Genossenschaftliche Weltreise: Spanien

06. März 2021

Der fünfte Stopp unserer genossenschaftlichen Weltreise führt uns nach Spanien. Seit mehr als 70 Jahren prägt die Mondragón Corporación Cooperativa (MCC) die spanische Genossenschaftslandschaft. In der Vergangenheit wie aktuell stellt die MCC in unsicheren wirtschaftlichen Zeiten ihre Beständigkeit für MitarbeiterInnen unter Beweis.

Lesezeit: 5 Minuten

Aus der Krise entstanden

Die MCC wurde 1956 im Baskenland gegründet, das während des spanischen Bürgerkriegs von Massenarbeitslosigkeit und Armut geprägt war. Diesen wirtschaftlichen und sozialen Problemlagen wollte der Priester Don Jose Maria Arizmendiarrieta, der heute als Gründungsvater der MCC gilt, mit Solidarität begegnen: Er regte fünf Ingenieure dazu an, eine Firma für Heizungsgeräte zu kaufen und diese fortan als MitarbeiterInnen-EigentümerInnen-Genossenschaft zu führen. Damit wurde die Belegschaft zu Genossenschaftsmitgliedern und zu EigentümerInnen des Unternehmens. Der gemeinsame wirtschaftliche Geschäftsbetrieb ist seitdem auf den Zweck der Förderung von MitarbeiterInnen ausgerichtet (MCC Website, o.J.).

Mondragón heute

Heute sind knapp 75% der Beschäftigten Genossenschaftsmitglieder (Stand 2019, MCC Report, 2020). Ein Unternehmen, das zu drei Vierteln im Eigentum von MitarbeiterInnen steht? Wer sich darunter ein kleines Familienunternehmen vorstellt, wird überrascht sein: Die Dachgenossenschaft ist von anfänglichen fünf auf über 80.000 Beschäftigte angewachsen und hat im Jahr 2019 über 12 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet (MCC Report, 2020). Die Mondragón Gruppe ist damit das siebtgrößte privatwirtschaftliche Unternehmen Spaniens, sowohl bezüglich der Belegschaft als auch bezüglich des Umsatzes. Teil der genossenschaftlichen Gruppe sind 120 Teilgenossenschaften in vier Sektoren: Finanzen (Banken und Versicherungen), Industrie (Automobil, Werkzeugmaschinen, Haushaltsgeräte und Elektronik), Vertrieb und Wissen (Grund-, Sekundär- und Hochschulbildung sowie 12 technische Schulen) (Etxcagibel et al., 2012).

Partizipatorische Unternehmensdemokratie

Heute können sich Beschäftigte mit einer Einlage beteiligen, die bei niedrigen Einkommen in Raten abbezahlt werden kann. In den Teilgenossenschaften bildet je die Generalversammlung der Mitglieder das oberste Organ, die wiederum den Vorstand wählt. In weiterer Folge entscheidet der Vorstand über die Führungspositionen im Unternehmen. Auf Ebene der Dachgenossenschaft gibt es eine Vollversammlung, die von 650 VertreterInnen der Teilgenossenschaften gebildet wird. Darüber hinaus wählen die Generalversammlungen je einen Sozialrat: Aufgrund der Größe und Komplexität der Unternehmensstruktur wurde so ein spezialisiertes Organ geschaffen, das Anliegen der Belegschaft an die Generalversammlung heranträgt (Cheney, 2002).

