Die Netzdienste Defereggen Genossenschaft

06. August 2019

„Kein Bedarf“ der großen Anbieter als Chance für lokale, genossenschaftliche Leistungserbringung

Lesezeit: 7-10 Minuten

Vielfach dient die Rechtsform der Genossenschaft als institutioneller Rahmen für Projekte von Bürger/inne/n, die mit ihren gemeinsamen Bemühungen einen Mehrwert für ganze Regionen erbringen. Die Netzdienste Defereggen Genossenschaft, die im diesmonatigen Beitrag vorgestellt wird, dient als Musterbeispiel dafür, dass genossenschaftliche Zusammenschlüsse selbst zur Umsetzung vermeintlicher Hochrisikoprojekte geeignet sind, wenn Informationsasymmetrien zugunsten der lokalen Akteure genutzt werden. Mag. Markus Kleinlercher, Vorstandsmitglied der Netzdienste Defereggen Genossenschaft, gab „Geno schafft“ praxisnahe Einblicke in die Chancen, Hürden und Erfolgserlebnisse des regionalen Telekommunikationsanbieters.

„Geno schafft“-Redaktion: Vielen Dank für Ihre Bereitschaft, das Gespräch mit uns zu führen, Herr Kleinlercher. Ich darf Sie bitten das Unternehmen kurz vorzustellen und zu beschreiben, wie Sie zu der Defereggen Netzdienste Genossenschaft gekommen sind und in welcher Position Sie dort stehen.

Hr. Kleinlercher: Anlass für die Gründung war der, dass es im gesamten Tal kein Breitbandinternet gab. Im Jahr 2003 wurde eine Bedarfsprüfung durch die Telekom Austria durchgeführt, wo man zu dem Entschluss kam, dass der Ausbau des Netzes im Defereggental nicht interessant wäre. Natürlich war es auch das Risiko der Investitionen, das die größeren Anbieter abgeschreckt hat. Diejenigen, die davon überzeugt waren, dass es dafür Bedarf gibt, haben sich dann zusammengetan und gesagt: "Wir kümmern uns selbst um die Bereitstellung des Breitbandinternets im Tal".
Ich war dann eigentlich von Beginn an eine der treibenden Kräfte da ich schon länger bei der Elektrowerkgenossenschaft Hopfgarten, die sich ebenfalls im Tal befindet, Geschäftsführer bin. Diese Elektrowerkgenossenschaft hat bereits damals lokales Kabelfernsehen in einem unserer Dörfer, Hopfgarten, anboten. Dieses Angebot gab es schon seit 1989/1990. Vom Talinneren, von St. Jakob, kam dann die Anfrage, ob es nicht möglich wäre, das Kabelfernsehen auf das ganze Tal auszubauen und dazu auch noch Internet anzubieten. Vorgespräche zu dieser Idee fanden im Jahr 2004 statt. Als die Idee bereits konkreter wurde, habe ich bei den Betrieben (speziell bei den größeren Tourismusbetrieben) angefragt, ob Interesse besteht, dieses Projekt umzusetzen. Dabei hat sich dann herausgestellt, dass die Idee von den Betrieben befürwortet wird.

„Geno schafft“-Redaktion: Wie kam es dazu, dass sie sich auf eine Gründung als Genossenschaft geeinigt haben?

Hr. Kleinlercher: Zum Zeitpunkt der Gründung war uns bereits klar, dass diese Unternehmung eine relativ hohe Summe an Kapital benötigen wird. Dabei war uns auch bewusst, dass anfangs mit Verlusten aufgrund der Bauarbeiten zu rechnen ist. Warum wir uns dann für die Rechtsform der Genossenschaft entschlossen haben, ist darauf zurückzuführen, dass entsprechend viel Risikokapital gebraucht wurde, um die Leitungen zu vergraben. Aus diesem Grund hätte es aber auch wenig Sinn gemacht, möglichen Privatpersonen eine Mitgliedschaft zu ermöglichen, die ohnehin kein Kapital in die Genossenschaft einbringen können. Das Geld für diese Investition und der verhältnismäßig lange Planungshorizont der Unternehmung führten dazu, dass als Eigentümer bereits etablierte Unternehmen auftraten. Als Hauptbetreiber und Mitglieder haben sich deshalb die Lichtgenossenschaft St.Jakob, die Raiffeisenbank Defereggental und die Elektrowerkgenossenschaft Hopfgarten zusammengetan, die seit der Gründung im September 2004 als "Trägergenossenschaften" fungieren.

„Geno schafft“-Redaktion: Gibt es denn noch andere Mitglieder?

