Die Rolle der Genossenschaft im neuen Regierungsprogramm

06. Februar 2020

Das Regierungsprogramm von Türkis-Grün beinhaltet ein klares Bekenntnis zur Stärkung der Genossenschaften in Österreich.

Lesezeit: 5 Minuten

Am 07. Jänner 2020 wurde die neue ÖVP-Grüne Regierung angelobt. Vielen Österreicher/inne/n ist bekannt, dass es sich dabei um die erste Regierungsbeteiligung der Grünen auf Bundesebene handelt. Weniger bekannt ist unter Umständen die Tatsache, dass die Genossenschaft im Regierungsprogramm explizit als zukunftsträchtige Unternehmensform angeführt wird und die Regierung sich zu ihrer Stärkung bekennt (Die neue Volkspartei und Die Grünen – Die Grüne Alternative 2020). Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Aufgabengebiete, in welchen Genossenschaften zukünftig vermehrt zum Einsatz kommen sollen.

„Nachhaltig“ und „krisenfest“ sind die beiden Schlagworte, mit denen Genossenschaften im Regierungsprogramm Eingang finden (Die neue Volkspartei und Die Grünen – Die Grüne Alternative 2020: 96). Folgende Punkte sollen durch den vermehrten Einsatz der Rechtsform der Genossenschaft erleichtert, beziehungsweise ermöglicht, werden:

  • die Unterstützung von Klein- und Mittelunternehmen (KMUs),

  • der Ausbau und Absicherung kommunaler Infrastruktur im ländlichen Raum,

  • der Ausbau der Versorgungssicherheit insbesondere in den Bereichen der Gesundheit, Pflege und Energie.

Um diese Ziele zu erreichen soll auch der steuerneutrale Rechtsformenwechsel von Vereinen zu Genossenschaften evaluiert werden. Nachfolgend werden besonders prominent im Regierungsprogramm vertretene Themen kurz umrissen.

Energie

Besonderes Augenmerk legt das Regierungsprogramm auf den Bereich der „Energie“. In Verbindung mit Genossenschaften werden hier „Erneuerbaren Energiegemeinschaften“ und „Bürgerenergiegemeinschaften“ als mögliche Lösungen für gegenwärtige und zukünftige Probleme genannt. Die Idee oder besser - das innovative Element - dieser Energiegemeinschaften ist, dass Energie-Endverbraucher/innen nicht (mehr) ausschließlich konsumieren, sondern Energie auch selbst produzieren und verkaufen können und sollen (Wien Energie o. J.). Die früheren Abnehmer/innen werden damit von „Consumern“ zu sogenannten „Prosumern“, welche beispielsweise mittels PV-Anlagen erneuerbare Energie erzeugen und anschließend entscheiden, ob sie sie verkaufen oder selbst verbrauchen wollen. Mithilfe neuester Blockchain-Technologien kann dies vollautomatisch über virtuelle Plattformen erfolgen (ibidem).

Die Stadt Wien ist bereits Vorreiterin dieser Technologie: Im Viertel Zwei, das am und um das Gelände der Trabrennbahn Krieau geschaffen wurden, hat Wien Energie die erste Energiegemeinschaft Österreichs gegründet. Die Funktionsweise des Energie-Handels sowie die sich daraus ergebenden Vorteile werden wie folgt beschrieben:

Die BewohnerInnen des VIERTEL ZWEI können den selbsterzeugten Sonnenstrom der PV-Anlage am Dach untereinander handeln. So wird der lokal erzeugte Strom je nach Bedarf aufgeteilt. Während ein Nachbar etwa drei Wochen auf Urlaub ist, kann er in dieser Zeit seinen Sonnenstrom-Anteil der Familie nebenan verkaufen. So verfällt der wertvolle Öko-Strom nicht, die Energie wird effizient und lokal genutzt. Außerdem können die NachbarInnen die nicht verbrauchten Kilowattstunden auch an der Strombörse verkaufen. Dafür kommt die Blockchain-Technologie zum Einsatz. In der Zukunft wird auch die Speicherung des Sonnenstroms in einem eigenen Quartierspeicher möglich sein. (Wien Energie o. J., o. S.)

