Smart Coop Austria: gemeinsam für mehr Sicherheit

06. November 2021

Dieser Beitrag stellt die Smart Coop Austria vor: Eine Genossenschaft, die für ihre User*innen stabilere Arbeitsverhältnisse schafft. Wie das gelingt, und wie und wo die Idee für die Genossenschaft entstand, das berichteten Xenia Kopf und Angela Vadori der Smart Coop Austria im Gespräch.

Lesezeit: 8 Minuten

"Geno schafft"-Redaktion: Vorab bitte ich Sie, dass Sie einige Worte zu sich, zu Ihrer Geschichte und Ihrer Aufgabe bei der Smart Genossenschaft sagen.

Xenia Kopf: Ich bin seit 2019 bei der Smart Coop Austria im Bereich Kommunikation tätig – also alles von interner Kommunikation bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit. Eine der Gründerinnen, Sabine Kock, die ehemalige Geschäftsführerin der Interessensgemeinschaft (IG) Freie Theaterarbeit und Kulturratsvorsitzende, hat mich ins Boot geholt.

Angela Vadori: Ich komme ursprünglich auch aus dem Kunstbereich und bin im Jänner 2018 bei Smart eingestiegen. Seit Anfang 2021 bin ich gemeinsam mit Sabine Kock für die Geschäftsführung der Smart Genossenschaft zuständig. Während Sabine  Kock vornehmlich die Themen Genossenschaft, Kommunikation und Strategie behandelt, sind meine Bereiche vor allem die Finanzen und das Operative.

GsR: Das heißt also, dass Sie beide nicht seit Anfang an bei der Smart Genossenschaft Österreich tätig sind?

AV: Genau. Initiiert wurde Smart bereits 2011, als Genossenschaft gibt es sie seit 2015.

GsR: Welche sind die Beweggründe, die zu der Gründung der Organisation geführt haben?

XK: Sabine Kock hat damals das Modell über die IG Freie Theaterarbeit kennengelernt. „Smart“ steht für „société mutuelle pour artistes“ und wurde Ende der 1990er Jahre in Belgien geschaffen, um für Personen mit häufig wechselnden Arbeitsverhältnissen und gelegentlichen Stehzeiten mehr Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Gerade im Bereich Theater, Tanz und Performance kannte Frau Kock diesbezügliche Probleme wie Mehrfachversicherung oder Pensionslücken nur zu gut.

In Belgien ist Smart dann sehr schnell gewachsen und hat in Folge Büros in anderen europäischen Städten bei der Gründung unterstützt, so auch in Österreich.

GsR: Auf welche „Einnahmequellen“ kann die Smart-Genossenschaft zurückgreifen?

XK: Smart muss sich als Genossenschaft mittelfristig selbst über das Geschäft tragen. Deshalb wird für jeden Auftrag eine Gebühr („Smart Fee“) in Höhe von 10% der Nettoauftragssumme eingehoben. Damit stellen wir die Geschäftstätigkeit von Smart auch in Zukunft sicher. Und es handelt sich um einen Selbstkostenpreis, da die Genossenschaft nicht auf Gewinn ausgerichtet ist.

GsR: Der Ursprung von Smart liegt, wie Sie bereits gesagt haben, im künstlerischen Bereich. Wird Smart dort als wichtiger „Player“ wahrgenommen? Wie kommen andere Nutzer*innen zur Genossenschaft?

XK: Im Bereich darstellende Künste haben wir ein sehr gutes Standing. Hier kommen die User*innen oft durch „Word of Mouth“ zu uns, d.h. über Bekannte oder Kolleg*innen, die erfolgreich mit uns arbeiten.

Darüber hinaus sind wir noch im Aufbau, sprechen häufig auf Veranstaltungen über unser Modell. Dieses Jahr konnten wir zudem eine Förderung der Arbeiterkammer Wien lukrieren, um ein Onlinetool zu entwickeln, das unter anderem auch eine Vernetzungs-Funktion beinhalten soll. Über das Tool möchten wir die Kommunikation mit und unter den Mitgliedern fördern.

AV: Aktuell zählen wir viele Personen aus unterschiedlichen Bereichen der Kunst, aus dem Bildungsbereich und beispielsweise auch Übersetzer*innen zu unseren User*innen. Circa die Hälfte aller User*innen sind Kunstschaffende. In Zukunft möchten wir vermehrt andere Berufsgruppen ansprechen, beispielsweise Informationstechniker*innen.