Hr. Kleinlercher: Ja, sechs natürliche Personen, von welchen jeweils drei den Aufsichtsrat und den Vorstand bekleiden, sind ebenfalls Mitglieder der Genossenschaft. Wir haben uns bewusst klein gehalten, weil wir keine große und aufwendige Verwaltung wollten, da wir auch der Meinung sind, dass wir schnelle und gute Entscheidungen so einfacher treffen können. In den Trägergenossenschaften hatten wir Beispiele von Mitgliedern, die sich nicht wirklich für den Betrieb interessieren, das wollten wir bei der Netzdienste Defereggen Genossenschaft verhindern.

„Geno schafft“-Redaktion: War diese Rolle als Eigentümer einer neuen Genossenschaft für die Trägergenossenschaften von Anfang an unproblematisch?

Hr. Kleinlercher: Ja, denn wir haben zum einen Erfahrung damit, längerfristig zu denken und zu planen, zum anderen haben wir natürlich auch Erfahrung damit, genossenschaftlich zu agieren. Für die Raiffeisenbank war es vielleicht noch die größte Umstellung, da sie im täglichen Bankgeschäft eher nicht mit einem so langen Planungshorizont von 15-20 Jahren plant. Aber auch dort war der Geschäftsführer, der Proponent, sehr stark für die Umsetzung des Projekts der "Netzdienste Defereggental Genossenschaft". Aufgrund dessen, dass wir mit den Trägergenossenschaften bereits etablierte Unternehmen und viel Expertise in diesem Bereich an unserer Seite wussten, konnte bereits kurz nach der Gründung mit den Arbeiten am Netz angefangen werden. Nicht einmal ein ganzes Jahr nachdem die ersten Vorgespräche geführt wurden, das heißt in 2005, wurde bereits die Verbindung zum Kabelnetz in St. Jakob hergestellt, das damals zwar schon vorhanden war, aber in den vorangegangenen 10 Jahren nicht genutzt wurde.

„Geno schafft“-Redaktion: Welche Gebiete werden heute mit Breitbandinternet, Fernsehen und Festnetztelefonverbindung versorgt?

Hr. Kleinlercher: Die Gemeinden Hopfgarten, St. Veit und St. Jakob werden allesamt mit Lichtwelle (Glasfaserkabel) versorgt. Es gibt aber auch Abstecher in weniger dicht besiedelte Gebiete in diesen Gemeinden. In die einzelnen Häuser führen von der Hauptleitung aus Koaxialkabel (Anmerkung der Redaktion: das sind jene Telefonleitungen,die man am häufigsten in Häusern und Wohungen in Österreich vorfindet), mit Ausnahme der Raiffeisenbank Defereggental, die auch ins Haus eine Glasfaserleitung gelegt hat. Dieses Netz wurde größtenteils noch im Jahr 2005 fertiggestellt.

„Geno schafft“-Redaktion: Worin besteht der Förderauftrag der Genossenschaft?

Hr. Kleinlercher: In der Satzung festgeschrieben stehen viele unterschiedliche Förderzwecke, die sich zu einem großen Teil mit dem Serviceangebot gegenüber unseren Kund/inn/en decken. Zunächst einmal ging es darum, möglichst kostengünstig Internet bereitzustellen. Technisch ist dieses Netz zudem auf einem sehr hohen Level. Beispielsweise versorgen wir aktuell schon einen Abnehmer mit 200 Megabit Downloadrate pro Sekunde, 400 Mbit/Sekunde könnten wir problemlos stemmen. Zum Vergleich: gängige Pakete verfügen meist über eine Downloadrate von 30 Mbit/Sekunde und eine Uploadrate von 3 Mbit/Sekunde.

Aber mittlerweile ist ja nicht nur das Internet, sondern auch das Kabelfernsehen, mit dem wir im Speziellen auch die Gastbetriebe der Region mit einem günstigen Angebot versorgen. Und damit sind wir auch sehr erfolgreich. Aktuell sind bis auf eine/n erreichbare/n Vermieter/in alle Gastbetriebe im Tal bei uns Kund/inn/en. Zusätzlich zu den Telekommunikationsdienstleistungen fallen gemäß Satzung auch der Betrieb einer Internetplattform für die Region Defereggental und der Betrieb eines eigenen lokalen Fernsehsenders in unseren Aufgabenbereich.

„Geno schafft“-Redaktion: Das heißt aber auch, dass Sie sich als Konkurrenz zu den großen Telekommunikationsunternehmen sehen, oder wie kann man Ihre Wettbewerbssituation einschätzen?