Nach Evaluierung des Erfolges dieser Technologie sind österreichweit breite Anwendungsgebiete erschließbar. Den rechtlichen Rahmen solcher Energiegemeinschaften soll in Zukunft vermehrt die Genossenschaft bilden.

Unterstützung von KMUs ländlicher Regionen im Wettbewerb

Im Regierungsprogramm ebenfalls groß geschrieben wird die (Wieder-)Belebung ländlicher Gebiete. Neben gemeinsamen Projekten der Digitalisierung werden vor allem der Ausbau und die Absicherung der kommunalen Infrastruktur ländlicher Regionen „unter Einbeziehung von bürgerlichem Engagement“ angeführt (Die neue Volkspartei und Die Grünen – Die Grüne Alternative 2020: 96).

Genossenschaftlich organisierte Unternehmen, wie die Netzdienste Defereggen Genossenschaft [LINK], die bereits in einem früheren Blogbeitrag [LINK zum Beitrag] genauer unter die Lupe genommen wurde, ermöglichen den aktiven Einbezug der lokalen Bevölkerung und wirtschaften ökologisch und ökonomisch nachhaltig im Interesse der Region. Die Mitarbeit und die ökonomische wie emotionale Verbundenheit der regionalen Bevölkerung an Genossenschaften ist nicht nur möglich - für Gründerväter wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen sollte die Anteilnahme der Allgemeinheit aktiv gefördert werden. Aus diesem Grund ist es begrüßenswert zu lesen, dass sich die beiden Regierungsparteien darauf verständigt haben, die Rechtsform „Genossenschaft“ vermehrt als Organisationsform für Infrastrukturprojekte in ländlichen Gebieten ins Gespräch zu bringen.

Innovative Ideen sollen in Zukunft vermehrt genossenschaftlich organisiert werden um lokale Betriebe im Wettbewerb mit internationalen Konzernen zu stärken. Hier agieren genossenschaftliche Zusammenschlüsse gemäß dem Sprichwort „ Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.“.

In diesem Bereich wird auch eine regional ausgestaltete „Sharing Economy“ als Alternative zu den Angeboten internationaler Konzerne genannt. Das Konzept der Sharing Economy ist dem der Genossenschaft sehr ähnlich und die Grundidee dieselbe: Güter und/oder Infrastruktur werden gemeinschaftlich genutzt, in der Sharing Economy hat sich hierfür der Spruch „nutzen statt besitzen“ etabliert (Theurl u. a. 2015). Durch die bessere Auslastung langlebiger Güter soll die Sharing Economy zu einem nachhaltigen und ressourcenschonenden Wirtschaften beitragen, was einer zukunftsträchtigen Idee der Nutzung von Produkten entspricht.

Uber und Airbnb sind zwei international bekannte (wenn auch nicht unumstrittene) Unternehmen, die sich auf diese Art und Weise organisieren. Andere Beispiele sind regionale Leihrad-Unternehmen oder [Nachbarschafts-]Leih-Börsen.

Diese Beispiele illustrieren den wesentlichen Unterschied im Vergleich mit Genossenschaften, der in der Ausgestaltung der Eigentumsrechte liegt: In der Sharing Economy wird das individuelle Eigentum Anderer gemeinsam genutzt, in der Genossenschaft hingegen gehört das genossenschaftliche Eigentum hingegen den Mitgliedern der Genossenschaft und damit den Nutzern dieser Güter. Dies hat natürlich auch unmittelbaren Einfluss auf die Verteilung potenzieller Gewinne, die in der jeweiligen Organisationsform erzielt werden. Bei Genossenschaften fließen diese den nutzenden Eigentümer/inne/n zu. Im Falle der Sharing Economy fallen die Gewinne den Betreiber/inne/n der Plattformen zu, welche die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage organisieren. Dies führt zur Kritik, dass „[…] die Share Economy weniger zu einer Transformation des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems führen würde, sondern zu dessen Anpassung an die digitalen Rahmenbedingungen“ (Theurl u. a. 2015: 89).

