Frauen und Genossenschaften

06. Juni 2020

Die wirtschaftliche Stellung von Frauen ist nach wie vor geprägt von Ungleichheiten und Benachteiligungen gegenüber Männern. Je nach dem, in welchem Teil der Welt man sich aufhält, fallen diese Benachteiligungen mehr oder weniger stark aus – das Spektrum reicht hierbei vom in unseren Breitengraden diskutierten „Gender-Pay-Gap“ bis hin zu der kompletten wirtschaftlichen Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern. Wie Genossenschaften Frauen zur Unabhängigkeit verhelfen können, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Lesezeit: 7 Minuten

Einleitung

„Es ist ein gemeinsamer Nenner der Entstehungsbedingungen von Genossenschaften, daß die Lebensbedingungen von Menschen, die zur Genossenschaftsgründung führen, als sozial schwierig oder konfliktträchtig zu charakterisieren sind.“ (Döse 1992, 248).

Dieses Argument für die Gründung von Genossenschaften lässt sich auch auf Zusammenschlüsse von Frauen anwenden. Genossenschaften haben nicht nur historisch gesehen zur Emanzipation der Frau beigetragen, sondern leisten auch heute noch einen wichtigen Beitrag zum „women‘s empowerment“. Neben einem kurzen historischen Überblick werden in diesem Beitrag zwei Genossenschaften vorgestellt, in welchen sich Frauen dem obigen Prinzip folgend zusammengefunden haben.

„Herstory“

„Prominente Unterstützung“ bekam die Frauenbeteiligung in Genossenschaften durch einen der Gründerväter der Genossenschaft, Hermann Schulze-Delitzsch, welcher in seiner Zeit als Obmann des „Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“ die Mitglieder dazu aufforderte, Frauen in Genossenschaften zuzulassen und willkommen zu heißen. Ludolf Parisuis sagte bereits 1867, er würde „sich nicht graulen, eine Volksbank unter weiblichem Scepter zu erblicken“ (Gallowsky 2018). Weitestgehend verhallten diese Rufe jedoch ungehört – in der Realität spielten Frauen im Wirtschaftsleben im Generellen und in Genossenschaften im Besonderen eine untergeordnete Rolle.

Der erste Weltkrieg änderte einiges. Frauen ersetzten nun in weiten Teilen der Wirtschaft die vom Heer einberufenen Männer, in den Genossenschaften traten sie die Nachfolge von im Krieg gefallenen Mitgliedern an (Gallowsky 2018). Mit dem Frauenwahlrecht 1918 wurde weiblichen Mitgliedern die Teilnahme an Generalversammlungen erlaubt.

In den 1950ern nahm die Entwicklung weiter an Fahrt auf. So wurden beispielsweise in Griechenland Frauengenossenschaften seit den 1950er-Jahren vermehrt gegründet (Döse 1992). In Deutschland wurde es Frauen durch das Gleichberechtigungsgesetz ermöglicht, ohne Einverständnis des Ehemanns einer Genossenschaft beizutreten (davor oblag ihm die Vermögensverwaltung der Frau – Männer konnten also den Eintritt ihrer Ehefrauen durch ihr de-facto „Veto-Recht“ durch Nicht-Bezahlung des Genossenschaftsbeitrags verhindern; Gallowsky 2018). Wiederum in Griechenland ist das Jahr 1983 speziell hervorzuheben: Um griechischen Bäuerinnen zu relativer ökonomischer Unabhängigkeit zu verhelfen, wurde eine staatliche Förderung für Frauengenossenschaften eingeführt. Damit sollte sowohl die regionale Entwicklung gefördert als auch zur gesellschaftlichen und familiären Emanzipation der Frauen beigetragen werden (Döse 1992).

