Seitlicher Blick auf das D4 Gebäude.

#6 Blog: Wie geht es dir eigentlich? Psychische Gesundheit während des Lockdowns

Für Viele war die Zeit des Lockdowns mehr als eine riesige Herausforderung. Einerseits machte einigen Menschen die soziale Isolation zu schaffen, andererseits war die Mehrfachbelastung in Haushalten mit Kindern aufgrund von Home-Office-Arrangements und geschlossenen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen nur sehr schwer zu bewältigen. Solche Ausnahmezustände gehen nicht unbedingt spurlos an den betroffenen Personen vorbei. Aus diesem Grund wurden in unserem Fragebogen auch Indikatoren zum psychischen Gesundheitszustand während der Ausgangsbeschränkungen erhoben.

Die Fragen zur Festellung der allgemeinen psychischen Gesundheit orientierten sich am Depressionsmodul des Gesundheitsfragebogens für PatientInnen (Patient Health Questionnaire Depression Scale, PHQ-D). Dabei handelt es sich um ein valides und weit verbreitetes Instrument zur Feststellung von psychischen Störungen in der klinischen Praxis und Forschung (Gräfe et al. 2004). Im Rahmen unserer Umfrage wurde die - aus acht Items bestehende - Depressionsskala (PHQ-8) in ihrer deutschen Form verwendet. Diese umfasst folgende diagnostische Kriterien, wobei die Anwendung einzelner Module, wie etwa das Depressionsmodul, eher eine Screeningfunktion als eine diagnostische Funktion aufweist (Löwe et al. 2002, Gräfe et al. 2004):

A. Wenig Interesse oder Freude an Ihren Tätigkeiten

B. Niedergeschlagenheit, Schwermut oder Hoffnungslosigkeit

C. Schwierigkeiten ein- oder durchzuschlafen oder vermehrter Schlaf

D. Müdigkeit oder das Gefühl, keine Energie zu haben

E. Verminderter Appetit oder stark gesteigerter Appetit

F. Schlechte Meinung von sich selbst – oder das Gefühl, versagt oder die Familie enttäuscht zu haben

G. Schwierigkeiten, sich auf etwas zu konzentrieren, z.B. beim Zeitung lesen oder Fernsehen

H. So stark verlangsamte Bewegung oder Sprache, dass es anderen auffiel; oder vielmehr so ‚zappelig‘ oder rastlos, dass Sie einen ungewöhnlich starken Bewegungsdrang hatten

Die Frage, ob man sich im Verlauf der letzten zwei Wochen durch diese Beschwerden beeinträchtigt gefühlt hat, konnte mit „Nie“ (0 Punkte), „An einzelnen Tagen“ (1 Punkt), „An mehr als der Hälfte der Tage“ (2 Punkte) und „Beinahe jeden Tag“ (3 Punkte) beantwortet werden. Das Depressionsmodul erlaubt neben einer kategorialen Diagnostik auch eine dimensionale Auswertung (wie etwa Summenscores mit Cut-off-Werten) zur Festellung von Schweregraden (Renn et al. 2008). Ein höherer Wert verweist daher bei einer Aggregation aller acht Dimensionen auf eine ausgeprägtere psychische Belastung. Die Analyse der durchschnittlichen Punkteanzahl über alle acht diagnostischen Kriterien hinweg ergibt einen Durchschnittswert von 6.5 Punkten, wobei der Wert von Frauen mit 6.8 etwas darüber und jener der Männer mit 5.2 Punkten etwas unter diesem Wert liegt. Die Analyse nach Haushaltstypen zeigt, dass auch alleinerziehende Personen mit einem durchschnittlichen Wert von 8.7 Punkten deutlich über dem Mittelwert liegen, während Paare ohne Kinder mit einem Durchschnitt von 5.5 den niedrigsten Wert aufweisen. Bei Paare mit Kinder unter 15 Jahren, Single-Haushalten und Sonstige Haushaltstypen (z.B. Mehrgenerationenhaushalte oder WGs) liegt die Punktzahl mit 6.6 bis 6.8 nahe am Durchschnitt.

Zusätzlich zum allgemeinen psychischen Gesundheitszustand während des Lockdowns, haben wir erhoben, ob sich die Beschwerden im Vergleich zur Situation vor den Ausgangsbeschränkungen verbessert oder verschlechtert haben, oder unverändert geblieben sind. Abbildungen 1 und 2 zeigen den Anteil der Personen, welche eine Verschlechterung, Verbesserung oder ein Gleichbleiben der jeweiligen Beschwerden angaben. Die Auswertungen wurden sowohl nach Geschlecht als auch nach Haushaltstyp vorgenommen.