Hr. Kleinlercher: Eigentlich nicht, weil zum damaligen Zeitpunkt (2004) hat es außer der Telekom keine Konkurrenz gegeben, und diese hat nichts getan. Als wir uns dann bei der RTR (Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH) angemeldet haben, was ein notwendiger Schritt gewesen ist, hat das die Telekom natürlich mitbekommen. Diese hat dann kurzerhand doch auch ein Angebot für die Region bereitgestellt, allerdings sind mittlerweile nahezu alle Personen und Betriebe, die damals zur Telekom gewechselt sind auch bei uns Kund/inn/en. Beim Internet sehen wir uns insbesondere deshalb nicht als direkte Konkurrenz zur Telekom, weil wir beim Festnetzinternet sehr leistungsstark sind, während die Telekom vor allem mit dem mobilen Netz punktet. Es gibt im Tal aber nach wie vor Bereiche, in denen der mobile Empfang schlichtweg nicht gut ist. Die Stärken unseres Kabelnetzes, also stabile Übertragungsraten und gleichbleibende Qualität des Netzes, werden von den Kund/inn/en anerkannt. Dadurch ist auch die Wechselwilligkeit sehr gering: maximal eine Person in zwei Jahren verlässt die Genossenschaft als Kunde / Kundin.

„Geno schafft“-Redaktion: Spielen Innovationen und technische Neuerungen für die Netzdienste Genossenschaft Defereggen eine große Rolle?

Hr. Kleinlercher: Wie ich vorher bereits angesprochen habe, sind wir technologisch bereits aktuell auf einem relativ hohen Niveau. Nichtsdestotrotz setzen wir uns natürlich laufend mit Neuerungen im Telekommunikationsbereich auseinander. Alle paar Jahre werden höhere Download- und Uploadraten nachgefragt. Mit den aktuell verlegten Kabeln können wir theoretisch noch Übertragungsraten bis 600 Mbit/Sekunde liefern, bis 400 Mbit/Sekunde wurde das Netz bisher getestet. Punktuell wird auch laufend in bestimmten Gebieten nachgebessert, um dann auch in den Gigabit-Bereich (entspricht 1000 Mbit/Sekunde) aufsteigen zu können, sobald er nachgefragt wird. Generell ist jedes Kabel, das bei uns verlegt wurde, in Schläuchen untergebracht, was auch einen Tausch der Kabel im Bedarfsfall erleichtert. Aber auch mit den Koaxialkabeln sind Übertragungsraten im Gigabit-Bereich möglich.

„Geno schafft“-Redaktion: Hat die Netzdienste Genossenschaft Defereggen aufgrund ihrer geringeren Größe im Vergleich zu den großen Telekommunikationsdienstleistern Österreichs einen Vorteil hinsichtlich der Umsetzung innovativer Technologien?

Hr. Kleinlercher: Wenn Neuerungen notwendig werden, dann kann man bei uns in relativ kurzer Zeit viel erreichen. Noch dazu erleichtern die bereits verlegten Schläuche der früheren Arbeiten jeden Umstieg auf neue Kabel.

„Geno schafft“-Redaktion: Wie wird die Genossenschaft von den Bewohner/inne/n der Region wahrgenommen? Gibt es einen Mehrwert für die Region, der über jene Leistungen, die ein üblicher Telekommunikationsanbieter anbietet, hinausgeht?

Hr. Kleinlercher: Auf die Schnelle sind es vier unserer Angebote, die mir einfallen, die einen unbestreitbaren Mehrwert für die Bewohner/inn/en der Region liefern:

  • Der taleigene Infokanal, der über das Kabelnetz zu empfangen ist, liefert den Einwohner/inne/n täglich Informationen zu kommenden und vergangenen Veranstaltungen, beispielsweise auch mit Fotos der Veranstaltung. Zudem werden auch Informationen der Gemeinde und zum Beispiel die Gottesdienstordnung über den Kanal übertragen. Betriebe der Region können über den Kanal zudem Werbung machen. Dieses Angebot wird gut genutzt um sowohl Imagewerbung als auch konkrete, produkt- und dienstleistungsbezogene Werbung zu schalten.

  • Zum zweiten gibt es in unserem Schigebiet Kameras, die über die Wind- und Schneeverhältnisse sowie Temperatur Auskunft geben. Dieses Angebot wird von Schiläufer/inne/n, Bergführer/inne/n und Wanderern genutzt.

  • Über defereggental.eu kann man die örtliche Website aufrufen, die ebenfalls von uns betreut wird. Diese Homepage wird täglich gewartet.

  • Nicht zu vergessen sind wir auch Postpartner, was wiederum den Anwohnern zugutekommt.