1989 wurde mit der „Weiberwirtschaft“ in Berlin die erste, und heute vermutlich bekannteste, Frauengenossenschaft Deutschlands gegründet. “Gegenstand des Unternehmens ist die Gründung und der Betrieb eines Gewerbehofes, der etwa 40 Frauenunternehmen mit ca. 350 umweltfreundlichen und sozialverträglichen Arbeitsplätzen Raum bieten soll. Dieses Gründerinnenzentrum soll eine auf die spezifischen Probleme von Frauen zugeschnittene Infrastruktur anbieten, die Gründungs-, Unternehmens- und Finanzberatung, Weiterbildung und Entwicklung gemeinsamer Werbe- und Marketingstrategien, Umweltberatung und Kinderbetreuung umfaßt“ (Döse 1992, 247–48).

Für dieses durchdachte, auf die Bedürfnisse von Frauen angepasstes Konzept wurde die Genossenschaft bereits mehrfach ausgezeichnet (Bollwahn 2008). Frauengenossenschaften (also Genossenschaften, in welchen nur Frauen, Frauenvereine und/oder Frauenbetriebe Mitglieder sind; Mändle und Swoboda 1992) sind im deutschsprachigen Raum bis heute eher eine Seltenheit. Richtet man die Aufmerksamkeit jedoch auf Schwellen- und Entwicklungsländer, ändert sich dieses Bild.

Frauen und Genossenschaften heute: Beispiele

Hijas del Mar

In Mexico findet sich eine Frauengenossenschaft mit dem klingenden Namen „Hijas del Mar“, zu Deutsch „Töchter des Meeres“. Im Jahr 2001 hat eine Gruppe von Frauen mit dem Verkauf von Eis am Stiel und „Tamale“ (einem traditionellen zentralamerikanischen Gericht) im kleinen Rahmen begonnen, eine Geschäftstätigkeit aufzubauen. Innerhalb von zehn Jahren haben die Frauen es geschafft, ein erfolgreiches Unternehmen rund um den Verkauf von tropischen Fischen und anderen Meeresprodukten in die ganze Welt aufzubauen – und das mit geringem Bildungslevel und noch weniger Geschäftserfahrung (Peterson 2014). Andere Betriebe, welche zu einem vergleichbaren Zeitpunkt und unter ähnlichen wirtschaftlichen Verhältnissen gegründet werden, waren in diesem Zeitraum weitaus weniger erfolgreich. Peterson (2014) zufolge, sind hierfür zwei Gründe hauptverantwortlich:

Zum einen die geschickte Fördermittelpolitik der Frauen und zum anderen die Entscheidung das Unternehmen genossenschaftlich zu führen. Vor allem zu Beginn wurden die erwirtschafteten Gewinne beinahe zur Gänze wieder in die Genossenschaft reinvestiert, was den Gründerinnen zunächst ein minimales eigenes Einkommen bescherte, für den letztendlichen Erfolg der Kooperative jedoch maßgeblich war. Die Investitionen ermöglichten verschiedenste Anschaffungen, welche wesentlich zur Unabhängigkeit von Förderungen und anderen Familienmitgliedern, welche anfangs oftmals als „Kreditgeber“ fungierten, beigetragen haben.

Die Struktur der Genossenschaft ermöglicht eine ausgewogene Balance zwischen organisatorischem Gerüst und Flexibilität, was den Hijas erlaubt, die Grenze zwischen formeller und informeller Arbeit weicher zu gestalten und sich fließend zwischen diesen zu bewegen. Die Arbeit an den diversen Projekten wird häufig durch die Zeitpläne der Familien bestimmt: wenn die Kinder von der Schule oder die Fischer/innen von ihren Booten zurückkehren, kehren einige der Frauen nach Hause zurück, um zu kochen, während die anderen weiterarbeiten. In ähnlicher Weise finden auch einige Treffen und Projektvorbereitungen immer noch in den Küchen der Mitglieder statt, obwohl mittlerweile eine eigene Werkstatt gebaut wurde. Ältere Kinder helfen hierbei oft mit, indem sie Besorgungen erledigen oder direkt am Betrieb mitwirken. Bezüglich der Finanzen ist die Buchführung der Genossenschaft und der Haushalte jedoch strikt getrennt; diese Trennung wird von allen Mitgliedern respektiert. Über die Finanzen hinaus ist die Grenze zwischen Genossenschaft und Familie jedoch oft verschwommen (ibidem).