Krisenmanagement zu Lasten der (psychischen) Gesundheit von Frauen?

Bei der Analyse nach Geschlecht ergibt sich ein recht eindeutiges Bild (siehe Abbildung 1): In allen acht diagnostischen Kategorien ist der Anteil der Frauen, der angab, dass sich ihre Beschwerden während des Lockdowns verschlechtert haben, höher als jener der Männer. Diese haben viel öfter angegeben, dass ihr Gesundheitszustand im Vergleich zu vor den Ausgangsbeschränkungen unverändert blieb. Der Unterschied zwischen dem Anteil der Frauen welche eine Verschlechterung angaben und jenem der Männer ist besonders stark ausgeprägt bei den Kategorien B. Schwermut (16%), E. Veränderungen des Appetits (11%) und A. Wenig Interesse/Freude an Tätigkeiten (12%).

Abbildung 1: Veränderung der psychischen Gesundheit (PHQ-8) im Vergleich zur Situation vor den Ausgangsbeschränkungen nach Geschlecht

Abbildung 1: Veränderung der psychischen Gesundheit (PHQ-8) im Vergleich zur Situation vor den Ausgangsbeschränkungen nach Geschlecht

Anm.: Diese Abbildung bezieht sich auf die Veränderung der diagnostischen Kriterien nach PHQ-8 während der Ausgangsbeschränkungen im Vergleich zu vorher. Quelle: Eigene Darstellung, 2020

Alleinerziehende und Paare mit Kindern besonders betroffen

Auch die Auswertungen nach Haushaltstyp zeigt einige besorgniserregende Muster. So gaben Alleinerziehende in sämtlichen Dimensionen eine Verschlechterung ihrer Beschwerden an. In 7 von 8 Kategorien gaben zwischen 42% und 63% - also in etwa die Hälfte - der alleinerziehenden UmfrageteilnehmerInnen an, dass sich ihr Zustand verschlechtert hat. Zudem verzeichnete auch ein hoher Anteil der Eltern in Paarhaushalte mit Kindern unter 15 Jahren Verschlechterungen, insbesondere in den Bereichen A. Wenig Interesse/Freude an Tätigkeiten (54%), B. Schwermut (48%) und D. Müdigkeit (45%).

Darüber hinaus gab auch ein relativ hoher Anteil der Single-Haushalte eine Verschlechterung ihrer Situation an - insbesondere in den Bereichen C. Schlafstörungen und D. Appetitveränderungen. Paare ohne Kinder (unter 15 Jahren) sind über alle Kategorien hinweg am wenigsten von Verschlechterungen des Gesundheitszustandes betroffen. Verbesserungen der psychischen Gesundheit gab es in den meisten diagnostischen Kategorien nur in sehr geringem Ausmaß. Einzig in den Kategorien C. Schlafstörungen und D. Müdigkeit gaben in etwa 10% der Menschen in Paar- und Singlehaushalten ohne Kinder an, dass sich ihr Zustand verbessert hat. Im Allgemeinen überwiegt jedoch der (besorgniserregend) hohe Anteil an Personen, die eine Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustandes angaben. Insbesondere der hohe Anteil an Frauen und Eltern in Haushalten mit Kindern unter 15 Jahren, welche eine Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit aufweisen, lassen auf die schwierige Situation dieser Personengruppen während des Lockdowns schließen.

Abbildung 2: Veränderung der psychischen Gesundheit (PHQ-8) im Vergleich zur Situation vor den Ausgangsbeschränkungen nach Haushaltstyp

Abbildung 2: Veränderung der psychischen Gesundheit (PHQ-8) im Vergleich zur Situation vor den Ausgangsbeschränkungen nach Haushaltstyp

Anm.: Diese Abbildung bezieht sich auf die Veränderung der diagnostischen Kriterien nach PHQ-8 während der Ausgangsbeschränkungen im Vergleich zu vorher. Quelle: Eigene Darstellung, 2020

Schwierigkeiten und Schuldgefühle bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Durch die Notwendigkeit der gleichzeitigen Organisation von (bezahlter) Arbeit im Home-Office, Kinderbetreuung, Home-Schooling und Hausarbeit, wie etwa Kochen und Putzen, war die Situation von Personen mit Kindern (unter 15 Jahren) während der Ausgangsbeschränkungen besonders schwierig.