Es ist meines Erachtens also gelungen, mit täglichen Updates die verschiedenen Kanäle frisch zu halten, um sicherzustellen, dass die Leute häufig nachschauen, ob es etwas Neues gibt. Dadurch sind wir sicherlich mehr als nur ein Telekomanbieter. Das zeigt sich meiner Meinung nach auch darin, dass sich die Marke "Defnet" als Synonym für viele Leistungen der Genossenschaft etabliert hat, die es zum Teil in dieser Form gar nicht mehr gibt. Beispielsweise haben wir vor einigen Jahren einmal eine Sammeltaxihotline über die Website der Genossenschaft eingerichtet. Innerhalb kürzester Zeit sprachen die Anwohner/innen davon, dass sie sich ein "Defnet", also ein Sammeltaxi rufen. Mittlerweile wird dieser Dienst zwar vom Verkehrsverbund Tirol angeboten, dennoch trifft man immer noch Leute im Tal, die davon sprechen, dass sie sich ein "Defnet" rufen, wenn sie ein Taxi bestellen.

„Geno schafft“-Redaktion: Die Arbeit in und für die Genossenschaft führt mit Sicherheit auch dazu, dass sie Arbeitsplätze in der Region schaffen?

Hr. Kleinlercher: Wir haben aktuell drei Frauen und Männer angestellt. Zwei Kolleginnen kümmern sich in St. Jakob um die Betreuung der Kund/inn/en und Werbung sowie zusätzlich um die Aufgaben, die mit der Postpartnerschaft übernommen wurden.

Der dritte Mitarbeiter ist Geschäftsführer und Techniker in Personalunion und wurde 2014 eingestellt. Mit ihm ist es gelungen noch einmal zusätzlichen Auftrieb in der Kund/inn/enakquise zu erhalten. Da er eher aus dem technischen Bereich kommt, ist er auch sehr daran interessiert, dass wir technisch auf dem vordersten Stand sind. Die Anstellung dieses Kollegen hat sich darüber hinaus sehr positiv auf unsere finanzielle Performance ausgewirkt: von 2004 bis einschließlich 2014 hat die Netzdienste Genossenschaft eigentlich immer einen Verlust gemacht. Seit 2015 erzielen wir jährlich ein Plus. Die Schulden, die mit den anfänglichen Investitionen entstanden sind, können wir nun schneller abbauen als gedacht.

„Geno schafft“-Redaktion: Wie bewerten Sie generell die ökonomische Situation der Genossenschaft?

Hr. Kleinlercher: Aus wirtschaftlicher Sicht geht es uns, wie eben skizziert, aktuell relativ gut. Wir haben 2004 einen Kredit von 580.000€ aufgenommen, den wir in etwa sechs Jahren zurückgezahlt haben werden. Falls nach der Rückzahlung wieder eine größere Investition anfällt, wäre sie ab diesem Zeitpunkt wieder leichter umzusetzen. Aus aktueller Sicht sind wir auf einem guten Weg und auf sicheren finanziellen Beinen aufgestellt.

„Geno schafft“-Redaktion: Gibt es mittel- bis langfristige Ziele, die die Netzdienste Genossenschaft Defereggen erreichen möchte?

Hr. Kleinlercher: Für mich wäre es die größte Genugtuung, wenn die Genossenschaft mit meinem Pensionsantritt, der in sechs Jahren erfolgen wird, schuldenfrei ist und ich dieses Projekt, das wir vor ca. 15 Jahren begonnen haben, dann ohne Altlasten übergeben kann. Als Ziel bleibt auch der Wunsch, technisch immer auf der Höhe zu sein, und bei technischen Neuerungen immer eine Rolle zu spielen und unseren Kund/inn/en immer ein tolles Angebot liefern zu können. Dadurch, dass unser Techniker und Geschäftsführer erst 30 Jahre alt ist, sehe ich uns auch in dieser Hinsicht gut gerüstet für die Zukunft. Zudem wissen auch die drei Trägergenossenschaften, was sie mit der Netzdienste Genossenschaft aufgebaut haben, weshalb ich davon ausgehe, dass sich diese Akteure weiterhin gegenseitig unterstützen werden.

„Geno schafft“-Redaktion: Im Namen unseres Forschungsinstitutes wünsche ich Ihnen und der Netzdienste Genossenschaft Defereggen alles Gute für die Zukunft. Ich bedanke mich herzlich für das informative Gespräch.

Hr. Kleinlercher: Gerne.

Das Interview wurde aufgezeichnet am 23.07.2019.

Bei Anmerkungen, weiterführenden Informationen zum Thema oder Anfragen zu einer Zusammenarbeit wenden Sie sich bitte an gregor.rabong@wu.ac.at oder ricc@wu.ac.at.

Interviewpartner: Mag. Markus Kleinlercher, Geschäftsführer der Elektrowerkgenossenschaft Hopfgarten und Vorstandsmitglied der Netzdienste Defereggen Genossenschaft.

Interviewer: Gregor Rabong

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