Nicht nur, weil die Fischerei als typische Männerdomäne gilt, stellen die Hijas traditionelle Rollenbilder und Arbeitsaufteilungen in Frage. Das bringt den Frauen in der Community nicht nur Bewunderung, sondern auch einiges an Kritik und Häme ein. Interessanterweise würde sich jedoch keine der Hijas als Vorkämpferin für einen Wandel in Geschlechterrollen wahrnehmen. Für sie ist ihr kooperatives Handeln vor allem ein konkreter, praktischer Weg, zu einem eigenen Einkommen, unabhängig von Ehemännern oder Familie, zu gelangen. Der langfristige Wandel der Geschlechterrollen und damit verknüpften Erwartungen ist sozusagen eine „Begleiterscheinung“ ihres Tuns (ibidem).

Shri Mahila Griha Udyog Lijjat Papad

Das nächste Fallbeispiel verschlägt uns nach Indien. Die Genossenschaft „Shri Mahila Griha Udyog Lijjat Papad“, allgemein als „Lijjat“ bekannt, besteht bereits seit 1959 und bietet seither vor allem Frauen in urbanen Gebieten Möglichkeiten, selbstständig zu arbeiten (Datta und Gailey 2012). Das Produkt, um welches sich alles in der Genossenschaft dreht, ist „Papadam“ – eine Art dünnes, knuspriges Fladenbrot aus Linsenmehl. Der Snack erfreut sich mittlerweile nicht mehr nur in Indien großer Beliebtheit, sondern wird international gerne verzehrt.

Die Genossenschaft ist als Produktivgenossenschaft organisiert. Anteile an der Genossenschaft sind also auf die arbeitenden Mitglieder (die sogenannten „Lijjat Schwestern“) beschränkt. Im Gegensatz zu vielen Frauenkooperativen in Indien wurde Lijjat ohne staatliche Unterstützung gegründet. Die Schwestern sind in der Regel Frauen ohne Ausbildung aus armen Verhältnissen bis hin zur unteren Mittelschicht. Mitglied kann jede Frau werden, unabhängig von Klasse, Kaste oder Religion. Die einzige Voraussetzung ist die Bereitschaft zu arbeiten, sowie die Unterzeichnung eines Versprechens, die Grundprinzipien der Organisation zu achten (Datta und Gailey 2012). Da die Genossenschaft mit rund 42 000 Frauen eine beträchtliche Größe erreicht hat, werden mittlerweile auch einige wenige Angestellte, sowohl Männer als auch Frauen, beschäftigt. Sie arbeiten in verschiedenen Rollen, wie z.B. in der Buchhaltung oder als Verwaltungsangestellte. Diese Mitarbeiter haben keine Eigentumsrechte (ibidem). Trotz ihrer Größe basiert die Entscheidungsfindung in der Organisation auf Konsens. Die Gesamtleitung von Lijjat ist 21 Mitgliedern anvertraut, von denen sechs Schwestermitglieder sind, die für eine feste Amtszeit von drei Jahren gewählt werden.

