Kurzarbeit: Überschreitung des vereinbarten Arbeitszeitausmaßes möglich?

14. April 2021

Susanne Auer-Mayer, stellvertretende Institutsvorständin und Professorin am Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht

Nicole L.: Kann ein Unternehmen von seinen - in Kurzarbeit befindlichen MitarbeiterInnen - fordern, mehr Stunden als die in der Kurzarbeit vereinbarten zu leisten?

Vorwegzuschicken ist, dass die Regelungen zur Kurzarbeit in den vergangenen Monaten wiederholt angepasst wurden. Je nachdem, wann Kurzarbeit vereinbart wurde, gelten daher im Detail unterschiedliche Vorgaben. Seit Oktober 2020 befindet sich die Kurzarbeit in „Phase 3“, „Phase 4“ wurde bereits angekündigt. Insgesamt sind die Regelungen zur Kurzarbeit sehr komplex. Auch die vermeintlich einfache Frage nach dem Arbeitszeitausmaß während der Kurzarbeit lässt sich daher gar nicht so einfach beantworten. Wie so oft in juristischen Fragen gilt vielmehr leider auch hier: „Es kommt darauf an“.

Ungleichmäßig verteilte Arbeitszeit Überschreitung des vereinbarten Arbeitszeitausmaßes

Zunächst ist es wichtig, zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden:

Es kann sein, dass die Arbeitszeit nur innerhalb des Kurzarbeitszeitraumes schwankt, also in den einzelnen Wochen oder Monaten unterschiedlich hoch ist, im Durchschnitt des Kurzarbeitszeitraums aber dem vereinbarten Ausmaß entspricht. Eine derartige ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit war schon in Phase 1 der Covid-19-Kurzarbeit möglich und ist sogar geradezu typisch für sie. Bei einer Reduktion der Arbeitszeit auf 30% kann daher beispielsweise vereinbart werden, dass zuerst gar nicht und dafür in den darauffolgenden Wochen entsprechend mehr gearbeitet wird. Davon zu trennen sind jene – in weiterer Folge interessierenden – Fälle, in denen das tatsächliche Ausmaß der Arbeitszeit auch im Durchschnitt des Kurzarbeitszeitraums über der vereinbarten reduzierten Arbeitszeit liegt (beziehungsweise nach den Wünschen der ArbeitgeberInnen liegen soll). Zu Beginn der Covid-19-Krise war zu derartigen Konstellationen in den einschlägigen Sozialpartnervereinbarungen nur vorgesehen, dass eine Änderung des Arbeitszeitausmaßes im Einvernehmen mit dem Betriebsrat oder (bei Nichtbestehen eines solchen) im Einvernehmen mit den einzelnen ArbeitnehmerInnen möglich ist. Regelungen zur einseitigen Anordnung zusätzlicher Arbeit durch den/die Arbeitgeber*in fehlten. Seit „Phase 2“ (ab Juni 2020) finden sich dagegen auch dazu ausdrückliche Vorgaben.

Voraussetzungen für die Anordnung zusätzlicher Arbeitsleistungen

Arbeitsleistungen, die über das für die Dauer der Kurzarbeit vereinbarte verkürzte Arbeitszeitausmaß hinausgehen, können demnach unter drei Voraussetzungen einseitig durch den/die Arbeitgeber*in angeordnet werden:

  1. Die Lage und die Dauer der Arbeitszeit – also an welchen Tagen, zu welchen Zeiten konkret wie viele Stunden gearbeitet werden soll – muss den Arbeitnehmer*innen ehestmöglich, spätestens aber drei Tage im Vorhinein mitgeteilt werden. Von dieser Frist kann nur bei kurzfristig auftretendem, erhöhten Arbeitsbedarf abgesehen werden.

  2. Der geänderten Einteilung dürfen keine berücksichtigungswürdigen Interessen der betroffenen ArbeitnehmerInnen entgegenstehen. Kollidiert also etwa die Anordnung mit bestehenden Betreuungspflichten für Kinder, kann die zusätzlich angeordnete Arbeitsleistung abgelehnt werden. In welchen Fällen tatsächlich berücksichtigungswürdige Interessen entgegenstehen und daher die Ablehnung berechtigt ist, ist allerdings nur im Einzelfall beurteilbar. Die Ablehnung birgt daher aus Sicht der ArbeitnehmerInnen letztlich stets ein gewisses Risiko arbeitsrechtlicher Konsequenzen.

  3. Auch die erhöhte Arbeitszeit muss grundsätzlich innerhalb der vor Kurzarbeit vereinbarten Lage der Arbeitszeit liegen.

  4.  

Im Regelfall kein zusätzlicher Entgeltanspruch der ArbeitnehmerInnen

Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, müssen ArbeitnehmerInnen nicht nur der Anordnung nachkommen, sondern haben in aller Regel auch keinen zusätzlichen Anspruch auf Entlohnung. Denn nach dem derzeit praktizierten Modell der Kurzarbeit, steht je nach Höhe des Einkommens eine pauschale Nettoersatzrate von 80-90% zu. Wie viele Stunden während der Kurzarbeit tatsächlich gearbeitet wird, ist grundsätzlich unerheblich. Wird also etwa anstelle der ursprünglich vereinbarten 30% doch im Ausmaß von 50% der Arbeitszeit vor Kurzarbeit gearbeitet, ändert sich für die ArbeitnehmerInnen finanziell nichts. Es verringert sich nur die Höhe der Kurzarbeitsbeihilfe, die dem/der Arbeitgeber*in zusteht.

Anderes gilt allerdings ausnahmsweise dann, wenn in einzelnen Monaten so viel gearbeitet wird, dass das Entgelt für die tatsächlich geleistete Arbeit über jenem liegt, das sich aus der vorgesehenen Nettoersatzrate ergibt. Hier haben ArbeitnehmerInnen einen zusätzlichen Anspruch, da die tatsächlich geleisteten Stunden jedenfalls voll bezahlt werden müssen. Zuschlagpflichtige Über- oder Mehrstunden liegen aber auch in derartigen Fällen meist nicht vor. Sie wären nur dann anzunehmen, wenn – was nur sehr eingeschränkt zulässig ist – phasenweise sogar die vor der Kurzarbeit vereinbarte Arbeitszeit überschritten wird.

Susanne Auer-Mayer, stellvertretende Institutsvorständin und Professorin am Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht

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