GsR: Nun haben wir schon besprochen, dass es Ziel der Genossenschaft ist, eine stabilere Arbeitssituation für die User*innen zu schaffen. Kann man so auch den Förderzweck der Genossenschaft zusammenfassen?

XK: Ja genau, so hätte ich es auch zusammengefasst. Es handelt sich um eine gemeinschaftlich getragene, solidarisch ausgerichtete Struktur, die sicherstellt, dass die Personen, die mit Smart arbeiten (d.h. Freelancer*innen der verschiedensten Branchen), stabilere Arbeitsverhältnisse und eine bessere soziale Absicherung haben. Die Smart Genossenschaft ist damit eine Art „Arbeitgeberin, wo es sonst keine gäbe“ bzw. eine „Unternehmensstruktur, die nicht extra gegründet werden muss“ und von den User*innen genutzt werden kann.

GsR: Welche Leistungen bietet die Smart Genossenschaft an?

XK: Hier bietet es sich an, einen Blick auf die Abwicklung von Aufträgen über Smart zu werfen.

Auf der einen Seite der Arbeitsbeziehung sind unsere User*innen, also die Freelancer*innen. Sie arbeiten wie gewohnt selbstbestimmt und sind auch weiterhin zuständig für die Akquise, Smart ist keine Agentur. Auf der anderen Seite sind die Auftraggeber*innen. Smart ist zwischengeschaltet: Wir prüfen die Verträge bzw. setzen sie auf, beispielsweise Werkverträge mit Auftraggeber*innen und Dienstverträge mit Freelancer*innen. Das heißt, die Aufträge werden zwischen den Auftraggeber*innen und der Genossenschaft abgeschlossen, und die Freelancer*innen werden als Angestellte der Genossenschaft mit der Erfüllung beauftragt.

Zusätzlich bietet die Smart Genossenschaft eine Zahlungsgarantie und übernimmt gegebenenfalls auch die Ausfallshaftung , wodurch das unternehmerische Risiko auf die Genossenschaft übergeht. Auch viel Administration wird übernommen: wir kümmern uns um Rechnungswesen, Budgets, Auftragsverwaltung, Lohnverrechnung, und vieles mehr. Ein zusätzlicher Vorteil für die User*innen ist die umfassende Betreuung durch unsere Berater*innen, die für Spezialfälle zusätzlich externe Expert*innen für Rechts- und Steuerfragen hinzuziehen können.

GsR: Holen Sie vorab weitreichende Informationen über die Freelancer*innen ein und prüfen Sie die Situation sehr genau, bevor sie eine vertragliche Verpflichtung gegenüber den Auftraggeber*innen und auch den Freelancer*innen eingehen?

AV: In etwa 95 Prozent der Fälle sind die Beziehungen zu den Selbstständigen und die Abwicklung der Aufträge komplett unproblematisch. Komplette Ausfälle, in denen wir gegenüber den Freelancer*innen die Haftung übernehmen müssen, kommen extrem selten vor. Zusätzlich haben wir für solche Fälle eine Versicherung, die einen Teil des Ausfalles übernimmt.

GsR: Für wie viele Menschen ist Smart aktuell tätig?

AV: Wir haben im Jahr aktuell zwischen 400 und 500 aktive User*innen und im Monat sind ca. 73 Personen, inklusive dem internen Team, bei uns angestellt. Wenn man die inaktiven User*innen hinzuzählt, dann haben bereits 1.350 Personen die Leistungen der Smart Genossenschaft zumindest einmal in Anspruch genommen. Es sind im Übrigen auch oft Teams, die sich bei uns anstellen lassen. Der Klassiker ist die Band, die sich aus unterschiedlichen Personen zusammensetzt und dann individuell bei uns angestellt wird.

GsR: Wie lange sind die User*innen durchschnittlich bei Smart angestellt?

AV: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben Leute, die sind seit 2015 durchgehend bei der Genossenschaft angestellt, andere sind eine Woche lang, für einen Auftrag bei uns angestellt sind und gehen dann wieder. Das kommt ganz auf die persönliche Situation der User*innen an. Wichtig für einige ist auch der Erwerb von Ansprüchen in der Arbeitslosenversicherung durch die Anstellung.

XK: Die Frage nach der Dauer hängt einerseits von den Wünschen unserer User*innen ab, andererseits davon, was die Auftragslage hergibt. In vielen Fällen sind sie über einige Monate oder einige Wochen angestellt. Wenn die User*innen dauerhaft bei uns angestellt sein möchten und ständig neue Aufträge einbringen, dann fließen all diese Inputs in die Anstellung.