Die indische Gesellschaft ist nach wie vor stark von patriarchalen Strukturen geprägt. Das Geschäftsmodell der Genossenschaft nimmt auf diesen Umstand Rücksicht, da es die Arbeit von zu Hause aus ermöglicht, dementsprechend haben die Ehemänner zumeist keine Einwände gegen diese Form der Erwerbstätigkeit. Zudem ist das Wissen um die Zubereitung von Papadam in Indien auch in ungebildeten Schichten weitverbreitet. Analphabetismus stellt demzufolge kein Hindernis für diese Form der Arbeit dar, was ansonsten einer der Hauptgründe für die Nicht-Anstellung von Frauen im formalen Sektor ist (ibidem). Die Genossenschaft stärkt die individuelle Wirtschaft der Mitglieder was dazu führt, dass die Mitglieder der Genossenschaft mehr verdienen als im individuellen Papadam-Verkauf.  Tatsächlich verdienen einige Mitglieder der Genossenschaft besser als ihre Ehemänner – ein nicht zu unterschätzender Aspekt, wenn es um das Selbstbewusstsein der Frauen geht, welches dadurch massiv gestärkt wird.

Im Gegensatz zu den Hijas del Mar deuten laut Datta und Gailey (2012) in der Lijjat-Genossenschaft mehrere Punkte auf eine dem Unternehmen zugrunde liegende feministische Ideologie hin. So wird auf den Terminus der „Schwestern“ viel Wert gelegt: Man versteht sich als unterstützendes Netzwerk, in welchem man sich durch schwierige Zeiten hindurch hilft. Es wird großer Wert auf flache Hierarchien gelegt, und zu guter Letzt stellt vor allem die Beschränkung der Mitgliedschaft auf Frauen ein klares Argument für eine feministische Ausrichtung dar. Zudem werden den Frauen eine Bandbreite an unterstützenden Dienstleistungen angeboten, angefangen von regelmäßigen Gesundheits-Checks bis zu Stipendien für die Kinder der Mitglieder (ibidem).

Conclusio

Es kann festgehalten werden, dass (Frauen-)Genossenschaften einen hilfreichen und wichtigen Beitrag zur Emanzipation von Frauen leisten konnten und können. Die präsentierten Beispiele zeigen einmal mehr, dass das Motto „Was eine(r) nicht schafft, das schaffen viele.“ auch in der heutigen Zeit nichts an Relevanz eingebüßt hat, sondern vielerorts eine einmalige Gelegenheit für Frauen darstellt, sich ein Stück weit von ihrer (männerdominierten) Umgebung unabhängig zu machen und ihnen so zu mehr Selbstbewusstsein zu verhelfen.

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an jana.stefan@wu.ac.at, gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Autorin: Jana Stefan

Literatur

Bollwahn, Barbara. 2008. Frauengenossenschaften - Genossenschaftsfrauen. Herausgegeben von Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e. V., taz Verlagsgenossenschaft eG, und Mitteldeutscher Genossenschaftsverband e. V. 1. Aufl. Berlin: taz Verlags- und Vertriebs GmbH.

Datta, Punita Bhatt, und Gailey, Robert. 2012. „Empowering Women Through Social Entrepreneurship: Case Study of a Women’s Cooperative in India“. Entrepreneurship Theory and Practice 36 (3): 569–87. doi.org/10.1111/j.1540-6520.2012.00505.x.

Döse, Annegret. 1992. „Genossenschaften in Europa — eine Perspektive für Frauen?“ Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen: ZögU /Journal for Public and Nonprofit Services 15 (3): 245–54.

Gallowsky, Silvia L. 2018. „‚Unter weiblichem Scepter‘“. Profil - Das bayrische Genossenschaftsblatt. März 2018. www.profil.bayern/03-2018/zeitgeschehen/unter-weiblichem-scepter/.

Mändle, Eduard, und Swoboda, Walterr, Hrsg. 1992. Genossenschaftslexikon. Wiesbaden: Deutscher Genossenschafts-Verlag eG.

Peterson, Nicole D. 2014. „“We Are Daughters of the Sea”: Strategies, Gender, and Empowerment in a Mexican Women’s Cooperative: We Are Daughters of the Sea“. The Journal of Latin American and Caribbean Anthropology 19 (1): 148–67. doi.org/10.1111/jlca.12064.

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