 

Kooperativ durch Krisenzeiten

Im Zuge des massiven Wachstums der MCC wurde die Gruppe trotz dieser formalisierten Prozesse für einen Abbau partizipativer Strukturen kritisiert (Etxcagibel et al., 2012; Flecha & Ngai, 2014). Nichtsdestotrotz zeichnet sich die Genossenschaft durch sichere  Arbeitsbedingungen aus, insbesondere in wirtschaftlich unsicheren Zeiten: Nach der Ölpreiskrise von 1973 zeigte sich in allen Teilgenossenschaften ein Anstieg der Beschäftigungsverhältnisse (Whyte & Whyte, 1991). In Folge der Finanzkrise 2008 stieg die Arbeitslosigkeit in Spanien auf über 25% an. Auch Fagor, eine Teilgenossenschaft und Unternehmen zur Herstellung von Haushaltsgeräten, meldete 2013 infolge bestehender Managementprobleme, die durch die Finanzkrise verstärkt wurden (Basterretxea et al., 2019; Errasti et al., 2017) Insolvenz an – fast 1.900 Beschäftigte verloren ihren Job. Jedoch fanden 600 von ihnen innerhalb eines halben Jahres in anderen Teilgenossenschaften, unterstützt durch die kooperativen Verhältnisse zwischen MCCs Unternehmen, wieder eine Anstellung. Darüber hinaus waren weitere MitarbeiterInnen durch Abfindungen und Vorruhestandsregelungen sozial abgesichert (Goodman, 2020).

Auch die Covid-19 Krise geht an Mondragón nicht spurlos vorüber. Wie für viele Unternehmen gehören Auftragsausfälle und stillstehende Produktionsanlagen zum Krisenalltag. Diese Situation wirkt sich auch auf die Belegschaft aus: Infolge der Umsatzausfälle wurden Gehaltskürzungen in Höhe von 5% beschlossen. Solch kurzfristige Einbußen werden jedoch akzeptiert, da die wirtschaftliche und soziale Förderung der Mitglieder in der Sicherung der Arbeitsverhältnisse gesehen wird. Die Belegschaft nimmt an der langfristigen Ausrichtung teil und kann auf eine Geschichte zurückblicken, die die Beständigkeit der ArbeiterInnen-EigentümerInnen Genossenschaft bestätigt. Die Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit und Solidarität drückt Antton Tomasena, CEO einer Teilgenossenschaft, so aus: „Wir haben die Philosophie, keine Leute zu entlassen“ (zit. nach Goodman, 2020).

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an andrea.vogler@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Autorin: Andrea Vogler

 

Literatur

Basterretxea, I., Heras‐Saizarbitoria, I., & Lertxundi, A. (2019). Can employee ownership and human resource management policies clash in worker cooperatives? Lessons from a defunct cooperative. Human Resource Management, 58(6), 585–601. doi.org/10.1002/hrm.21957

Cheney, G. (2002). Values at work: Employee participation meets market pressure at Mondragón (Updated ed). ILR Press/Cornell University Press.

Errasti, A., Bretos, I., & Nunez, A. (2017). The Viability of Cooperatives: The Fall of the Mondragon Cooperative Fagor. Review of Radical Political Economics, 49(2), 181–197. doi.org/10.1177/0486613416666533

Etxcagibel, J. A., Cheney, G., & Udaondo, A. (2012). Workers’ Participation in a Globalized Market: Reflections on and from Mondragon. In M. Atzeni (Ed.), Alternative Work Organizations. Palgrave Macmillan UK. doi.org/10.1057/9781137029041

Flecha, R., & Ngai, P. (2014). The challenge for Mondragon: Searching for the cooperative values in times of internationalization. Organization, 21(5), 666–682. doi.org/10.1177/1350508414537625

Goodman, P. S. (2020, December 29). Co-ops in Spain’s Basque Region Soften Capitalism’s Rough Edges. New York Times. www.nytimes.com/2020/12/29/business/cooperatives-basque-spain-economy.html

MCC Report. (2020). We Are Cooperation, Annual Report. www.mondragon-corporation.com/2019urtekotxostena/assets/downloads/eng/annual-report-2019.pdf

MCC Website. (o.J.). MCC History. Mondragón Corporación Cooperativa. www.mondragon-corporation.com/en/history/

Whyte, W. F., & Whyte, K. K. (1991). Making Mondragon: The growth and dynamics of the worker cooperative complex (2nd ed., rev). ILR Press.

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