Tatsächlich fehlt vielen Betrieben der Sharing-Economy aber (noch) eine entsprechende rechtliche Grundlage. Hier kann die eingetragene Genossenschaft mit einer ausformulierten Rechtsgrundlage aufwarten, die sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt hat (Theurl u. a. 2015).. Für viele (Sharing-)Projekte rückt die Rechtsform der Genossenschaft zunehmend in den Fokus.

Gesundheit und Pflege

In der Betreuung von Kindern, alten Menschen oder Menschen mit besonderen Bedürfnissen, sowie der Gesundheit, bieten genossenschaftliche Modelle völlig neue Lösungsansätze. Nicht umsonst sind Genossenschaftsneugründungen im Bereich Gesundheit, Pflege und Betreuung in vielen Ländern, wie beispielsweise Deutschland, im Aufschwung (Theuvsen 2017). Diese „Sozialgenossenschaften“ sind in den deutschsprachigen Ländern – im Gegensatz zu den romanischen Ländern – relativ neu (ibidem). Zu den Aufgabengebieten zählen unter anderem die „Versorgung von Menschen mit besonderen Bedarfs- und Lebenslagen bedingt beispielsweise durch das Alter, Krankheiten, körperliche/geistige Behinderungen, Arbeitslosigkeit ebenso wie um die nachhaltige Sicherstellung regionaler Sozial- und Daseins- sowie Nahversorgung vor allem in ländlichen Räumen“ (Göler von Ravensburg und Schmale 2016: 293 f. zitiert in Theuvsen 2017: 441).

Es ist anzunehmen, dass (Sozial-)Genossenschaften in Zukunft eine größere Rolle im sogenannten „Welfare Mix“ spielen werden. Der demographische Wandel ist vor allem in ländlichen Gebieten eine große Herausforderung, da es hier an Betreuungseinrichtungen und notwendiger Infrastruktur für die Betreuung von Kindern häufig fehlt.

Ausblick

Es lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die Vorteile der Genossenschaftsform auch von der Politik (wieder-)entdeckt werden und sie in Zukunft maßgeblich zur Bewältigung verschiedenster Herausforderungen, die mitunter einen hohen regionalen Anspruch haben, beitragen soll. Mit den eingangs erwähnten rechtlichen Vereinfachungen wird die Umwidmung in eine Genossenschaft einfacher, was zu einem Anstieg der genossenschaftlich organisierten Unternehmen führen könnte.

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen zum Thema oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an jana.stefan@wu.ac.at, gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Autor/inn/en: Jana Stefan und Gregor Rabong

Literaturverzeichnis

Die neue Volkspartei, und Die Grünen – Die Grüne Alternative. 2020. „Aus Verantwortung für Österreich. Regierungsprogramm 2020 – 2024“.

Theurl, Theresia, Justus Haucap, Vera Demary, Birger P. Priddat, und Niko Paech. 2015. „Ökonomie des Teilens — nachhaltig und innovativ?“ Wirtschaftsdienst 95 (2): 87–105. doi.org/10.1007/s10273-015-1785-z.

Theuvsen, Ludwig, Hrsg. 2017. Nonprofit-Organisationen und Nachhaltigkeit. Gabler research. NPO-Management. Wiesbaden: Springer Gabler.

Wien Energie. o. J. „Energiegemeinschaften als neue Stromakteure der Zukunft“. Wien Energie Positionen. Zugegriffen 20. Januar 2020a. positionen.wienenergie.at/beitraege/energiegemeinschaften/.

Wien Energie. o. J. „Viertel Zwei“. Wien Energie Positionen. Zugegriffen 20. Januar 2020b. positionen.wienenergie.at/beitraege/viertel-zwei/.

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