GsR: Sind nun alle dieser User*innen auch Mitglieder in der Genossenschaft?

XK: Bei der ersten Nutzung muss man noch nicht Mitglied sein. Ab dem zweiten Auftrag wünschen wir uns, dass die User*innen auch Mitglieder in der Genossenschaft werden, da sie dadurch das Modell, von dem sie offensichtlich überzeugt sind, fördern und mittragen. Um Mitglied in der Genossenschaft zu werden, zahlen die User*innen einmalig 50 Euro für den Genossenschaftsanteil und sind dann vollständig berechtigte Miteigentümer*innen. Unabhängig von ihrem finanziellen Beitrag haben Sie dann eine Stimme bei der der Generalversammlung. Es gibt aber auch Mitglieder, die keine aktiven User*innen sind und uns so unterstützen.

GsR: Wird die Mitgliedschaft stark gelebt? Nehmen die Mitglieder an der Generalversammlung und an Entscheidungsprozessen in der Genossenschaft aktiv teil?

XK: Gemessen an der Gesamtzahl der Mitglieder sehen wir Potenzial nach oben, aber die Beteiligung der Mitglieder nimmt zu, etwa bei Generalversammlungen. In den Anfangsjahren haben wir uns auf den Aufbau des Betriebs konzentriert, heute bemühen wir uns sehr um eine breite und aktive Mitbestimmung durch die Mitglieder.

AV: Wobei die Erfahrung zeigt, dass das Interesse größer ist, wenn es konkrete Themen gibt, die besprochen werden.

XK: Ein gutes Beispiel ist die Smart Fee, die wir dieses Jahr erhöht haben, um die Leistungen der Genossenschaft auch in Zukunft anbieten zu können und nicht mehr von der bereits angesprochenen Anschubfinanzierung abhängig zu sein.

Eine Gebührenerhöhung ist für User*innen ein sensibles Thema. Wir haben uns dafür entschieden, die Hintergründe, die Lage und die Handlungsoptionen möglichst breit und öffentlich zu kommunizieren. Bei zwei offenen Diskussionsforen waren alle dazu eingeladen, direkt mit der Geschäftsführung und mit uns ins Gespräch zu kommen. Dabei konnten wir viele Fragen klären. Für die Abstimmung bei der Generalversammlung haben wir drei unterschiedlich hohe Sätze vorgeschlagen. Beschlossen wurde dann nicht der Minimalsatz, sondern der mittlere Satz von 10%. Das war für uns wirklich erfreulich und eine Bestätigung unserer Arbeit, denn es auch anders hätte ausgehen können. Seit der aktuelle Satz verrechnet wird, gab es lediglich eine kritische Rückmeldung. Wir führen das auf unseren transparenten Umgang mit der Thematik zurück: warum ist die Änderung notwendig und was machen wir mit den zusätzlichen Mitteln.

AV: Den Nutzer*innen zu kommunizieren, dass die Erhöhung notwendig war, um weiterhin eine gute Beratung sicherzustellen, war sehr wichtig. Für die Genossenschaft war der Prozess eine Art Belastungsprobe, mit einem sehr positiven Ergebnis.

GsR: Vermutlich wird die Beratung in Zeiten wie der aktuellen COVID-Pandemie auch verstärkt nachgefragt?

XK: Ja, was die Pandemie betrifft gibt es mehrere Aspekte. Zunächst konnten User*innen, die im Frühjahr 2020 gerade bei uns angestellt waren, in Kurzarbeit gehen, diese Möglichkeit hätten sie andernfalls nicht gehabt. Das hat einigen sehr geholfen. Andere User*innen hatten Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, weil sie vorher bei Smart angestellt waren. Natürlich sind wir in den Fällen, in denen die Ausfallshaftung schlagend wurde, eingesprungen. Wir haben vielfach bessere Stornobedingungen ausverhandelt. Hier ist es für die einzelnen Personen sehr erleichternd, vertragsrechtlichen Beistand zu haben. Und natürlich haben wir mit großem Einsatz informiert, beraten und unterstützt.

GsR: Sind Sie in dieser Zeit auch personell gewachsen bzw. mussten Sie das, aufgrund des gestiegenen Arbeitspensums?

AV: Nein, wir hatten wirklich Glück. Knapp vor dem ersten Lockdown wurden erste Digitalisierungsschritte im Unternehmen durchgeführt, was uns viele Mühen und Probleme während der Pandemie erspart hat. Beispielsweise wurden viele ursprünglich ‚manuelle‘ Arbeitsabläufe automatisiert. Unser Ansatz war, nicht personell zu wachsen, sondern mit dem bestehenden Team durch die Krise zu kommen.