Aus diesem Grund beleuchten wir die Situation von Eltern, welche zumindest teilweise von zu Haus gearbeitet haben, genauer. Diese Personengruppe wurden nach ihrer Zustimmung bzw. Ablehnung von vier ausgewählten Statements zum Thema “Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Home-Office” befragt. Abbildung 3 zeigt den Anteil jener Personen, welche dem jeweiligen Statement voll, eher, eher nicht oder gar nicht zustimmen nach Geschlecht. Es zeigt sich zunächst, dass die Antworten von Frauen und Männern zu großen Teilen deutlich unterschiedlich ausfallen. So stimmten Statement 1 “Es fällt mir leicht meine Freizeit, Arbeit und Haushalts-/Betreuungsaufgaben zu vereinbaren” fast ¾ der Frauen (72.4%) eher nicht oder gar nicht zu, während dieser Anteil bei den Männern “nur” 50% betrifft. Zudem ist jener Anteil der Männer der voll zustimmt mit 17,4% mehr als doppelt so hoch als bei den Frauen (7.6%).

Abbildung 3: Zustimmung zu den Statements zum Thema “Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Home Office” nach Geschlecht

Abbildung 3: Zustimmung zu den Statements zum Thema “Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Home Office” nach Geschlecht

Anm.: Diese Frage wurde nur an Personen mit Kindern unter 15 Jahren gestellt, welche während der Ausgangsbeschränkungen (zumindest teilweise) von zu Hause aus gearbeitet haben. Quelle: Eigene Darstellung, 2020

Auch die Antworten von Frauen und Männern zu Statement 2 “Ich komme besser mit meinen Kindern zurecht wenn ich für die Arbeit die Wohnung verlasse und nicht im Home-Office arbeite” unterscheiden sich diametral. So stimmten fast 70% der Frauen dieser Aussage eher (36.7%) oder voll (31.2%) zu, während nur etwa 40% der Männer angaben, dass Statement 2 voll (14,1%) bzw. eher (26,1%) zutrifft. Bei den Statements 3 und 4 “Ich habe Schuldgefühle, dass ich meine bezahlte Arbeit / meine Kinder

vernachlässige” zeigt sich zudem, dass insbesondere Frauen während der Ausgangsbeschränkungen unter Schuldgefühlen - sowohl im Bereich Erwerbsarbeit als auch in Hinblick auf ihre Kinder - litten. In etwa 50% bzw. 70% der Frauen gab an Statement 3 (Erwerbsarbeit) bzw. 4 (Kinder) eher oder voll zuzustimmen, während diese Werte bei den Männern mit ca. 35% bzw. 50% deutlich geringer ausfielen.

Die Ergebnisse unserer Umfrage deuten auf die schwierige Situation von Frauen und Personen in Haushalten mit Kindern unter 15 Jahren während der Ausgangsbeschränkungen hin: diese Personengruppen waren am häufigsten von Verschlechterungen ihres psychischens Gesundheitszustandes betroffen (siehe Abbildung 1 und 2). Wie bereits in unseren früheren Blogbeiträgen erläutert, übernahmen sowohl vor als auch während des Lockdowns Frauen einen Großteil der Care-Arbeit, insbesondere im Bereich Kinderbetreuung und Home-Schooling. Die Vereinbarkeit von bezahlter und unbezahlter Arbeit gestaltete sich jedoch insbesondere für Frauen schwierig und geht oftmals mit großen Schuldgefühlen, in Hinblick auf die Vernachlässigung von Erwerbsarbeit und Kinder, einher (siehe Abbildung 3).

Literatur

Gräfe, Kerstin/ Zipfel, Stephan/ Herzog, Wolfgang/ Löwe, Bernd (2004): Screening psychischer Störungen mit dem “Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D)“. Diagnostica 50, Nr. 4: 171–81.

Löwe, Bernd/ Spitzer, Robert L./ Zipfel, Stephan/ Herzog, Wolfgang (2002): Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D). Manual und Testunterlagen (2. Auflage). Karlsruhe: Pfizer.

Renn Daniela/ Höfer, Stefan/ Schüßler, Gerhard/ Rumpold, Gerhard/ Smrekar, Ulrike/ Janecke, Nicola/ Doering, Stephan (2008). Dimensionale Diagnostik mit dem Fragebogen zur Erfassung von DSM-IV-Persönlichkeitsstörungen (ADP-IV). Z Psychosom Med Psychother 54, 214–226.