dass die Produktionsstrukturen an die Gemeinschaftsdimension angepasst werden müssen. Dazu ist es wesentlich, dass Gesellschaften jedweder Form, deren Geschäftstätigkeit über die Befriedigung des rein lokalen Bedarfs hinausgeht, in der Lage sein sollten, die Umstrukturierung ihres Geschäftsbetriebs zwecks Ausdehnung auf die Gemeinschaftsebene zu planen und durchzuführen.“ (Europäischer Rat 2003).

Den gängigen (genossenschaftlichen) Unternehmensformen einzelner Länder wird zudem keine zufriedenstellende Rechtsrahmen-bildende Funktion bei unionsgemeinschaftlichen Unternehmungen zugestanden (Europäischer Rat 2003, Absatz 3): „Der Rechtsrahmen für eine Geschäftstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft beruht immer noch weitgehend auf einzelstaatlichem Recht und entspricht damit nicht dem wirtschaftlichen Rahmen, innerhalb dessen sich diese entwickeln muss, wenn die Ziele des Artikels 18 des Vertrags erreicht werden sollen. Diese Situation stellt ein erhebliches Hindernis für die Schaffung von Unternehmensgruppen mit Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten dar.“

Die Einführung der Europäischen Gesellschaft (SE), die einer europäischen Form der individualstaatlich geregelten Aktiengesellschaften entspricht, und die bereits im Jahr 2001 erfolgte, wird in den Absätzen 4 und 5 der Verordnung thematisiert. Absatz 4 stellt in Hinblick auf diese unionsrechtliche Entsprechung der individualstaatlichen AGs fest: „… Dies ist kein Instrument, das den Besonderheiten der Genossenschaften gerecht wird.“ (Europäischer Rat 2003). Die Einführung der Europäischen Genossenschaft als eine Rechtsform, die diesen Besonderheiten eher entspricht, war die gewünschte Konsequenz. Im Grundsatz der Nichtdiskriminierung derselben Verordnung wird zudem geregelt, dass die SCE im Vergleich zu Genossenschaften nach dem Recht des Sitzstaates nicht benachteiligt oder bevorzugt werden dürfen.

Europäische Genossenschaften mit Sitz in Österreich

Bis in Österreiche eine SCE gegründet wurde, dauerte es 12 (!) Jahre: Erste SCE mit Sitz in Österreich ist seit 04.12.2018 die OurPower Energiegenossenschaft, eine Genossenschaft, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen digitalen Marktplatz für dezentrale Erneuerbare Energie zu entwickeln (Rückenwind Revisionsverband 2018). Unternehmen aus Deutschland und Österreich arbeiten zu diesem Zweck im Rahmen der Genossenschaft zusammen. Der grenzüberschreitende Handlungsrahmen und die internationale Dimension ihrer Bemühungen schlagen in der Satzung nieder: „… Sie [Anmerkung der Redaktion: Die OurPower Energiegenossenschaft] motiviert und unterstützt ihre Mitglieder, die zum Schutz des Weltklimas dringend notwendige Energiewende in ihrem jeweiligen Bereich selbständig und eigenverantwortlich voranzutreiben und über nationale und soziale Grenzen hinweg Klimaschutz und Energiewende zu stärken und zu beschleunigen und klimaschädigende fossile Energien und Ressourcenverschwendung durch Erneuerbare, Effizienz und Sparsamkeit zu ersetzen.“ (OurPower Energiegenossenschaft SCE 2019).
Die Read-Coop SCE kann als zweites - und bislang letztes - Beispiel für eine SCE mit Sitz in Österreich präsentiert werden. Anfänglich wurde dieses Projekt unter dem Titel „Transkribus“ zwischen der Uni Innsbruck und führenden internationalen Forscher/inne/n gestartet. Seit 01. Juli 2019 ist das ehemalige EU-Projekt als Europäische Genossenschaft in Innsbruck eingetragen. Auftrag der Genossenschaft ist es, die wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Tätigkeit der Mitglieder zu fördern, was insbesondere in Bezug auf die Digitalisierung, Transkription, Erkennung und Suche historischer Dokumente bewerkstelligt werden soll (Read-Coop 2019). Die Read-Coop SCE zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass handschriftlich verfasste (historische) Dokumente mit einer eigens entwickelten Texterkennungssoftware automatisiert digitalisiert werden sollen. Die Technologie, die zum Einlesen von Schriftstücken verwendet wird, die mit menschlichem Auge zum Teil kaum (mehr) zu entziffern sind, wird laufend weiterentwickelt. Dies führte in den vergangenen Jahren zu einer Reduktion der Fehlerquote von 15% auf 3% (Raiffeisenzeitung 2019). Die Read-Coop SCE ist gerade deshalb so bemerkenswert, weil sie aus einem EU-Projekt heraus entstanden ist und sie die Vorteile der europäischen Genossenschaft als unionsstaatenübergreifende Rechtsform ideal nutzt: Führende Forscher/innen der gesamten EU kooperieren in diesem Unternehmen.