GsR: Haben die Veränderungen, die durch die Pandemie vorgenommen wurden, noch andere Auswirkungen auf die Smart Genossenschaft?

AV: Ja, die verstärkte Nutzung von Videokonferenzen hat dazu geführt, dass wir uns mehr mit den anderen europäischen Smart Büros austauschen. Im Fokus steht der Erfahrungsaustausch etwa hinsichtlich Digitalisierungsbemühungen. Diese Kontakte, bspw. zu Smart in Deutschland oder Italien, sind sehr bereichernd und wertvoll. Außerdem gibt es oft grenzüberschreitende Fälle unserer User*innen, die mit anderen Smart Büros abgestimmt werden.

GsR: Welche Vorteile sehen Sie in der Genossenschaft als Rechtsform für Smart?

XK: Zunächst wurde ein Verein gegründet, um die Idee zu promoten, allerdings ist die Genossenschaft als Wirtschaftsform besser geeignet, daher war sie der nächste logische Schritt. Die demokratische und partizipative Ausrichtung der Genossenschaft entspricht unseren Vorstellungen. Sie soll nicht ökonomische Gewinne abwerfen, sondern möglichst praktikable Lösungen für Freelancer*innen anbieten – und dabei noch gemeinschaftlich selbstverwaltet sein. Das ist ein praxisorientiertes Gegenmodell zu allgegenwärtigen Prekarisierungstendenzen.

GsR: Was zeichnet die Smart Genossenschaft im Vergleich mit anderen Genossenschaften aus? Worin liegen ihre Stärken?

XK: Die Smart Genossenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass nicht nur ein kleiner Kreis von potenziellen Nutzer*innen angesprochen wird, sondern dass potenziell alle Freelancer*innen und freie Gewerbetreibende Mitglieder werden und die Leistungen der Genossenschaft nutzen können. Diese Breite und Ausrichtung sind denke ich einzigartig in Österreich.

GsR: Möchte die Smart Genossenschaft auch eine aktive Rolle als politisches Sprachrohr für die User*innen einnehmen?

XK: Grundsätzlich sind wir ein praktisches Tool. Wir haben hier eine andere Rolle als etwa Interessenvertretungen. Natürlich nehmen wir am Diskurs teil, da wir unsere User*innen beispielsweise über faire Bezahlung und andere arbeitsrechtliche Angelegenheiten zu informieren. In diesem Sinn leisten wir auch Bewusstseinsarbeit.

AV: Wir sehen das bei Smart Büros im Ausland: Inwieweit sie sich politisch engagieren, ist von einer „systemkritischen Masse“ abhängig. Wenn eine bestimmte Grenze überschritten wird und man für verschiedene Branchen eine wichtige Stimme darstellt, dann kann man sich bestimmten Diskussionen denke ich nicht entziehen. Dennoch verweisen wir immer auf die wichtige Advocacy-Arbeit von verschiedenen Interessensgemeinschaften.

GsR: Gibt es noch Ziele, die Sie sich für die Zukunft setzen?

XK: Die Verstärkung der Sichtbarkeit ist uns kurz- bis mittelfristig am wichtigsten. Das Wissen um diese praktische Lösung für Freelancer*innen muss sich definitiv noch verbreiten. Zusätzlich möchten wir das Community-Bewusstsein unserer User*innen stärken: Die Genossenschaft als Netzwerk ist eine wertvolle Ressource, und sie steht im gemeinschaftlichen Eigentum aller Mitglieder.

GsR: Wir wünschen Ihnen bei allen Aufgaben und Vorhaben viel Erfolg und freuen uns bereits darauf, die zukünftige Entwicklung der Smart Genossenschaft zu beobachten. Herzlichen Dank für das Gespräch!

AV & XK: Besten Dank für die Einladung!

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Das Interview führte: Gregor Rabong

Links

Link zur Website der Smart Coop Austria

Angela Vadori
Geschäftsführerin der Smart Coop Austria
Xenia Kopf
Mitarbeiterin Kommunikation der Smart Coop Austria

Das Forschungsinstitut für Kooperationen und Genossenschaften bedankt sich bei Angela Vadori (Geschäftsführerin der Smart Coop Austria) und Xenia Kopf (Mitarbeiterin der Kommunikationsabteilung).

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