Genossenschaften und digitale Plattformen

06. August 2022

Die zunehmende Marktmacht digitaler Plattformen stellt deren Nutzer*innen vor große Herausforderungen. Im Rahmen dieses Artikels wird diese Problematik skizziert und thematisiert, ob eine genossenschaftliche Kooperation hierfür eine Antwort liefern kann.

Lesezeit: 6 Minuten

Betrachtet man die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte, so ist die stark angestiegene weltweite Verflechtung zwischen den einzelnen Wirtschaftsakteuren ohne eine parallele Weiterentwicklung der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) undenkbar. Heute zählen Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf diesen Informations- und Kommunikationstechnologien basiert, gemäß ihrer Marktkapitalisierung zu den wertvollsten Unternehmen weltweit. Wesentlich ist dabei, dass ein Großteil dieser Unternehmen nicht die physische Infrastruktur betreibt, die für die Informationsübermittlung notwendig ist, sondern digitale Plattformen, auf denen Informationsübermittlung bzw. Kommunikation stattfindet. Digitale Plattformen agieren dabei als zentraler Informationsknotenpunkt des jeweiligen Netzwerks, was es den Akteuren erlaubt, Informationen effizient und zielführend miteinander auszutauschen.

Für erfolgreiche digitale Plattformen sind drei Effekte wesentlich

Für das Funktionieren dieser digitalen Plattformen sind dabei drei Effekte wesentlich: Netzwerk-, Skalen- und Feedbackeffekte.

Unter Netzwerkeffekt versteht man dabei, dass die Nutzung einer spezifischen Plattform für andere Akteur*innen umso attraktiver erscheint, je mehr andere Nutzer*innen sich bereits darauf befinden. So entsteht aus dem Netzwerkeffekt im besten Fall ein virtous circle, der die Plattform für weitere Nutzer*innen attraktiv erscheinen lässt und die Position dieser spezifischen Plattform immer weiter stärkt. Je stärker dieser Trend ist, desto höhere Kosten entstehen potentiellen Nutzer*innen, nicht auf der Plattform zu sein bzw. sie zu verlassen. Somit steigt die Marktmacht der Plattformbetreiber*innen, gegenüber den Plattformnutzer*innen.

Je größer die Plattform ist, desto mehr können steigende Skalenerträge generiert werden, da die variablen Kosten für einen weiteren Akteur sehr gering sind und die Fixkosten auf einen größeren Nutzer*innenkreis verteilt werden können. Dies führt dazu, dass die Profitabilität der einzelnen Plattform mit zunehmender Größe steigt.

Der Feedbackeffekt erlaubt es bestehenden Plattformen wiederum, das Agieren der Akteure mittels Big-Data-Auswertungen zu analysieren und so die Plattform dem jeweiligen Nutzer*inneninteressen immer weiter anzupassen, womit die Attraktivität der eigenen Plattform für die Nutzer*innen langfristig gesichert werden kann.

Mit Hilfe dieser drei Effekte, die für erfolgreich agierende digitale Plattform immanent sind, zielt die einzelne Plattform auf eine marktbeherrschende Stellung. Herausforder*innen haben es dabei schwer, da sie die bestehende Plattform sowohl was den Netzwerk-, den Skalen-, als auch den Feedbackeffekt betrifft, überbieten müssen bzw. ein Umfeld schaffen müssen, dass für die Plattformnutzer*innen wesentlich attraktiver erscheint, um sie für einen Wechsel zu einer Alternative zu motivieren. Somit verfügen die bestehenden, großen Plattformen über ein erhebliches Maß an Markt- bzw. Monopolmacht, was es ihnen erlaubt, hohe Wertschöpfungsgewinne auf sich zu vereinen. So verlangen etwa digitale Plattformen im Hotelbereich für die Nutzung ihres Informationsknotenpunktes bis zu 20% der über ihre Plattform gebuchten Übernachtungen; zu Lasten der einzelnen Hotels.

Genossenschaften als Antwort auf asymmetrische Machtbeziehungen?

So stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten Hotelbetreiber*innen, aber auch andere Akteure*innen haben, die mit asymmetrischen Machtstrukturen konfrontiert sind und hohe Umsatzanteile an Plattformbetreiber*innen abtreten, um einen höheren Wertschöpfungsanteil für sich zu lukrieren. Eine Möglichkeit um mit dieser Entwicklung umzugehen, ist sicherlich die Anpassung gesetzlicher Rahmenbedingungen an die Prinzipien der digitalen Ökonomie. Eine andere Möglichkeit könnte ein freiwilliger Zusammenschluss der betroffenen Akteure sein, um im Verbund ein wirtschaftlich tragfähiges Gegenmodell aufzubauen. Für dieses Unterfangen kann sich der genossenschaftliche Verbund anbieten, insbesondere da dadurch kein eigenständiges oder konkurrierendes Geschäftsmodell entwickelt wird, sondern gemäß des genossenschaftlichen Förderprinzips die Interessen der Mitglieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass dieser Ansatz im Umgang mit asymmetrische Strukturen nicht neu ist. So lassen sich etwa die Gründung der ersten modernen Genossenschaft, die Rochdaler Pioniere, aber auch die genossenschaftlichen Konzepte Raiffeisens und Schulze-Delitzschs als direkte Antworten auf asymmetrische Machtstrukturen zurückführen.

Aktuelle Entwicklungen im Bereich der digitalen Genossenschaften

Betrachtet man das aktuelle Geschehen rund um genossenschaftlich organisierte digitale Plattformen, sogenannten Daten- oder Plattformgenossenschaften, so sind drei verschiedene Entwicklungstypen auszumachen, die sich in Bezug auf ihren jeweiligen Fokus unterscheiden: autonomiebetonte, konkurrenzbetonte und wertschöpfungsbetonte Plattformgenossenschaften.

  1. Autonomiebetonte Plattformgenossenschaften fokussieren auf eine möglichst große Autonomie und Mitsprache ihrer Mitglieder in Hinblick auf Nutzung und Verwaltung der über die Plattform gesammelten Daten. Dies ist insbesondere im Gesundheitsbereich relevant, da hier sensible persönliche Daten gesammelt und ausgewertet werden. Durch das Förderprinzip, sowie Mitsprache- und Partizipationsmöglichkeiten kann so ein größeres Maß an Vertrauen aufgebaut werden, was für die Bereitschaft, sensible Daten zu teilen, wesentlich ist.

  2. Bei konkurrenzbetonten Plattformgenossenschaften steht die Entwicklung eines Geschäftsmodells im Vordergrund, das als direkte oder indirekte Konkurrenz zu bestehenden digitalen Plattformen fungieren soll. Um trotz der zuvor beschriebenen drei Effekte, die erfolgreichen digitalen Plattformen innewohnen, eine dauerhaft funktionstüchtige Alternative aufzubauen, sind genaue Kenntnis um das Agieren bzw. der Spezifika der digitalen Plattformen entscheidend.

  3. Als dritter Entwicklungstyp digitaler Genossenschaften lassen sich wertschöpfungsbetonte Plattformgenossenschaften bzw. genossenschaftlich organisierte B2B-(Business-to-Business-) Plattformen ausmachen, die die Datenströme zwischen Unternehmen innerhalb integrierter Wertschöpfungsketten regeln.

  4.  

Wie zukünftig mit den Möglichkeiten und Herausforderungen digitaler Plattformen umgegangen werden kann, wird derzeit diskutiert. Von regulatorischer Seite wurden mit dem Digital Markets Act und dem Digital Service Act der Europäischen Union wesentliche Maßnahmen gesetzt, die die Macht der großen digitalen Plattformen einschränken sollen. Die Frage, wie Wertschöpfungsgewinne in einem symmetrischeren Verhältnis unter den beteiligten Akteuren verteilt werden können, ohne dass dabei Effizienz und Effektivität der Plattformen eingeschränkt werden, bleibt jedoch offen. Ob und inwiefern sich hier genossenschaftliche Konzepte als Antwort anbieten können, ist Bestandteil aktueller Forschung.

Autor: Anselm Balk

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

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