Welche Zukunft hat die Europäische Genossenschaft in Österreich?

Rößl und Rainer (2010) stellten bereits sieben Jahre nach der Einführung der Rechtsform fest, dass die SCE in der österreichischen Bevölkerung und Unternehmensgründerlandschaft relativ unbekannt war. An diesem Umstand scheint sich auch ein knappes Jahrzehnt später wenig bis nichts geändert zu haben: Trotz des mittlerweile fast 15-jährigen Bestehens ist die SCE immer noch wenig bekannt und selten genutzt. Genossenschaftsgründungen erfolgen meist in Form einer „österreichischen“ eingetragenen Genossenschaft (e.Gen.) nach dem Genossenschaftsgesetz (GenG) und nicht als Societas Cooperativa Europaea.

Nichtsdestotrotz stellt die Rechtsform nicht nur für die beiden angeführten Beispiele die optimale Wahl dar. Denn dort, wo Kooperation über unionsstaatliche Grenzen hinweg erfolgen soll, liefert die SCE einen geeigneten Rahmen. Steigende Internationalisierungsambitionen und -notwendigkeiten der Unternehmen europäischer Länder und globale Aufgaben wie der Klimawandel könnten bewirken, dass die SCE an Bedeutung gewinnt.

Die beiden bereits gegründeten SCEs mit Sitz in Österreich dienen als Beispiele und gleichsam als Werbeträger für diese „neue“ Rechtsform. In den Genossenschaftsrevisionsverbänden hat man entsprechende Voraussetzungen geschaffen, um den beiden bestehenden SCEs die Gründung zu ermöglichen. Die Hürden sind für nachfolgende Gründungen Europäischer Genossenschaften nicht mehr so hoch, weshalb durchaus davon ausgegangen werden kann, dass die Zahl in den kommenden Jahren schneller wächst, als es im vergangenen Jahrzehnt der Fall war, sofern sich das Modell bei den beiden existierenden SCEs bewährt.

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen zum Thema oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Autor: Gregor Rabong

Gründungsvoraussetzungen:

Mindestmitgliederanzahl: 5 natürliche und/oder juristische Personen mit (Wohn-)Sitz in mindestens 2 Mitgliedsstaaten der EU (auch über Fusion mehrerer Genossenschaften)

Organe: Vorstand, Aufsichtsrat, Generalversammlung

Geschäftsführung & Vertretung: durch Vorstand / Verwaltungsrat (haupt-​ oder ehrenamtlich)

Vorgeschriebenes Mindestkapital: 30.000 €

Sitz der SCE: im Staat in dem die Hauptverwaltung der SCE liegt (Verlegung führt weder zur Auflösung noch zur Gründung einer neuen juristischen Person)

Gründungskosten: gerichtliche Eingaben-​ und Eintragungsgebühren sowie Unterschriftsbeglaubigungen der gewählten Vorstandsmitglieder

Stimmrecht: Kopfstimmrecht (eine Stimme pro Kopf, unabhängig vom beigetragenen Genossenschaftskapital) oder Anteilsstimmrecht (nur in Finanz- und Versicherungsbranche)

Revisionspflicht: ja (der Beitritt zu einem Revisionsverband ist grundsätzlich Pflicht und auch mit Kosten verbunden. Der Revisionsverband führt aber nicht nur die Revision durch, sondern hilft generell bei rechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Fragen weiter.)

Gewinnversteuerung (in AT): Körperschaftssteuerpflicht i.H.v. 25% Genossenschaftliche Rückvergütungen (=Überschussverteilung) sind zudem Kapitalertragssteuerpflichtig (25%)

Haftung: üblicherweise auf Betrag des gezeichneten Geschäftsanteils beschränkt, abweichende Regelungen können in der Satzung festgelegt werden. Es besteht keine Nachschusspflicht im Insolvenzfall.

Literaturverzeichnis:

Europäischer Rat (2003): Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE).

Raiffeisenzeitung (2019): Ein Computer liest Uromas Handschrift, Raiffeisenzeitung (29-30, - ,4).

Read-Coop (2019): Satzung der Read-Coop Energiegenossenschaft SCE mit beschränkter Haftung.

Rößl, Dietmar & Rainer, Elisabeth (2010): Die Europäische Genossenschaft in Österreich, Raiffeisenblatt (38,6,8-10).
URL:https://www.raiffeisen.at/raiffeisenblatt/121809748930559302_126154437634825905-680051251504488361-NA-30-NA.html

Rückenwind Revisionsverband (2018): Klimaschutz mit RÜCKENWIND. URL: https://www.rueckenwind.coop/post/12/.

OurPower Energiegenossenschaft SCE (2019): Satzung der OurPower Energiegenossenschaft SCE mit beschränkter Haftung, Stand 26. Juni 2019.

Weiterführende Literatur zum Thema:

Bernardi, Marina (2019): Wissenswertes sichern, eco.nova (September 2019, - , 74-75).

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